Korruptionsverdacht: Jahrelange Klage gegen Kühne + Nagel

Stand: 21.09.2021 12:00 Uhr

Ein bayerisches Möbelunternehmen verklagte den Logistikkonzern bereits 2011 wegen des Verdachts der Korruption. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich Zivilgerichte in Hamburg mit dem Fall.

von Alexa Höber

"Kühne und Nagel hat mir schlichtweg mein Leben zerstört", sagt Thomas Launer, ehemaliger Geschäftsführer des Möbelunternehmens Chromo. Das bayerische Möbelunternehmen hatte den Logistikkonzern Kühne+Nagel engagiert, um Möbel aus Asien nach Deutschland zu transportieren. Doch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ergaben später, dass dem Möbelunternehmen 1,8 Millionen Euro zu viel berechnet worden waren.

1,8 Millionen Euro Schadenersatz gefordert

Thomas Launer © NDR Foto: Screenshot
Thomas Launer fordert von Kühne + Nagel Schadenersatz in Höhe von 1,8 Millionen Euro.

Kühne+Nagel Mitarbeiter überwiesen dieses beim Möbelunternehmen abgeschöpfte Geld an einen Mittelsmann in Hongkong. Und der stellte nach eigener Aussage Rechnungen aus, für die er keine Gegenleistung erbringen musste und hob immer wieder hohe Beträge in bar von seinen Konten ab. Das Möbelunternehmen verlangt von Kühne+Nagel diese 1,8 Millionen Euro zurück.

Doch die Klage des Möbelunternehmens wird nun seit mehr als zehn Jahren verhandelt. Das Hamburger Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg urteilten, dass Kühne+Nagel keinen Schadenersatz zahlen müsse. Doch diese beiden Urteile gingen an das höchstes Gericht in Deutschland, den Bundesgerichtshof. Der überprüfte die zwei Urteile des Oberlandesgerichts Hamburg. Und stellte jeweils fest, dass in Hamburg Fehler gemacht worden waren. Nach Einschätzung der Richter am Bundesgerichtshof hatte das bayerische Möbelunternehmen im Verfahren "hinreichende Anhaltspunkte" für Korruption vorgelegt. Also bekam das Oberlandesgericht den Fall zurück. Anschließend aber urteilte es ein drittes Mal, dass Kühne+Nagel dem Möbelunternehmen keinen Schadenersatz zahlen müsse.

Rechtsanwalt: "Dubioses Geschäftsmodell"

Wolfgang Schaupensteiner © NDR Foto: Screenshot
Rechtsanwalt Wolfgang Schaupensteiner führte als Staatsanwalt viele Korruptionsverfahren gegen Unternehmen.

Auch für den Frankfurter Rechtsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, der als Staatsanwalt viele Korruptionsverfahren gegen Unternehmen geführt hat, spricht in diesem Fall viel für Korruption. Er hatte sich die Unterlagen, die das Möbelunternehmen im Verfahren gegen Kühne+Nagel vorgelegt hat, angesehen. Das Hamburger Oberlandesgericht gehe aufgrund von Zeugenbefragungen zwar von einem ausgeklügelten System des Rücklaufs von Teilbeträgen und einem äußerst dubiosen Geschäftsmodell aus, so Schaupensteiner. Nicht nachvollziehbar sei aber, aus welchem Grunde der Senat die klare Benennung dieses "dubiosen Geschäftsmodells" als Korruption vermeide, so Schaupensteiner.

Alexander Baur © NDR Foto: Screenshot
Alexander Baur von der Rechtsfakultät der Universität Hamburg plädiert für bessere gesetzliche Regelungen.

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie lange ein Verfahren bei einem Korruptionsverdacht dauern kann. Das Problem sei grundsätzlich, dass heimliche Delikte für einzelne Geschädigte schwer zu beweisen seien, erklärt Alexander Baur von der Rechtsfakultät der Universität Hamburg. Er habe Respekt davor, wenn das überhaupt jemand versuche. Mit bestimmten Instrumenten eines geplanten Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft hätten Geschädigte von Wirtschaftsstraftaten nach seiner Einschätzung Schadenersatzansprüche einfacher und vielleicht auch erfolgversprechender durchsetzen können.

Kein Anti-Korruptionsgesetz verabschiedet

Christine Lambrecht | Bild: Thomas Köhler © BMJV Thomas Köhler Foto: Thomas Köhler
Christine Lambrecht (SPD) ist Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz und zudem auch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Doch CDU und SPD haben sich in dieser Legislaturperiode nicht auf ein geplantes Anti-Korruptions-Gesetz einigen können. Obwohl sie 2018 im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, Unternehmen, die von Wirtschaftskriminalität profitieren, stärker zu sanktionieren. Die Beratungen im Parlament hätten laut Bundesjustizministerium seit dem 21. Oktober 2020 stattfinden können. Bundesjustizministerin Lambrecht sagte gegenüber Panorama 3, man habe im Koalitionsvertrag von 2018 klipp und klar vereinbart, ein neues Sanktionsrecht für Unternehmen zu schaffen, um Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgen und angemessen ahnden zu können. Profite aus Straftaten hätten beim Unternehmen eingezogen und an die Geschädigten ausgezahlt werden sollen. Das hätte die Position der Geschädigten verbessert, weil eine eigenständige Klage auf Entschädigung künftig nicht mehr notwendig gewesen wäre, so das Bundesjustizministerium. "Doch als es um die Umsetzung ging, wollte die Unionsfraktion von unserer Vereinbarung nichts mehr wissen und hat die Beratung des Gesetzes im Parlament blockiert. Dafür fehlt mir jedes Verständnis." Das Verhalten von CDU und CSU zeige, wie wenig die Union aus Skandalen gelernt habe. Wer ernsthafte Lehren aus Korruptionsaffären und windigen Geschäften ziehen wolle, könne sich nicht länger gegen Gesetze für mehr Integrität und Verantwortung sperren, heißt es aus dem Justizministerium.

Man habe Unternehmen nicht pauschal kriminalisieren wollen, sagt dazu der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion gegenüber Panorama 3 und sie nicht durch unverhältnismäßige hohe Sanktionen belasten wollen. Es sollten Anreize für Unternehmen geschaffen werden, sich rechtstreu zu verhalten und mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Bedauerlicherweise sei das SPD-Justizministerium nicht zu Nachbesserungen des Gesetzentwurfs bereit gewesen.

Zukünftige Bundesregierung müsse mehr gegen Korruption tun

Helena Peltonen-Gassmann © NDR Foto: Screenshot
Helena Peltonen-Gassmann ist stellvertretende Vorsitzende von Transparency International.

Eine Arbeitsgruppe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte den Gesetzentwurf zur Korruptionsbekämpfung analysiert und Deutschland nahe gelegt, ihn unverzüglich anzunehmen. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International mahnt, die zukünftige Bundesregierung müsse mehr gegen Korruption tun. Wenn es darum gehe, Einzelpersonen zu verfolgen, habe Deutschland große Fortschritte in den letzten Jahren erzielt, so die stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Helena Peltonen-Gassmann. Aber, wenn es um die Verfolgung von Korruption in Unternehmen durch Unternehmen gehe, habe Deutschland noch sehr viel nachzuholen.

Das Oberlandesgericht in Hamburg musste die Klage des Möbelunternehmens Chromo nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Januar 2018 ein weiteres Mal beurteilen. Und lehnte die Schadenersatzforderung des insolventen Möbelunternehmens ein drittes Mal ab, ließ auch eine Revision nicht zu. Dagegen hat das Möbelunternehmen eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht. "Es zermürbt einen, allein von der Zeit her. Von der Belastung, die damit eintritt. Und immer wieder den Leuten erklären zu müssen: Ja, ist denn immer noch kein Urteil gefallen? Ist die Sache denn immer noch nicht zu Ende? Geht das denn nicht? Warum nicht? Das versteht keiner. Sie können es keinem erklären, der das selber nicht mitgemacht hat", so Launer. Eine Entscheidung, ob der Bundesgerichtshof ein drittes Urteil aus Hamburg in dieser Sache überprüft, wird in den nächsten Wochen erwartet.

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