Warum ein Norddeutscher in Syrien gegen den IS kämpfte
Die ersten Informationen kamen offenbar aus sozialen Netzwerken: „Du, es gibt Gerüchte, dass in Syrien bei den Kämpfen ein Deutscher gefallen sei“, so hörte es Thomas G. von einem Bekannten. Er machte sich gleich Sorgen, denn sein Sohn Konstantin war in Syrien. Fünf Tage später wird aus Gerüchten für die Eltern Gewissheit. Der 24-jährige Kieler Konstantin G. ist am 16. Oktober in Nordsyrien ums Leben gekommen. Bei einem Luftangriff der türkischen Armee, wie es aus kurdischen Quellen heißt. Wie konnte es dazu kommen? Im Interview mit Panorama 3 sprechen die Eltern über ihren Sohn Konstantin G.
Seit 2016 Teil der kurdischen YPG in Syrien
G. hatte sich 2016 als Freiwilliger den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) angeschlossen, um gegen den IS zu kämpfen. In Syrien trug er den Kampfnamen „Andok Cotkar“. Eine Seite ihres Sohnes, die für die Eltern offenbar lange nicht zu erahnen war. „Er hatte einen sehr schönen, sehr hintergründigen Humor, er konnte sehr spitzbübisch gucken“, erzählt seine Mutter Ute R. Er habe viel gelesen, sei auch viel in der Natur unterwegs gewesen. Nach der Schule hat er eine Ausbildung zum Landwirt gemacht und in mehreren Betrieben gearbeitet. Zwar sei er schon lange politisch interessiert gewesen, aber nie selbst politisch aktiv.
2014 greift der sogenannte Islamische Staat (IS) im Nordirak die Jesiden an, eine religiöse Minderheit. Ihnen droht ein Massenmord. Es seien vor allem ihre Bilder in den Nachrichten gewesen, die Konstantin berührt haben, erzählen seine Eltern. „Konstantin war schon immer, jemand, der ein großes Gerechtigkeitsbedürfnis hatte. Ich kann mir vorstellen, dass die Situation der Menschen vor Ort ihn sehr berührt hat. Dass hier immer geredet wird und nichts gemacht wird.“
"Er hat sich von uns nicht verabschiedet"
Am 1. September 2016 ist Konstantin plötzlich weg. Seine Eltern wissen offenbar von nichts. Bis sie plötzlich eine Nachricht aus dem Irak bekommen. Konstantin hat sich der kurdischen Miliz YPG angeschlossen, um gegen den Islamischen Staat zu kämpfen. „Wir haben nichts geahnt. Es war völlig überraschend für uns. Er hat sich von uns nicht verabschiedet“, erinnert sich Konstantins Mutter. Über verschiedene Messenger-Dienste hält Konstantin den Kontakt zu seinen Eltern, schickt ihnen Fotos und Videos. Sie zeigen ihn als Sanitäter in einer Kampfeinheit. Nach seinen Angaben sicherte seine Einheit vom IS befreite Gebiete ab.
Unabhängige Informationen darüber, was Konstantin G. in Syrien gemacht hat, gibt es nicht. Die Bundesanwaltschaft hat gegen G. wegen des Verdachts auf Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ermittelt. Zu einer Anklage kam es jedoch nie, da die YPG in Deutschland nicht als terroristische Vereinigung gilt. Sie wurde im Kampf gegen den IS von verschiedenen Ländern, unter anderem den USA, unterstützt.
"Wir haben gehofft, dass er hier bleibt"
Die Frage, ob ihr Sohn sich in Syrien nicht nur um Verletzte gekümmert, sondern möglicherweise auch Menschen getötet hat, beschäftigt Konstantins Eltern. „Nicht einmal das wissen wir“, sagt seine Mutter. Mit Sicherheit wissen sie nur, dass ihr Sohn mit einem Sturmgewehr bewaffnet war. Auch darüber haben seine Eltern viel diskutiert: Darf man mit der Waffe kämpfen? „Also ich denke, es gibt Situationen im Leben oder in diesen Kriegssituationen, da muss man zur Waffe greifen. Ich verstehe Konstantin, wenn er sagt, der IS lässt sich nicht durch Worte bekämpfen“, findet seine Mutter.
2017 wird Konstantin verwundet. Für die Behandlung kommt er zurück in die Heimat. Die Eltern sprechen viel mit ihrem Sohn. „Wir haben gehofft das er hierbleibt. Natürlich haben wir versucht ihn in Gesprächen auf andere Gedanken zu bringen als wieder nach Syrien zu gehen.“ Trotz der Appelle seiner Eltern geht Konstantin wieder zurück.
Als die Türkei die kurdische Selbstverwaltung in Syrien angreift, unterstützt Konstantin G. die YPG fortan auch im Kampf gegen die Türkei. Am 16. Oktober stirbt Konstantin, mutmaßlich bei einem Luftangriff der türkischen Armee. „Als er gefahren ist sagte ich: ‘Bring mir so ein schönes buntes Frauentuch mit‘. Das muss ich mir jetzt anders besorgen“, erzählt Konstantins Mutter. Seine Eltern wollen irgendwann selbst einmal in die Region der kurdischen Selbstverwaltung fahren. „Denn wir werden Konstantin hier ja nicht begraben können, wir werden ihn vielleicht überhaupt nicht begraben können.“