Sendedatum: 28.04.2015 21:15 Uhr

Organspende: Wann ist der Mensch tot?

von Ingo Thöne

Rund 15.000 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Sie alle hoffen, dass sich ein Spender findet, bevor es für sie zu spät sein könnte. Tragischerweise bedeutet das im Fall von lebenswichtigen Organen wie Herz oder Lunge: hinter jedem gespendeten Organ steht der Tod jenes Menschen, dem das Organ entnommen wurde. Zwei erfahrene Mediziner müssen unabhängig voneinander den unwiederbringlichen Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen bestätigt haben. Erst dann dürfen einem potenziellen Spender Organe entnommen werden. So steht es im Transplantationsgesetz - eine scheinbar klare Lösung.

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Oft nicht so eindeutig

Für Angehörige hingegen zeigt sich der Hirntod oft nicht so eindeutig, wie Mediziner ihn beschreiben. Renate und Gebhard Focke verloren ihren Sohn Arnd bei einem Autounfall. Drei Tage lag er auf der Intensivstation, er wurde beatmet, sein Körper war warm, das Herz schlug. "Das Problem war, dass er da jetzt lag, sah aus wie lebend, schwer krank, aber keineswegs tot. Und in der Situation sollten wir ihn jetzt für tot halten", erinnert sich der Vater. Trotzdem entschied sich Gebhard Focke damals gemeinsam mit seiner Frau Renate für die Freigabe der Organe ihres Sohnes.

Gebhard Focke
Gebhard Focke enschied sich gemeinsam mit seiner Frau Renate für die Freigabe der Organe ihres Sohnes.

Die Medizinsoziologin Prof. Alexandra Manzei hat lange Jahre Hirntote auf einer Intensivstation betreut und weiß, dass ein Mensch, bei dem der Hirntod diagnostiziert wird, oft einen anderen Eindruck hervorruft, selbst wenn klar ist: es gibt keine Aussicht auf ein Weiterleben oder gar eine Genesung. "Äußerlich verändern sich Patienten nach der Hirntoddiagnose nicht. Weder wahrnehmbar für Pflegende noch für Angehörige. Was sich ändert, sind allein medizinische Messungen", so Manzei. "Der Patient aber liegt nach wie vor im Intensivbett, wird beatmet. Man sieht es auf dem Monitor, die Herzfrequenz, den Puls, den Blutdruck, all das was vorher auch der Fall war."

"Hirntodkriterium unausweichlich"

Prof. Eckhard Nagel ist einer der führenden deutschen Transplantionsmediziner. Der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Essen transplantiert seit Jahren erfolgreich Organe. Aus wissenschaftlicher Sicht hält er das Hirntodkriterium für unausweichlich: "Wenn das Gehirn in allen Funktionen ausgefallen ist, ist auch der gesamte Tod des Menschen eingetreten. Dass da ein Unterstützungssystem von außen noch einen Kreislauf erhält, spielt keine Rolle für die Bewertung, ob da jemand tot ist oder nicht. Das ist der Moment, von dem an man aus einem am Hirntod verstorbenen Körper Organe entnehmen kann."

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Doch inwiefern der Hirntod tatsächlich mit dem Tod eines Menschen gleichzusetzen ist, ist unter Experten umstritten. Prof. Gundolf Gubernatis ist überzeugt, dass die Frage, ob der Hirntod auch der Tod eines Menschen sei, letztlich nicht eindeutig beantwortet werden kann. Der Chirurg, der lange Jahre als geschäftsführender Arzt für die Organisation von Transplantationen bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) tätig war, sagt: "Es wäre töricht, naturwissenschaftlich beweisen zu wollen, was der Tod ist und wann er eintritt, sondern es ist eine gesellschaftliche Verabredung. Die moderne Intensivmedizin hat es möglich gemacht, aufgrund von Beatmung und weiteren Maßnahmen, dass man bei bestimmten Erkrankungen den Herz- und den Hirntod zeitlich auseinanderschieben kann. Und nun ist die Frage, erkennen wir den Hirntod als Tod an oder ist das nicht der Tod für uns."

Breite gesellschaftliche Diskussion

Auch der Deutsche Ethikrat hat sich nun in die Debatte eingemischt. Das Gremium berät Bundesregierung und Bundestag in wichtigen ethischen Fragestellungen. Ein Teil der dort tätigen Wissenschaftler hat sich dazu bekannt, dass sie den Ausfall des Gehirns als für nicht ausreichend erachten, um einen Menschen für tot zu erklären. Das Gehirn sei zwar ein sehr wichtiges, aber nicht das alleinige Organ, das für die Steuerung von biologischen Prozessen bei Menschen verantwortlich sei. Ungeachtet der ungeklärten Frage, wie der Hirntod letztlich zu deuten sei, sprechen sich die Sachverständigen jedoch weiterhin für die Möglichkeit der Organspende nach eingetretenem Hirntod aus. Sie wünschen sich eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Frage des Hirntodes und die Konsequenzen, die dies für Organspenden bedeutet.

"Es ist noch nicht der Tod"

Gebhard und Renate Focke
Der Gedanke an jene Menschen, die mit den Organen ihres Sohnes weiterleben konnten, hat Renate und Gebhard Focke eine Zeitlang getröstet.

Der Gedanke an jene Menschen, die mit den Organen ihres Sohnes weiterleben konnten, hat Renate und Gebhard Focke eine Zeitlang in ihrer Trauer getröstet. Und doch schmerzt es sie, dass sie ihren Sohn damals zur Organspende freigaben, ohne ausreichend über den Hirntod und die Organentnahme informiert gewesen zu sein. Renate Focke ist froh über die aktuelle Diskussion: "Ich wünsche mir, dass der Gesellschaft deutlich wird: Hirntod oder Hirnversagen wie ich es nenne, ist etwas was zum Tode führt, wenn es richtig festgestellt worden ist, aber es ist noch nicht der Tod. Es ist ein sterbender Mensch, der alle Rechte eines Sterbenden hat, der nur nach Unterschrift bei der Hirntoddiagnostik zu einem formal Toten erklärt wird.

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