Der Mehrfachmord von Scheeßel: Wieso tötete Florian G.?

Stand: 18.03.2025 18:00 Uhr

Nach der Trennung von seiner Frau erschießt Florian G. vier Menschen, die ihr besonders nahestanden. Der Soldat ging dabei extrem brutal vor. Erstmals äußert sich nun G.s Ex-Frau öffentlich.

von Lea Struckmeier und Hendrik Maaßen

Mitten in der Nacht fährt Florian G. von seiner Kaserne in Seedorf in Niedersachsen los. Gegen 3 Uhr morgens bricht er in das Haus von Nils Otto ein, dem neuen Partner seiner Frau. Bewaffnet mit einem halbautomatischen Gewehr und rund 200 Schuss Munition erschießt G. zunächst Ottos Mutter Bärbel mit zwei gezielten Schüssen. Danach feuert er zehn Mal auf Nils Otto. So habe er es bei der Bundeswehr gelernt, wird G. später sagen. In einem Nebenzimmer schläft Nils' sechsjähriger Sohn Erwin, der die Schüsse und die Schreie seines Vaters hört. Seither leidet das Kind unter den traumatischen Erinnerungen.

Eine Tat mit militärischer Präzision

Fotos zeigen den Soldaten Florian G. während seiner Dienstzeit im Sudan und in Mali, © Screenshot
Fotos aus G.s aktiver Dienstzeit: Der Präzisionsschütze war unter anderem im Sudan und in Mali im Einsatz.

G. fährt danach wenige Kilometer weiter zum Haus von Stefanie K. Als er sie entdeckt, eröffnet er sofort das Feuer. Die beste Freundin seiner Frau hält ihre dreijährige Tochter Ronja in den Armen. 14 Schüsse töten Mutter und Kind. Ihre andere Tochter, elf Jahre alt, überlebt.

Er habe sich dabei gefühlt wie im Bundeswehreinsatz, wird Florian G. später im Prozess sagen. Deshalb will er noch ein "Feierabendbier" trinken und fährt nach der Tat am frühen Morgen des 1. März 2024 an den Weichelsee in Rotenburg (Wümme). Hier hatten er und seine Frau Juliane S. sich das erste Mal getroffen. Hier will er auch sein Leben beenden. Doch dazu wird es nicht kommen.

Eine eskalierte Trennung

Juliane S. © Screenshot
Juliane S. habe zunächst nicht glauben können, dass ihr Mann zum Täter wurde. Sie möchte unerkannt bleiben.

G. und Juliane S. lernen sich 2018 kennen, heiraten und gründen eine Familie. Doch schon bald wird er zunehmend introvertiert. 2023, während S. mit dem zweiten Kind schwanger ist, trennt sie sich von ihm und beginnt eine Beziehung mit ihrem Jugendfreund Nils Otto.

"Wir hatten alles vernünftig vereinbart", sagt Juliane S. im Interview mit Panorama 3. Den "Umgang mit den Kindern, den Unterhalt, das Haus. Für mich hat es so gewirkt, als ob es für ihn in Ordnung war mit der Trennung."

Doch für G. war das offenbar nicht so. Er dachte wohl daran, sich das Leben zu nehmen, doch psychologische Hilfe holte er sich nicht. Er hatte Angst, seinen Beruf und seine Waffen zu verlieren.

Die Trennung ist ein Auf und Ab, Anfang 2024 wollen G. und S. es doch noch einmal versuchen. Doch als Soldat G. einen Tag früher als angekündigt von einem Lehrgang nach Hause kommt, trifft er im Wohnzimmer auf seine Frau, die mit Nils Otto den Abend verbringt. Aufgebracht geht er in einen Nebenraum, in dem auch sein Waffenschrank steht. "Der Typ hat drei Minuten, um zu verschwinden, sonst passiert noch was", soll er gesagt haben. Später erteilt er Otto Hausverbot.

Otto und Juliane S. gehen daraufhin zur Polizei. Otto zeigt Florian G. wegen Bedrohung an, S. sagt als Zeugin aus.

Weitere Informationen
Ein Angeklagter sitzt neben seinen Verteidigern in einem Gerichtssaal in Verden. © NDR Foto: Maren Momsen

Dreifachmord von Rotenburg: Angeklagter legt Geständnis ab

Der Soldat aus Seedorf soll vier Menschen aus dem Umfeld seiner Ex-Frau getötet haben - ein Fall gilt als fahrlässige Tötung. mehr

Waffenbehörde wusste nichts von der Anzeige

Obwohl den Beamten bekannt ist, dass G. Waffen besitzt, wird die Anzeige nicht an die zuständige Waffenbehörde weitergegeben. Auf NDR-Anfrage räumt das niedersächsische Innenministerium nun Versäumnisse ein und kündigt eine verpflichtende Melderegelung an. Als Konsequenz aus dem Mehrfachmord "müssen Sachverhalte mit Waffen nun sofort an die zuständige Behörde gegeben werden".

Noch am Tag der Anzeige fährt eine Polizeistreife zum Haus von Florian G. und Juliane S. und hält bei G. eine Gefährderansprache - ein mahnendes Gespräch, das deutlich machen soll, dass die Beamten ihm eine Straftat zutrauen.

Die Hinterbliebenen der Opfer aber kritisieren, dass die Polizei nicht mehr getan habe. Andrea Otto, die Ex-Frau von Nils Otto, macht der Polizei schwere Vorwürfe. Die Beamten hätten aus ihrer Sicht völlig versagt: "Das hätten Leute überleben können, wenn ihr euren Job richtig gemacht hättet. Man hätte die Waffen ja eventuell einziehen können", sagt Otto. Doch die Polizisten vor Ort hatten die Information nicht bekommen, dass G. Waffen im Haus hat.

Welches Risiko geht von einer Gefährderansprache aus?

Andrea Otto © Screenshot
Andrea Otto macht der Polizei schwere Vorwürfe: Wären die Waffen G.s eingezogen worden, könnte auch ihr Ex-Mann womöglich noch leben.

Die Gefährderansprache überrascht G., aber er gibt sich ruhig. Er erklärt den Beamten, dass von ihm keine Gefahr ausgehe. Doch als er aus dem Fenster guckt, sieht er offenbar seine Frau und deren beste Freundin Stefanie K. Sie lachen. Dann kommt es zum Streit zwischen G. und S., wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht. Offenbar ist es ein entscheidender Moment, sagt die Verteidigerin von G., Daniela Post: "Ein Schlüsselmoment, in dem er wusste: 'Ich habe jetzt alles verloren'. Und da hat er den Entschluss gefasst, selbst zu sterben."

Doch G. will nicht alleine sterben, er will dabei die Menschen "mitnehmen", so Post, die er für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich macht. Noch in derselben Nacht entschließt er sich zum Mord. Akribisch bereitet er sich in den folgenden Tagen auf die Tat vor. Später werden die Ermittler zu dem Ergebnis kommen, dass die Gefährderansprache der letzte Auslöser für die Morde gewesen sei.

Der Strafrechtler Michael Jasch, der seit Jahren an der Hochschule für Polizei in Nordrhein-Westfalen zu Gefährderansprachen forscht, sieht Versäumnisse bei der Polizei. Die Beamten müssten in Fällen wie diesen "besonders informiert, besonders behutsam, besonders sensibel vorgehen". Der korrekte Weg wäre gewesen, sagt Jasch, "Bedrohungsstrafanzeigen tatsächlich der Waffenbehörde zu melden. Diese Behörde hätte dann die Aufgabe gehabt, die sogenannte waffenrechtliche Zuverlässigkeit einer Person zu prüfen". Dass dies im Fall Florian G. unterblieb, sei ein klarer Fehler, sagt Jasch.

Keine Reue - lebenslange Haft

Andrea Otto am Grab ihres Ex-Mannes Nils und dessen Mutter © Screenshot
Andrea Otto legt Blumen am Grab ihres getöteten Ex-Mannes und dessen Mutter nieder.

Ein Jahr nach der Tat verurteilt das Landgericht Verden G. zu lebenslanger Haft. Das Gericht stellt auch die besondere Schwere der Schuld fest, wodurch G. nicht vorzeitig entlassen werden kann. Gegen das Urteil hat die Verteidigung G.s Revision eingelegt.

Der Verurteilte G. ist überzeugt, das Richtige getan zu haben. Nur den Tod der dreijährigen Ronja habe er nicht gewollt.

Die Tat hinterlässt tief gezeichnete Hinterbliebene. Juliane S. wird von den Ereignissen verfolgt. "Ich hätte niemals damit gerechnet, dass er mir die Menschen nimmt, die mir wichtig sind", sagt sie. Seit der Tat sei sie in psychologischer Behandlung.

Andrea Otto war als Nebenklägerin an jedem Prozesstag im Gericht. Sie wollte verstehen, wie es so weit kommen konnte und kämpft jeden Tag dafür, dass ihr Sohn Erwin gesund aufwachsen kann. 

Rat und Nothilfe bei psychischen Krisen und häuslicher Gewalt

  • Telefonseelsorge: anonyme, kostenlose Beratung rund um die Uhr; Tel. (0800) 11 10 111 oder (0800) 11 10 222
  • Gewalt gegen Frauen - bundesweites Hilfetelefon rund um die Uhr; Tel. (0800) 01 16 016
  • Gewalt gegen Männer - bundesweites Hilfetelefon rund um die Uhr; Tel. (0800) 12 39 900
  • Täterarbeit Häusliche Gewalt Niedersachsen - die Einrichtung bietet eine Übersicht zu regionalen Anlaufstellen für Täter und Opfer

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 18.03.2025 | 21:15 Uhr

JETZT IM NDR FERNSEHEN

Tatort 22:00 bis 23:30 Uhr