Panorama 3-Beitrag über Flüchtlingsunterkunft sorgt für Diskussionen
Am 24. Mai 2022, hat Panorama 3 über fehlende Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingsunterkünften berichtet. Insbesondere ging es dabei um eine Flüchtlingsunterkunft in Ehra-Lessien.
Sieben Bewohnerinnen der Unterkunft haben in einem Interview gegenüber Panorama 3 die Zustände in der Unterkunft kritisiert. Sie schilderten, dass es in Ehra-Lessien ständig Auseinandersetzungen und Gewalt gebe, dass sie häufig belästigt und bedrängt würden, und sie berichteten auch über eine versuchte Vergewaltigung. Als Folge dieser Erfahrungen hätten sie Angst und fühlten sich schutzlos. Neben den sieben Interviews liegen Panorama 3 kritische Berichte von zwölf weiteren Bewohner:innen der Unterkunft vor. Die von den Bewohner:innen beschriebene Atmosphäre wird auch durch Videos belegt.
Der Beitrag wurde nach Ausstrahlung von einigen Lokalzeitungen aufgegriffen. Der für die Flüchtlingsunterkunft zuständige Landkreis Gifhorn äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Thema "Gewaltschutzkonzept". Dabei wurde auch der Panorama 3-Beitrag kritisiert.
Transparente Recherche
Anlass für die Redaktion von Panorama 3, hier die Recherchen transparent zu machen und Sachverhalte einzuordnen: Für die größte Diskussion sorgte ein Zitat von Landrat Tobias Heilmann. Auf die Frage, ob er wisse, zu wie vielen Übergriffen es in der Unterkunft gekommen sei, antwortete er im Interview mit Panorama 3:
"Jetzt müssen wir unterscheiden. Was sind Übergriffe? Also, wenn wir alleinreisende Männer haben? Wenn man, wenn ich das sage, ich von mir selber, wenn man mich mal länger mit Männern zusammen in einer Unterkunft unterbringt, dann kommen wir auch auf Döneken." Tobias Heilmann
Tobias Heilmann erhebt nun den Vorwurf, dieses gesendete Zitat sei aus dem Kontext gerissen. Im Vorfeld der gestellten Frage sei es nicht um Übergriffe gegangen, sondern um Allgemeines. Zu diesem Zeitpunkt sei er noch nicht mit den Vorwürfen der Frauen konfrontiert gewesen. Bereits die von Panorama 3 gestellte, schriftliche Interviewanfrage an Landrat Tobias Heilmann war konkret:
"Zu der Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien liegen uns zahlreiche Beschwerden und Berichte vor. Die Vorwürfe beinhalten unter anderem psychische und physische Gewalt von Sicherheitsmitarbeitern, sexueller Missbrauch in der Unterkunft, Quarantäneanordnungen auch ohne Corona-Infektion und das Betreten der Zimmer der Geflüchteten. Daraus ergeben sich an den Landkreis Fragen, die ich gerne in einem Interview klären würde." Anfrage der Panorama 3-Redaktion
Komplettes Interview mit Landrat Heilmann
Das komplette Interview mit Tobias Heilmann veröffentlichen wir als Video auf dieser Seite. Daraus wird ersichtlich, dass das Zitat von Tobias Heilmann nicht aus dem Kontext gerissen wurde.
In dem Interview sind auch alle Antworten von Landrat Heilmann zu allgemeinen Schutzmaßnahmen in Ehra-Lessien: Tobias Heilmann berichtet, dass es im Landkreis Gifhorn kein Schutzkonzept für Flüchtlingsunterkünfte gebe. Er räumt ein, dass er das verpflichtende Schutzkonzept für die vom Land betriebenen Unterkünfte noch nicht gelesen habe. Er gibt an, dass es in Ehra-Lessien keinen Gewaltschutzkoordinator oder Gewaltschutzkoordinatorin gebe und er nicht sagen kann, ob es ein Beschwerdemanagement gebe. Einzeln abschließbare Duschen für Frauen seien nicht vorhanden.
Mail listet 13 Kritikpunkte auf
Neben den eigenen Recherchen liegt Panorama 3 eine Mail des Flüchtlingsrates Niedersachsen vor. Bereits am 2. Dezember 2021 hatte der Flüchtlingsrat Landrat Tobias Heilmann informiert, dass es massive Beschwerden der Bewohner:innen in Ehra-Lessien gibt. Diese Mail listet 13 Kritikpunkte auf, wie zum Beispiel fehlenden Schutz sowie psychische und physische Gewalt. Der Flüchtlingsrat hatte laut eigener Aussage auf diese Mail nie eine Antwort erhalten. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen ergänzte am 30.5.2022 gegenüber Panorama 3: "Da eine Antwort ausblieb, erinnerten wir den Landrat mit Schreiben vom 13.01.22 an unser Anliegen und baten erneut um ein persönliches Gespräch. Leider erhielten wird auch auf dieses Schreiben vom Landrat keine Antwort."
Das niedersächsische Innenministerium bestätigt, dass die Polizei im Jahr 2021 im Durchschnitt zwei Mal in der Woche in die Flüchtlingsunterkunft Ehra-Lessien gerufen wurde. Seit Februar 2022 ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts eines sexuellen Übergriffs in der Unterkunft. Sieben Bewohnerinnen beschreiben gegenüber Panorama 3 ständige Angst, auch in ihren eigenen Zimmern.
An Ende bleibt die Frage: Wann ist ein Ort ein Brennpunkt?