Rechte "Zeitzeugen": Alt-Nazis leiten Nachwuchs an
"Zeitzeugenabend" oder "Soldaten berichten" nennen sich die Veranstaltungen, zu denen bis zu 300 Zuhörer kommen. In der rechtsextremen Szene sind die letzten "Veteranen" aus dem Zweiten Weltkrieg sehr gefragt. Regelmäßig treten noch lebende Männer von Wehrmacht und Waffen-SS, alle über 90 Jahre alt, vor Neonazi-Publikum auf.
Umschreibung der Geschichte
Einer der Referenten bei solchen Versammlungen ist Paul P. aus Niedersachsen. Der 93-Jährige hat allein im vergangenen Jahr 15 Mal vor einschlägigem Publikum über seine Zeit im Krieg gesprochen, etwa in Chemnitz, Dresden, der Schweiz und in Ungarn. Dort erzählt P. über seine Zeit in zwei Divisionen der Waffen-SS, für die er sich 1944 als Freiwilliger gemeldet hatte. Die Waffen-SS war die Elitetruppe der Nationalsozialisten. Auf seine Zeit bei der Waffen-SS, die im Zweiten Weltkrieg für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich war, ist P. bis heute stolz. In seinem Wohnzimmer hängen noch immer die Wappen seiner SS-Einheiten. Von Verbrechen seiner Truppe wisse er nichts. Für ihn ist zum Beispiel ganz klar: Das Massaker von Oradour in Frankreich sei so nicht passiert, wie es Historiker heute als erwiesen ansehen. Bei dem 1944 von der Waffen-SS verübten Kriegsverbrechen ermordeten die Deutschen 642 Menschen - darunter viele Frauen und Kinder. Für Paul P. handelt es sich dabei nicht um ein Kriegsverbrechen. Seine "Wahrheit" - abseits der renommierten Geschichtsforschung - will Paul P. mit seinen Vortragsveranstaltungen verbreiten. Bei seinen Vorträgen soll also die Geschichte umgeschrieben werden. Gegenüber Panorama 3 erzählt Paul P. auch, dass er als Wachmann auf Insassen eines Konzentrationslagers aufgepasst hat.
Mit der Demokratie in der Bundesrepublik hat sich P., der nach eigenem Bekunden Mitglied des rechtsextremen "Freundschafts- und Hilfswerk Ost" ist, bis heute nicht anfreunden können: "Eine Demokratie sieht anders aus", erzählt der 93-Jährige in seinem Wohnzimmer. "Eine amerikanische Kolonie haben wir doch, die bestimmen doch, was wir zu machen haben. Das nennt sich zwar souveränes Land, aber zu sagen haben wir nichts", meint der ehemalige SS-Mann. Seine nationalsozialistische Gesinnung hat sich P. bis heute bewahrt.
Vorträge relevant für die rechte Szene
Der Neonazi Christian Worch kennt noch viele dieser "alten Kameraden". Seit den 70er Jahren ist Worch in der Neonazi-Szene aktiv, gründete zuletzt 2012 die Partei "Die Rechte". "Ich bekam dann auch Kontakte zu Angehörigen der Kriegsgeneration, die uns zumindest teilweise aus dem Hintergrund heraus unterstützt haben", sagt Worch. Die "alten Kameraden" hätten ihn noch geschult - sie gaben Worch das Handwerkszeug an die Hand, das er zum Aufbau von Organisationen und zur Durchführung von Veranstaltungen brauchte. Auch heute sind die Vorträge der "Zeitzeugen" noch für die Szene wichtig, um "ein anderes Bild auf die Geschichte zu werfen", sagt der Rechtsextremist. "Das, was wir über die Medien erfahren oder über etablierte Verlage, ist ja nun überwiegend einseitig geprägt." Worch meint die kritische Sicht auf den Nationalsozialismus. "Da möchten wir gerne einen Kontrapunkt setzen, deswegen werden solche Veranstaltungen durchgeführt."
Die Sicherheitsbehörden haben die Aktivitäten der jungen Neonazis im Blick - auch wenn die Vorträge auf den ersten Blick harmlos wirken mögen. Der niedersächsische Verfassungsschutz sieht in den persönlichen Erzählungen der "Zeitzeugen" die Gefahr, dass die rechtsextreme Szene damit auch immer mehr neue Anhänger werben kann.