Der kurdisch-türkische Konflikt in Norddeutschland
37 Anschläge auf türkische Einrichtungen soll es nach Angaben des Bundesinnenministeriums in diesem Jahr gegeben haben - viele davon in Norddeutschland. Der Anstieg ist enorm: Im gesamten letzten Jahr waren es nur 13. Zieht der Krieg zwischen Türken und Kurden im nordsyrischen Afrin immer mehr Gewalttaten auch in Deutschland nach sich? Das Internet ist voll mit Aufrufen zu Gewalttaten und mit Bekennerschreiben, mutmaßlich verfasst von prokurdischen Aktivisten. Gleichzeitig haben auf der Großdemonstration in Hannover am Sonnabend mehr als Zehntausend Kurden weitestgehend friedlich protestiert.
Handy-Laden in Garbsen angegriffen
Die Fensterscheiben des Handyladens in Garbsen sind zerborsten, die Fassade an mehreren Stellen verkohlt. Osman Türkan kann noch immer nicht glauben, was vergangenen Dienstag mit seinem Handyladen in Garbsen passiert ist. Unbekannte haben sein Geschäft und den daneben liegenden Kiosk mit Steinen und Molotow-Cocktails überfallen. Nur weil ein Taxifahrer vorbeikam und die Täter störte, ist nichts Schlimmeres passiert.
Dass der Anschlag mit dem Krieg in Afrin zusammenhängt, daran hat Türkan keinen Zweifel. "Ganz ehrlich, was kann ich als Garbsener Bürger dafür, dass es 3.000 Kilometer weiter weg diesen Konflikt gibt", fragt er. Dass es ausgerechnet seinen Laden getroffen hat, hält er für Zufall - es hätte jedes Geschäft eines Türken treffen können. Denn der Krieg in Afrin hat das Verhältnis zu den Kurden schwer belastet. "Ich bin hier seit fast 40 Jahren in Garbsen, wir haben hier nie die Problematik gehabt mit Kurden und Türken."
Aktivisten rufen zu weiteren Aktionen auf
Doch seit die türkische Armee am 20. Januar diesen Jahres die kurdische Enklave Afrin im Norden Syriens angegriffen hat, häufen sich die Anschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Aktivisten listen auf kurdischen und linksextremistischen Seiten die Taten auf und rufen zu weiteren Aktionen auf. Auch Bekennerschreiben finden sich dort. Die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes Maren Brandenburger hält die Lage für gefährlich: "Je nachdem wie die Situation rund um Afrin sich weiter entwickelt, wird sich das auch auf die Auseinandersetzungen hier in Deutschland auf den Straßen auswirken."
"Nicht im Sinne der Kurden"
Wer die Anschläge tatsächlich begangen hat, ist indes trotz der Bekennerschreiben nicht geklärt. Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli von der Universität Bochum weist darauf hin, dass die großen kurdischen Verbände sich mehrfach von allen Anschlägen und auch Aufrufen zu Gewalttaten distanziert haben: "All diese Taten führen natürlich zu einer massiven Welle der Empörung über die kurdische Bewegung. Und das kann eigentlich nicht im Sinne der Kunden selbst sein." Es sei nun an den deutschen Sicherheitsbehörden, die Täter zu ermitteln.
Mehrheit protestiert friedlich gegen die Türkei
Dass die Mehrheit der Kurden friedlich protestieren will, zeigte sich am Sonnabend in Hannover. Mehr als 10.000 Menschen aus ganz Deutschland sind dort bei klirrender Kälte zusammengekommen und haben gegen die türkische Militäroffensive demonstriert. Die Demonstration verlief bis auf einige Ausnahmen ohne größere Zwischenfällen, so die Polizei. Küpeli: "Für die kurdische Community ist es extrem wichtig, dass sie zumindest hier in Deutschland ihren Protest friedlich auf die Straße tragen kann, denn in der Türkei ist das ja nicht mehr möglich."