Miese Arbeitsbedingungen bei Subunternehmer von Amazon
Unbezahlte Überstunden, Anstellung ohne Arbeitsvertrag, schreiende Chefs und Druck durch Tracking Apps: Paketzusteller berichten von miesen Arbeitsbedingungen bei Subunternehmern, die im Auftrag von Amazon Pakete ausliefern.
Ein Mann im schwarzen Kapuzenpulli blickt auf das Amazon-Versandzentrum in Wunstorf bei Hannover. Hier werden wie in den anderen sieben Amazon-Verteilzentren, die es allein in Niedersachsen gibt, täglich mehrere Zehntausend Pakete in Transporter geladen, die dann von Paketzustellern an die Haustüren der Kunden gebracht werden. Martin, wie der Mann im schwarzen Hoodie genannt werden möchte, war bis vor kurzem einer von ihnen. Sein richtiger Name soll in der Öffentlichkeit nicht genannt werden.
Der Job sei am Anfang ok gewesen, sagt Martin. Doch dann sei es irgendwann einfach zu viel geworden. "Ich war in einem Gebiet, in dem es viele Hochhäuser gab. Du musst rennen, um alles wirklich gut zu schaffen."
Die Paketzusteller sind in der Regel nicht bei Amazon angestellt, sondern bei einem Subunternehmer. Ein halbes Jahr habe Martin beim Subunternehmer KPS Kleinpaketservice GmbH in Wunstorf gearbeitet. Der Druck sei in dieser Zeit stetig gestiegen.
Hoher Druck auf Paketzusteller
Wie hoch dieser gewesen sein muss, lässt eine Sprachnachricht aus einem internen Chat des Subunternehmers erahnen, die Panorama 3 zugespielt wurde. Darin ist ein Mann zu hören, der offenbar an die Fahrer gerichtet schreit: "Wer ohne meine Erlaubnis morgen frei macht und nicht morgen zur Arbeit kommt, der ist gekündigt. Ihr müsst euch nach der Arbeit richten, nicht die Arbeit nach euch." Er fährt fort und schreit noch lauter: "Ich hab die Schnauze voll von euch. Morgen ist Arbeit und da habt ihr alle zu kommen."
Panorama 3 liegen mehrere ähnliche Sprachnachrichten vor, in denen der Mann, der nach den Aussagen mehrerer Fahrer Leiter eines Standorts der KPS Kleinpaketservice GmbH sein soll, die Fahrer anschreit und sie teilweise beleidigt.
Wenig Lohn und kein Arbeitsvertrag
Doch nicht nur der Druck sei ein Problem gewesen, auch die Bezahlung habe nicht gestimmt, sagt Martin. 80 Euro für acht Stunden Arbeit seien abgemacht gewesen. Er habe aber deutlich mehr arbeiten müssen. Einen Arbeitsvertrag habe er nicht bekommen. Die Überstunden, etwa 200 sollen es gewesen sein, seien unbezahlt gewesen. Mehrere Tausend Euro müsse ihm die Firma noch zahlen.
Ermittlungen wegen Steuerdelikten
Auch dem Staat könnte das Unternehmen noch Geld schulden. Denn Abrechnungen, die der NDR einsehen konnte, zeigen, dass auffällig wenig und teilweise gar keine Steuern abgeführt wurden. Nach NDR-Information wird gegen das Unternehmen wegen des Verdachts, dass Sozialversicherungen und Steuern nicht ordnungsgemäß abgeführt worden seien, ermittelt. Vergangene Woche beschlagnahmte der Zoll bundesweit Dokumente der Firma. Der Subunternehmer äußert sich zu den Vorwürfen gegenüber Panorama 3 nicht.
Auch Darius hat für den Subunternehmer KPS Kleinpaketservice GmbH gearbeitet; auch er hat eigentlich einen anderen Namen. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Martin hat er einen Arbeitsvertrag bekommen. 12,60 Euro Stundelohn sollte er für die Arbeit als Fahrer bekommen. Doch statt des versprochenen Lohns bekam er pro Stunde nur 9,82 Euro, wie seine Lohnabrechnungen zeigen.
Es gebe noch weitere Leute, die zu wenig Geld bekommen hätten, sagt der Mann, der aus einem Land in Osteuropa stammt. Viele Kollegen würden sich nicht wehren, weil sie Angst hätten. Er geht davon aus, dass das Unternehmen keine Deutschen einstelle, weil die ihre Rechte vielleicht besser kennen würden.
Erst Fleischindustrie, dann Paketzusteller
Vorher habe er in der Fleischindustrie und in einer Waschanlage für Lkw gearbeitet, erzählt Darius. Das sei recht häufig so, sagt Raluca Gheorghe vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Sie berät im Projekt "Faire Mobilität" im Raum Oldenburg Menschen vor allem aus Osteuropa über Arbeits- und Sozialrechte. "Viele Beschäftigte, die in der Fleischindustrie tätig waren, haben die Branche gewechselt, weil sie sich bessere Arbeitsbedingungen erhofft haben", sagt Gheorge. Doch schnell würden die Beschäftigten erkennen, dass die Arbeit bei Subunternehmern in der Paketbranche auch eher prekär ist.
Nonni Morisse von der Gewerkschaft Verdi ist mit mehreren ehemaligen und aktuellen Fahrern des Subunternehmers KPS Kleinpaketservice GmbH im Austausch. Nach allem, was ihm Fahrer berichtet hätten, agiere das Unternehmen im kriminellen Bereich, sagt er. Doch Morisse macht auch Amazon für die Arbeitsbedingungen mitverantwortlich.
Amazon weist jede Schuld von sich
Amazon weist jede Mitverantwortung von sich. Schriftlich teilt ein Sprecher gegenüber Panorama 3 mit, die Sicherheit und das Wohlbefinden der Fahrer:innen hätten oberste Priorität. Die Subunternehmen verpflichteten sich vertraglich, die geltenden Gesetze einzuhalten. Man arbeite bundesweit mit Hunderten kleinen und mittelständischen Partnern zusammen, die im Auftrag von Amazon Bestellungen an Kunden zustellen, so der Amazon-Sprecher. Mit der KPS Kleinpaketservice GmbH werde seit 2020 zusammengearbeitet. Man wolle nun aber die Zusammenarbeit mit diesem Subunternehmer beenden.
Gewerkschafter fordert Politik zum Handeln auf
Für Morisse ist das kein Grund zur Beruhigung, denn es handele sich nicht um einen Einzelfall. "Solche Geschichten haben wir leider auch bundesweit von anderen Unternehmen gehört, die für Amazon fahren." Hunderte kleine und mittelständische Unternehmen fahren für Amazon Pakete aus. Damit sich die Lage für die Paketzusteller grundsätzlich verbessere, sei die Politik gefragt. Morisse fordert vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Werkverträge und Leiharbeit in der Paketbranche massiv einzuschränken oder gleich komplett zu verbieten.
Ministerium will "Verstöße noch stärker unterbinden"
Das Bundesarbeitsministerium teilt schriftlich mit, die Arbeitsbedingungen im Bereich der Paketzustellung seit längerem kritisch zu beobachten. In den vergangenen Jahren seien schon einige Maßnahmen getroffen worden, um die Lage zu verbessern, dennoch sei weiterhin zu überlegen, "wie in diesem und anderen Bereichen etwaige Verstöße gegen das geltende Arbeitsrecht noch stärker unterbunden werden können". Ein Verbot von Subunternehmen und Werkverträgen, wie es in der Fleischindustrie eingeführt wurde, sei nur unter sehr engen Voraussetzungen zu rechtfertigen, so eine Sprecherin gegenüber Panorama 3.