Hauptsache es dröhnt: laute Motorräder, genervte Anwohner
Christoph Bünte wohnt mitten in Berlin. Laut ist immer, der Verkehr der Straße vor seinem Haus gehört dazu, wie Meeresrauschen. Doch es gibt eine Ausnahme: viel zu laute Motorräder. "Die, die bis zum Anschlag aufgerissen werden, stechen hervor und stören uns in unserem Alltag", sagt der Familienvater.
Ihren Balkon nutzt die Familie nicht mehr und auch in der Wohnung sind die knatternden Motorräder immer wieder zu hören: "Dann spüre ich eine innere Unruhe. Ich kann nicht weghören, ich kann mich dem nicht entziehen. Mein Herz schlägt schneller. Lärm ist ein Gesundheitsfaktor, den wir nicht unterschätzen dürfen", meint Bünte.
"Jeder macht sich Sound individuell"
Auch das Herz von Motorradfahrer Kalle Haverland schlägt schneller - wenn er sich am Sound seiner Maschine erfreut: "Wenn ich auf meine Harley steige, dann fängt mein Herz erst an zu schlagen, dann wird mein Puls erst richtig lebendig." Manipulationen am Sound von Motorrädern sind beliebt bei Zweiradfahrern. Der Sound müsse sich unterscheiden, das Motorrad laut sein, sagt Kalle Haverland. Auch er hat geschraubt: "Jeder macht sich individuell seinen Sound an der Harley."
Manipulationen am Sound sind oft mit wenigen Schrauben möglich. Auch der Markt für Zubehör-Auspuffanlagen boomt - manche legal, manche illegal. Wenn Hersteller neue Maschinen zulassen wollen, müssen sie eine Fahrgeräusch-Prüfung bestehen. Gemessen wird bei einer Vorbeifahrt des Motorrads in einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Hier darf das Motorrad maximal 78 Dezibel laut sein. Kritiker monieren: Zu kleiner Kontrollbereich, zu hoher Grenzwert.
Polizei misst das Standgeräusch
Das Paradoxe: Die Lautstärke des Fahrgeräusches überprüft die Polizei in der Regel nicht. Begründung: zu aufwendig. Stattdessen wird das Standgeräusch kontrolliert, obwohl es keinem gesetzlichen Grenzwert unterliegt. Seine Lautstärke legt de facto der Hersteller fest. Bei der Genehmigung des Fahrzeugtyps wird ein Referenzwert gemessen und in die Papiere eingetragen. So kommt es zum Beispiel dazu, dass im Standgeräusch 100 Dezibel eingetragen sind und im Fahrgeräusch 78 Dezibel. Die Polizei kann oft nichts tun, viele Maschinen werden erst im Fahren zu Krachmachern.
Biker-Szene bleibt gelassen
Seitdem 1. Januar 2016 gibt es eine neue EU-weite Regelung, an der die Mitgliedsstaaten jahrelang verhandelten. Damit wurde der Geschwindigkeitsbereich, in dem Motorräder die Geräuschgrenzen einhalten müssen, ein wenig erweitert. Doch Kritikern ist der Kontrollbereich noch immer zu klein. Und auch eine Lösung für effektivere Lärmmessungen der Polizei sieht die neue Verordnung nicht vor. "Das Ziel, Motorräder endlich leiser zu machen, wird damit nicht erreicht", kritisiert Holger Siegel vom Arbeitskreis Motorradlärm im BUND. Denn hochtourige Fahrweisen, Auspuffklappen und höhere Geschwindigkeiten würden nicht berücksichtigt.
In der Biker-Szene sieht man die neue Regel inzwischen gelassen: Die bekannte Motorrad-Zeitschrift "Biker-News" erklärt den Bikern, welche neuen Schalldämpfer-Anlagen mithilfe einer elektronischen Steuerung die Klappen genau dann schließen, wenn ein Grenzwert eingehalten werden muss. Auch ein Zubehör-Hersteller besänftigt online seine Kunden: "Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, nichts wird verboten!"
Wer jetzt schon ein Motorrad besitzt und es kräftig röhren lässt, muss sich ohnehin keine Sorgen machen. Die neuen Regelungen zählen hier nicht. Für bisher zugelassene Maschinen gilt der Bestandsschutz.
Löchrige Vorschriften
Die Vorschriften löchrig, die Polizei machtlos. Familienvater Christoph Bünte hofft auf die Einsicht der Krachmacher: "Es fängt beim Motorradfahrer an. Er muss sich endlich bewusst werden, was er Unangenehmes tut, wie er uns einschränkt." Und Motorradfahrer Kalle Haverland? Er will vor allem eines: gehört werden. Leiser fahren - für ihn keine Option. "Wenn es mir selber auf den Sack geht, dann wäre ich vielleicht dazu bereit. Aber es heißt ja: je oller, je doller. Das heißt, vielleicht baue ich mir noch eine Scheibe mehr ein. 100 Prozent zufrieden bin ich noch nicht. Es gehen noch nicht alle Alarmanlagen los, wenn ich durch Einbahnstraßen brettere", sagt Kalle Haverland. Das klingt nicht gerade nach Empathie für lärmgeplagte Anwohner.