Stand: 18.11.2019 18:25 Uhr

Hohe Lärmbelastung in Norddeutschland

von Lucie Kluth, Nils Naber

Wenn Florian Dumsky morgens aufsteht, dann hört er es schon durch das geschlossene Fenster. Dieses dumpfe Rauschen des Verkehrs. Florian Dumsky wohnt an der Lübecker Straße, einer der "lautesten Straßen" Hamburgs. Jeden Tag fahren hier mehr als 35.000 Fahrzeuge vorbei. "Man hat ein dauerhaftes Stresslevel, man ist leicht zu reizen und schläft einfach nicht mehr durch", meint Florian Dumsky. "Wenn man rausgeht, läuft man gegen eine Lärmwand."

VIDEO: Lärm: Hohe Belastung in Norddeutschland (9 Min)

Lärm macht krank

Dass Lärm krank machen kann, ist weitgehend unbestritten, erklärt Michael Jäcker-Cüppers, Vorstand des "Arbeitsrings Lärm" bei der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA). "Wir sagen immer, so ab 65 dB(A) am Tage und 55 dB(A) in der Nacht ist eine Schwelle für erhöhte gesundheitliche Risiken." Diese Werte sollten also möglichst nicht dauerhaft überschritten werden.

Michael Jäcker-Cüppers, Vorstand des "Arbeitsrings Lärm" bei der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA). © NDR Foto: Screenshot
Von Schlaganfall bis Herzinfarkt - wie gefährlich Lärm für die Gesundheit sein kann, benennt Lärmforscher Michael Jäcker-Cüppers.

So sieht es auch das Umweltbundesamt. 65 dB(A) ist laut Michael Jäcker-Cüppers schon bei einer Verkehrsmenge von 3.000 Kraftfahrzeugen pro Tag erreicht. Die negativen Folgen des Lärms für die Gesundheit können vielfältig sein. "Lärm kann Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen. Es wurde aber auch Risikoerhöhung für Depressionen und für Bluthochdruck festgestellt", erklärt der Lärmforscher. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat daher jüngst sogar noch ambitionierte Schwellenwerte vorgeschlagen.

261.000 Menschen in norddeutschen Städten dauerhaft lärmbelastet

Nach Recherchen von Panorama 3 sind alleine in den norddeutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern jede Nacht zusammen rund 261.000 Menschen gesundheitlichen Risiken durch Verkehrslärm ausgesetzt. Etwa 130.000 Menschen davon leben in Hamburg.

Dass Verkehrslärm auf Dauer nicht hinnehmbar ist, ist eigentlich im Bundesemmissionsschutzgesetz festgeschrieben, zumindest für einen Teil der Verkehrswege. Für Straßen, die neu gebaut werden, gibt es klare Vorgaben. Zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens sollen in Wohngebieten nur Lautstärken von 49 Dezibel (A) erreicht werden. Am Tage liegt die Schwelle bei 59 Dezibel. Pech hat, wer wie Florian Dumsky an einer sogenannten Bestandsstraße wohnt. Denn hier gelten diese Grenzwerte nicht. Menschen, die an verkehrsreichen Bestandstraßen wohnen, müssen bisher einen langwierigen Weg über Einzelfallprüfungen und oftmals Gerichte gehen, wollen sie zum Beispiel eine lärmreduzierende Geschwindigkeitsbegrenzung erreichen.

Lärmbetroffene in norddeutschen Städten

Die meisten lärmbetroffenen Menschen leben in Hamburg. 130.000 Menschen sind hier jede Nacht hohem Umgebungslärm (>55 dB(A)) ausgesetzt. Am niedrigsten liegt die Zahl in Salzgitter, dort sind nur 100 Menschen von solchem Lärm betroffen. Nach Recherchen von Panorama 3 ist die Zahl der Lärmbetroffenen in Städten mit mehr als 50.000 Einwohner in den letzten fünf Jahren leicht zurückgegangen. Allerdings haben einige Städte die Bewertungsgrundlage in den letzten fünf Jahren geändert. So wurden beispielweise in Hannover laut Stadt die "Eingangsdaten komplett neu bereitgestellt". Ein direkter Vergleich mit älteren Daten ist somit schwierig.

Tempo 30 - oder auch nicht ...

Mann steht an einer Straße, im Hintergrund fährt ein PKW an ihm vorbei. © NDR Foto: Screenshot
Florian Dumsky lebt laut, sehr laut. Zumindest für die Nachtstunden hofft er auf eine Geschwindigkeitsbegrenzung.

Florian Dumsky hat das versucht. Bei ihm vor der Wohnung erzeugen die Autos, Busse und Lkw auf der Straße tagsüber einen Mittelungspegel von 70 bis 75 dB(A). Nachts werden immer noch Pegel zwischen 60 und 65 dB(A) gemessen. Deswegen hat er bereits vor zwei Jahren verkehrsbeschränkende Maßnahmen gefordert, zum Beispiel Tempo 30. Weil er mit seinem Antrag bislang keinen Erfolg hatte, hat Dumsky die Stadt verklagt. Das Verfahren ist mittlerweile beim Oberverwaltungsgericht anhängig. Mit einem ersten Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht war Florian Dumsky noch gescheitert. "Ich fordere nicht ganztags Ruhe. Das ist natürlich eine Hauptstraße, das ist mir auch bewusst. Wenn aber zumindest in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr die Geschwindigkeit gedrosselt wäre, dann wäre uns schon sehr viel geholfen."

Die Innenbehörde, die für die Regelung des Straßenverkehrs in Hamburg zuständig ist, will sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. Die für Lärm zuständige Umweltbehörde erklärt, dass für Lärmbrennpunkte mit einer Belastung von tagsüber 70 dB(A) und nachts 60 dB(A) künftig "verbindliche Regelungen getroffen werden" sollten. Diese könnten "in der Anordnung von Tempo 30 (nachts), in Sanierungen von Fahrbahnoberflächen und der Anlage von Radverkehrsanlagen liegen." Wann und wie diese Regelungen kommen, bleibt allerdings offen. Ob Florian Dumsky am Ende vor Gericht Recht bekommen wird, ist aber eine Abwägungsentscheidung.

Klarer rechtlicher Rahmen gewünscht

Ein Grenzwert für Umgebungslärm, der auch für Bestandsstraßen gilt, könnte national eingeführt werden, meint Michael Jäcker-Cüppers. Bei dem für Lärm zuständigen Bundesumweltministerium sieht man dafür allerdings momentan keine große Dringlichkeit. Auf Nachfrage heißt es, man halte die bestehenden Regelungen "weiterhin für sinnvoll". Und das für Verkehr zuständige Bundesverkehrsministerium verweist unter anderem auf die EU-Umgebungslärmrichtline, die man unterstütze. In der Richtlinie sind allerdings keine Grenzwerte für Bestandstraßen festgelegt.

EU-Vorgaben

Für Straßenlärm schreibt die Europäische Union allen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern und Kommunen mit besonders stark befahrenen Straßen vor, dass alle fünf Jahre sogenannte Lärmaktionspläne vorgelegt werden müssen. Darin soll festgehalten werden, wie die Lärmbelastung dauerhaft gesenkt werden soll. Eigentlich hätte der aktuellste Lärmaktionsplan bereits Mitte 2018 fertig sein sollen. Von den Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern ist bislang nur der Plan aus Rostock beim zuständigen Umweltbundesamt eingetroffen. Weil bereits in der vorletzten Runde viele Kommunen keinen oder ungenügende Lärmaktionspläne abgegeben haben, hat die EU 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland in Gang gesetzt, das noch immer nicht beendet ist. 

Das bemängelt auch Michael Jäcker-Cüppers. "Die Politik spricht zwar oft davon, dass Lärm auch krank macht, aber so richtig beim Wort nehmen tut man diese Aussage nicht", sagt er.

Der fehlende Grenzwert birgt auch für einige Behörden ein Dilemma. Auch Torsten Conradt, Leiter Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr in Schleswig-Holstein, wünscht sich einen Grenzwert für Umgebungslärm. "Ich halte immer einen klaren rechtlichen Rahmen für alle für nachvollziehbarer."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 19.11.2019 | 21:15 Uhr

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