Kritik an Behörden: Behindertenparkausweise verweigert
Mit dem Auto die Straßen absuchen nach einem Parkplatz. Noch eine Runde, noch eine, wieder nichts. Wer kennt das nicht? Für Menschen mit einer Gehbehinderung ist die verzweifelte Suche nach einem Parkplatz noch viel schlimmer. Nah dran muss er sein und für viele Menschen möglichst breit und lang, damit es für den Gehwagen oder den Rollstuhl passt.
"Kein Problem" werden jetzt viele denken, "dafür gibt es doch Behindertenparkplätze". Doch längst nicht jeder, der einen Behindertenparkausweis braucht, bekommt auch einen. Panorama 3 ist in Norddeutschland auf eine bedenkliche Vergabepraxis für diese Parkausweise gestoßen.
Streit mit dem Versorgungsamt
Helga Sander hat Multiple Sklerose. Und die Krankheit schreitet weiter fort. Mit Gehstützen kann die Bremerin noch wenige Meter laufen, dann kommen die Schmerzen und die Angst davor, den Rest des Weges nicht mehr zu schaffen. "Dann zittere ich wie Espenlaub", beschreibt sie diese Situation. Doch Helga Sander will sich die Selbstständigkeit so lange wie möglich erhalten. Das eigene Auto gehört dazu. Das ermöglicht ihr die Fahrt zum Einkaufen, zu Freunden oder ins Theater, allein und ohne fremde Hilfe. Ein Behindertenparkausweis würde ihr helfen. Mit dem könnte sie oft mit weniger Problemen einen Parkplatz nah am Ziel finden. Doch die Voraussetzung für den Ausweis wäre für sie die Einstufung als "außergewöhnlich gehbehindert", kurz "aG", durch das Versorgungsamt Bremen. Das Merkzeichen bekommen Menschen, die mindestens einen Grad der Behinderung von 80 haben und sich "nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können."
Diese Voraussetzung erfüllt Helga Sander laut Versorgungsamt nicht. Festgestellt wurde das aufgrund eingesehener ärztlicher Unterlagen, ohne dass sie ein Arzt aus der Behörde gesehen hat. "Das macht mich wütend und traurig zugleich", sagt Helga Sander.
Kritik von Behindertenhilfe
Das Versorgungsamt Bremen will sich gegenüber Panorama 3 auch auf mehrfache Anfragen nicht zu dem Fall äußern. Mit Verweis auf das laufende Verfahren. Allgemein teilt uns das Versorgungsamt mit, man prüfe die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Helga Sander kontert: "So lange ich beide Beine noch hab, wollen die mir den Parkausweis nicht geben." Sie will das Merkzeichen "aG" vor Gericht erstreiten. Der Gesetzgeber in Berlin hat 2017 dafür gesorgt, dass nicht-orthopädische Behinderungen als Voraussetzung für das Merkzeichen genannt werden.
Für Andrea Sabellek vom Verein "SelbstBestimmt Leben" in Bremen reicht das nicht. Sie fordert, die "Versorgungsämter müssen genauer hinschauen und die individuelle Situation der Betroffenen sehen". Menschen mit neurologischen Erkrankungen seien oft bei der Vergabe des Merkzeichens "aG" benachteiligt. Sie rät den Betroffenen nicht aufzugeben und ihr Recht zur Not auch vor Gericht zu erstreiten. Und tatsächlich hat sich die Zahl der Behindertenparkausweise nach 2017 zum Beispiel in Städten wie Hamburg, Bremen und Kiel nach Recherchen von Panorama 3 nicht erhöht. Immer wieder erhalten wir Zuschriften von Menschen mit neurologisch bedingten Behinderungen, denen ein Parkausweis verweigert wird.
Im Rollstuhl ohne Behindertenparkausweis
Wie absurd die Vergabepraxis sein kann, zeigt der Fall von Stefan Weigel aus Neerstedt. Er leidet unter der Nervenerkrankung Polyneuropathie. Die Folge sind Lähmungen in rechtem Fuß und Arm. Der Rentner kann sich im Haus wenige Meter mit dem Gehwagen fortbewegen. Außerhalb des Hauses geht es nur noch im Rollstuhl. Autofahren kann er nicht mehr, nur als Beifahrer mit Begleitperson. Sein Rollstuhl muss immer mit. Und für den braucht es breite Parkplätze, zum Ein- und Aussteigen.
Auch Stefan Weigel wurde das Merkzeichen "aG" verweigert. Also gibt es auch keinen Behindertenparkausweis. "Per Ferndiagnose", merkt er bissig an, schließlich habe ihn beim niedersächsischen Landessozialamt noch kein Arzt gesehen. Dort ist man immerhin bereit mit Stefan Weigel und Panorama 3 zu reden. Der Pressesprecher der Behörde, Michael Haase, weist darauf hin, dass man nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten entscheide und da habe es nicht für das Merkzeichen "aG" gereicht. Doch der Pressesprecher zeigt sich offenbar beeindruckt von dem Rentner im Rollstuhl, der kaum laufen kann und verspricht eine erneute Prüfung. Stefan Weigel solle einen Neuantrag stellen, dann werde er ärztlich begutachtet.
Stefan Weigel hat den Neuantrag mittlerweile gestellt. Das Landessozialamt will nun endlich eine eigene ärztliche Begutachtung vornehmen.