Stand: 08.12.2015 16:56 Uhr

Gewinner und Verlierer beim Mindestlohn

von Mareike Burgschat & Esra Özer

Seit knapp einem Jahr gilt er: Der Mindestlohn, für alle. Bis auf wenige Ausnahmen müssen Arbeitnehmer nun mindestens 8,50 Euro in der Stunde verdienen. Alle, die vor großen Arbeitsplatzverlusten gewarnt hatten, müssen nun eingestehen: so ist es nicht gekommen. Die Arbeitslosenquote ist so gering wie seit 24 Jahren nicht mehr.

Dass der Deutsche Gewerkschaftsbund eine positive Bilanz zieht, dürfte wenig überraschen. "Wir sind zufrieden. 3,6 Millionen Arbeitnehmer haben seit dem 1. Januar mehr Geld, spürbar mehr Geld. Das ist eine Erfolgsgeschichte, ein Erfolg der Gewerkschaften", so Vorstandsmitglied Stefan Körzell.

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Nur noch leise Bedenken

Doch auch Skeptiker äußern nur noch leise ihre Bedenken. So teilte das Institut der deutschen Wirtschaft Köln kürzlich mit, der Arbeitsmarkt in Deutschland sei nach wie vor "in blendender Verfassung. Daran hat auch die Einführung des Mindestlohn zu Jahresbeginn nichts geändert." Dabei was das Kölner Institut ein großer Bedenkenträger. Nur die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mag sich noch nicht  zu einer positiven Bewertung durchringen. "Natürlich erwarten wir Langfristig negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Wir erleben aber schon unmittelbar erhebliche Auswirkungen in neuer Bürokratie für die Unternehmen. Ich wüsste im Augenblick keinen Vorteil den ich mit dem Mindestlohn verbinden könnte", sagt Roland Wolf, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Arbeitsrecht beim BDA.

Ein Jahr Mindestlohn
Stefan Körzell, Deutscher Gewerkschaftsbund
1 Min

Pro

Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund zieht ein Jahr nach der Einführung des Mindestlohns eine positive Bilanz. 1 Min

Roland Wolf, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
1 Min

Contra

Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht keinen Vorteil, den er mit dem Mindestlohn verbinden kann. 1 Min

"Wir haben das gut gemeistert"

Auch längst nicht alle Arbeitgeber sehen den Mindestlohn als Problem. Bäckermeister Bernd Reichau betreibt acht Filialen im Osten Mecklenburg-Vorpommerns - eine Region, die als strukturschwach bezeichnet werden kann. 15.000 Euro mehr Lohnkosten jeden Monat bedeutet der Mindestlohn für das Familienunternehmen. "Wir haben befürchtet, dass wir uns verkleinern müssen, dass wir Filialen schließen müssen, dass wir praktisch den Betrieb gefährden durch diese starke Lohnsteigerung. Und dass die jahrelange Arbeit, der ganze Betrieb gefährdet ist."

Der Bäcker musste sein Sortiment überdenken, alle Filialen nochmal auf deren Wirtschaftlichkeit überprüfen und letztlich die Preise deutlich anheben. Ein schwerer Entschluss, denn in der einkommensschwachen Region ist die Konkurrenz der billigen Discounter besonders stark. Doch die Kunden hatten offenbar Verständnis und kauften weiter ihre Bäckerbrötchen. "Das ist mir schon eine große Last vom Herzen gefallen. Nach ein zwei Monaten konnte man noch nicht so viel absehen, aber nach zehn, elf Monaten können wir sagen: Wir haben das gut gemeistert." Inzwischen konnte er sogar einige Löhne noch weiter erhöhen - damit seine Bäckergesellen mehr verdienen als die Aushilfen.

Oft werden Überstunden nicht richtig ausgezahlt

Doch es wird auch noch immer getrickst: Lisa Pitaro arbeitete als Kellnerin in einem Restaurant. Laut Vertrag erhielt sie 1.600 Euro Brutto von ihrem Arbeitgeber für 40 Stunden pro Woche. Das macht einen Stundenlohn von über neun Euro. Eigentlich ganz gut, sogar deutlich über dem Mindestlohn von 8,50 Euro. Doch es kam anders. "In der Regel haben wir Doppelschichten gemacht, wir haben meistens um 9 Uhr angefangen und dann bis 23 Uhr durchgearbeitet. Oft auch ohne Pause." Allein im Juli dokumentiert die 25-Jährige 337 Arbeitsstunden. Fast doppelt so viel, wie vertraglich geregelt. "Das Problem war, dass wir nur zwei Festangestellte waren und die Aushilfen nur am Wochenende da waren. Deshalb mussten meine Kollegin und ich mindestens 14 oder 15 Stunden pro Tag arbeiten", erinnert sie sich.  

Lisa Pitaro steht im Park. © Screenshot
Lisa Pitaro arbeitete als Kellnerin oft Doppelschichten. Ohne ausgezahlte Überstunden kam sie auf einen Stundenlohn von nur 4,57 Euro.

Die dauerhaften Überstunden seien eine große körperlich eine große Belastung gewesen, sagt die gebürtige Italienerin. Nach drei Monaten kündigt sie. Damit müsste sie alle Ihre Überstunden zeitnah ausgezahlt bekommen. Doch das passierte nicht. Wiederholt fordert sie ihr Geld ein und wird von ihrem Chef vertröstet. Er zahlt ihr zwar den Monatslohn, die offenen Überstunden jedoch nicht. Lisa Pitaro sucht Hilfe bei der Gewerkschaft. Mark Baumeister von der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) kritisiert vor allem die Arbeitszeiten. Viele Arbeitgeber würden die Überstunden nicht richtig auszahlen und so würde der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro deutlich unterschritten. Dies sei ein üblicher Trick, den Mindestlohn zu umgehen: "Bei Frau Pitaro sind wir konkret auf einen Stundenlohn von nur 4,57 Euro gekommen, gerade weil ihre Überstunden nicht gezahlt wurden."

Bei einer Kündigung muss der Arbeitgeber Überstunden auszahlen

Der Arbeitgeber hat das Recht die Überstunden bis zum Ende des Jahres zu sammeln und sie dann auszuzahlen. Wenn die Angestellte jedoch kündigt, muss er die Überstunden mit dem letzten Lohn auszahlen. Das geschah bisher nicht. Panorama 3 bittet den Arbeitgeber von Lisa Pitaro um ein Interview. Nach langem Zögern erklärt dieser sich bereit, mit uns zu sprechen. Das Problem sei ihm nicht bewusst, den Mindestlohn hätte er gezahlt: "Sie hat laut Vertrag sogar mehr als 8,50 Euro die Stunde bekommen. Die Überstunden, das ist in der Tat so, habe ich bisher noch nicht bezahlt. Ich bin einfach manchmal überfordert. Ich bin noch nicht dazu gekommen." Er möchte nun auf die Gewerkschaft zugehen, um alles schleunigst zu klären, betont er. "Das war ein Missverständnis und meine Nachlässigkeit."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 08.12.2015 | 21:15 Uhr

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