Menschenzoo im Tierpark: Hagenbecks verdrängtes Erbe

Stand: 23.11.2022 06:00 Uhr

Bis in die 1930er-Jahre wurden indigene Menschen aus aller Welt in Europa in Zoos, Zirkussen und auf Jahrmärkten präsentiert. Bei "Völkerschauen" wurden Menschen ausgestellt, in teils demütigender Form. In Deutschland war der Hamburger Tierpark Hagenbeck führend. Eine öffentliche Aufarbeitung verweigert die Familie Hagenbeck jedoch bis heute.

von Anne Ruprecht, Mirco Seekamp

Die Eigentümer-Familie des Hamburger Tierparks Hagenbeck verweigert weiterhin eine öffentliche Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Unternehmensgeschichte. Bis in die 1930er-Jahre wurden bei sogenannten "Völkerschauen" Menschen anderer Kulturen in teils demütigender Form im Zoo zur Schau gestellt.

Plakat für eine "Völkerschau" bei Hagenbeck © NDR Foto: Screenshot
Noch bis in die 1930er-Jahre wurden Menschen in teils demütigender Form in "Völkerschauen" ausgestellt - unter anderem im Hamburger Tierpark Hagenbeck.

Wo sich heute im Tierpark Hagenbeck das Elefantengehege erstreckt, wurden einst Menschen ausgestellt. Zuletzt, im Jahr 1931, waren es Angehörige des Volkes der Kanak. Sie stammten aus Neukaledonien, eine Inselgruppe in der Südsee, damals französische Kolonie. Den Zoobesuchern wurden sie als Kannibalen verkauft, obwohl sie keine Kannibalen waren. Acht Stunden täglich mussten sie in einem eigens errichteten "Eingeborenen-Dorf" auftreten, alltägliches Leben simulieren, sollten wild tanzen und ihre Speere schwingen.

Bei Hagenbeck erinnert nichts an die Vergangenheit

Im Tierpark erinnert vor Ort nichts daran. Obwohl Hagenbeck vor zwei Jahren nach Protesten angekündigt hatte, diesen bedeutenden Teil der Unternehmensgeschichte aufarbeiten zu wollen. Schließlich waren Firmen-Gründer Carl Hagenbeck und seine Söhne damals führend bei der Veranstaltung solcher Menschenschauen - zeitweise hätten sie sich ohne diese finanziell nicht über Wasser halten können. Die Schauen tourten durch Europa und zogen im Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein Millionenpublikum an.

Prof. Jürgen Zimmerer, Historiker, Uni Hamburg. © NDR
Der Historiker Jürgen Zimmerer versuchte schon vor vier Jahren eine Ausstellung über die Völkerschauen zu organisieren. Man sei aber schon am Zugang zum Firmenarchiv von Hagenbeck gescheitert.

Professor Jürgen Zimmerer ist Historiker und leitet an der Universität Hamburg die Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe. Er sagt, die Völkerschauen hätten während der Zeit des Kolonialismus das europäische Überlegenheitsgefühl gefördert. "Man stellt Menschen in einer bewusst primitiv inszenierten Umgebung und Pose aus", sagt Zimmerer. "Und dadurch wird ein Menschenbild des Afrikaners, der Afrikanerin oder aus der Südsee als völlig anders und als zurückgeblieben und primitiv transportiert." Die Menschen seien bewusst inszeniert worden. Auch gegen ihren Willen. "Man zwingt sie ja auch, sich ihrer Kleider zu entledigen. Wir haben ja auch Berichte von auf Völkerschauen ausgestellten Menschen zum Beispiel aus Afrika, die sich darüber beschweren, dass sie sich jeden Morgen nackt ausziehen müssen."

Die Familie Hagenbeck sei persönlich nicht verantwortlich für das, was damals war, sagt Zimmerer, aber dafür, wie sie heute mit ihrer Geschichte umgehe. Jürgen Zimmerer berichtet, dass er schon vor vier Jahren einen Versuch unternommen habe, eine Ausstellung über die Völkerschauen bei Hagenbeck zu organisieren. Man sei aber schon am Zugang zum Firmenarchiv von Hagenbeck gescheitert. Sie durften dort nicht forschen, sagt er.

Wir haben den Tierpark und auch Familienoberhaupt Claus Hagenbeck dazu schriftlich befragt, erhielten aber keine Antwort. Auch zu Fragen zu den Menschenschauen, dem Schicksal der Kanak erhalten wir keine Antwort.

Völkerschauen als "Kunstform"?

Dabei hat sich Claus Hagenbeck in der Vergangenheit durchaus zu dem Thema geäußert. In einer Dokumentation aus dem Jahr 2020 sagt Claus Hagenbeck: "Völkerschauen waren ja eine Kunstform. Es wurden ja nicht Sklaven hier nach Europa geholt, sondern es waren Gaukler, die in ihrem Heimatland gegaukelt haben." In einem früheren TV-Statement aus dem Jahr 2003 räumte er indirekt eine Inszenierung der ausgestellten Menschen als Wilde ein. Berichtet, offenbar amüsiert: "Was die Veranstalter nicht gerne sahen, war, dass die Eingeborenen in Anführungsstrichen, die sich ja hier präsentierten als wilde Menschen, dass die sich abends Schlips und Kragen umbanden und nach St. Pauli zum Tanzen gingen. Das war nicht gerne gesehen, weil dann ja der Nimbus, der Wilden, Fremden etwas aufgelöst wurde."

Christian Karembeu © NDR Foto: Screenshot
Der französische Fußballspieler Christian Karembeu ist Urenkel eines Mannes, der damals bei Hagenbeck als Kannibale ausgestellt wurde.

Völlig ausgeblendet werden dabei die Schicksale von Menschen wie den Kanak aus der Südsee. In Briefen beklagen sie schon damals gegenüber dem französischen Kolonialminister, dass sie acht Stunden am Tag barfuß und kaum bekleidet tanzen müssen: "Hier in Hamburg […] werden wir grob wie Sklaven behandelt und werden immer und überall beobachtet. Wir wollen nicht länger hierbleiben." Der französische Fußballspieler Christian Karembeu ist Urenkel eines Mannes, der damals bei Hagenbeck als Kannibale ausgestellt wurde. Er mahnte schon vor einem Jahr an, der Tierpark solle seine Geschichte aufarbeiten, sich seiner Vergangenheit stellen: "Ich denke, es geht darum, die Geschichte zu erzählen, wie sie war. Und dann ist auch alles verziehen."

Vergangenes Jahr hatte Christian Karembeu den Wunsch geäußert: Er wolle gerne einmal nach Hamburg kommen und ein Familienmitglied von Hagenbeck treffen und reden. Doch ein solches Treffen war bei Hagenbeck bis heute nicht möglich.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Panorama 3 | 22.11.2022 | 21:15 Uhr

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