Gefährliche Keime in Schlachtabwässern

Stand: 29.03.2022 06:00 Uhr

Über Schlachtabwässer gelangen antibiotikaresistente Bakterien in die Umwelt. Das zeigt eine neue Untersuchung der Umweltschutzorganisation Greenpeace.

von Oda Lambrecht, Christian Baars

An einer langen Stange hält ein Greenpeace-Mitarbeiter einen Proben-Behälter ins sprudelnde Wasser. Es fließt aus einem Rohr in einen Graben am Feldrand. Es handelt sich um das Abwasser eines nahegelegenen Schlachthofs. Greenpeace möchte herausfinden, ob sich darin Keime finden, gegen die wichtige Antibiotika nicht mehr wirken.

Greenpeace entnimmt Wasserproben © NDR
Greenpeace-Mitarbeiter haben Wasserproben unter anderem an Schlachthöfen in Niedersachsen entnommen.

Die Umweltschutzorganisation hat an vier Schlachthöfen Proben genommen, drei davon liegen in Niedersachsen, einer in Nordrhein-Westfalen. An jeweils sechs Tagen haben sie Wasser direkt aus den Einleitern abgefüllt und zur Untersuchung an die Universität Greifswald geschickt.

Ergebnis "besorgniserregend"

Dort hat die Mikrobiologin Katharina Schaufler die Proben analysiert. Sie bezeichnet das Ergebnis, welches Panorama 3 vorliegt, als "besorgniserregend". 35 von 44 analysierten Wasserproben enthielten multiresistente Keime. Gegen solche Bakterien wirken gleich mehrere Antibiotika nicht mehr.

Nach aktuellen Berechnungen sterben mehr als 1,2 Millionen Menschen weltweit pro Jahr an resistenten Bakterien. In Deutschland sind es mehr als 2000. Die resistenten Keime entstehen dort, wo viele Antibiotika eingesetzt werden - also etwa in Krankenhäusern, aber auch in der Tierhaltung. Die Bakterien können sich über die Umwelt ausbreiten - über das Wasser oder über Vögel, Insekten oder andere Tiere und so wieder bei Menschen landen.

Katharina Schaufler, Mikrobiologin © NDR
Wenn sich Antibiotikaresistenzen weiter so verbreiten, dann gerate die gesamte moderne Medizin in Gefahr, so die Mikrobiologin Katharina Schaufler.

Wenn sich Antibiotikaresistenzen weiter so verbreiten, dann gerate die gesamte moderne Medizin in Gefahr, erklärt Katharina Schaufler. Man könne zum Beispiel nicht mehr prophylaktisch für Operationen Antibiotika einsetzen, weil diese nicht mehr wirkten, wenn Resistenzen vorhanden seien. Und selbst eine einfache Blasenentzündung zu behandeln, könnte gegebenenfalls in Zukunft nicht mehr möglich sein.

Als besonders besorgniserregend ist aus ihrer Sicht, dass sich in den aktuellen Wasserproben auch Keime fanden, bei denen ein wichtiges Antibiotikum nicht mehr wirkt, nämlich Colistin. Der Wirkstoff ist von der WHO als "Reserve"-Mittel eingestuft. Er soll nur dann eingesetzt werden, wenn Menschen an einem lebensbedrohlichen Infekt erkrankt sind und andere Antibiotika nicht anschlagen. Das ist nach Informationen der WHO immer häufiger nötig. Das Auftreten von Resistenzen gegen das Medikament sei daher besorgniserregend.

Die Forderung: Ein Verbot von Colistin in Tierställen

Auch der NDR hatte bereits 2018 bei einer eigenen Untersuchung colistin-resistente Keime in verschiedenen Gewässern in Niedersachsen nachgewiesen - dort, wo viele Tiere gehalten werden. Zudem hatte eine Gruppe von Wissenschaftler:innen im Auftrag des Bundesforschungsministeriums die Ausbreitung antibiotikaresistenter Keime über das Wasser untersucht. 2020 hieß es im Abschlussbericht, die Verbreitung resistenter Bakterien über das "Abwasser von Geflügel- und Schweineschlachthöfen ist besorgniserregend".

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Viele Medizinerinnen, Mediziner und auch Greenpeace fordern deshalb, den Einsatz von Colistin in Tierställen zu verbieten. Für die Geflügelindustrie wäre das herausfordernd, erklärt Ronald Günther, Fachtierarzt für Geflügel. Die Tiere bekämen Antibiotika, wenn sich eine bakterielle Erkrankung abzeichne, so Günther. Das Mittel Colistin sei dabei eine wichtige Therapie-Option. "Wenn ich zu Alternativen greifen muss, stehe ich in der Bredouille, dass eventuell der Heilungsverlauf nicht so schnell stattfindet, dass die Tiere länger krank sind oder eventuell auch mehr sterben", sagt er.

Ronald Günther, Fachtierarzt für Geflügel © NDR
Tierarzt Ronald Günther hält ein mögliches Verbot von Colistin für "herausfordernd".

Die Mikrobiologin Katharina Schaufler, die auch Tierärztin ist, sagt, es müsse vor allem dafür gesorgt werden, dass gar nicht so viele Tiere behandelt werden müssten, also nicht krank werden. Nötig seien vor allem robustere Rassen und eine bessere Haltung. Man müsse dafür sorgen, "dass die Tiere mehr Platz haben und so, dass man einen Schritt in die ökologische Landwirtschaft geht", sagt Schaufler und fordert die Politik zum Handeln auf.

Filter könnten Keimzahl verringern

Doch ob sich in Zukunft etwas ändert, ist unklar. Das Bundeslandwirtschaftsministerium schreibt, man wolle prüfen, wie Besatzdichten in den Ställen reduziert werden können. Neue Gesetze sollen ermöglichen, eine Verbesserung der Haltung verpflichtend anzuordnen, wenn sich der Antibiotikaeinsatz nicht reduziere, so das Ministerium in Berlin. Deutschland liegt beim Einsatz von Antibiotika im Veterinärbereich im EU-Vergleich etwa im Mittelfeld - berechnet auf die Menge der Tiere. Zwar ist der Einsatz von Antibiotika hierzulande im vergangenen Jahrzehnt deutlich gesunken, seit einigen Jahren verändert sich allerdings kaum etwas.

Neben Verbesserungen in der Tierhaltung könnten auch spezielle Filter oder Reinigungsanlagen direkt an den Schlachthöfen die Verbreitung resistenter Keime deutlich reduzieren. Drei der vier von Greenpeace beprobten Schlachtbetriebe kommentierten die Untersuchungsergebnisse gegenüber dem NDR nicht. Einer schrieb, man mache sich viele Gedanken und habe in diesem Jahr Schritt für Schritt eine Ozonierungsanlage eingebaut, um Bakterien im Abwasser abzutöten.

Doch solche Verfahren sind in Deutschland bisher nicht vorgeschrieben. Das bestätigt das Bundesumweltministerium (BMU) dem NDR. Und daran wird sich wohl auch in Kürze nichts ändern. Denn zuständig sei hier die EU, so das BMU und dort würden solche konkreten Anforderungen an die Abwasserreinigung derzeit nicht vorgeschlagen.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.03.2022 | 21:15 Uhr