Gasversorgung: Wie die USA Deutschland bedrängen
Eigentlich gibt es kein großes Problem. Jedenfalls kein unlösbares in der Frage der Gasversorgung. Atom- und Kohlestrom müssen ersetzt werden. Das können die Erneuerbaren nicht sofort und in vollem Umfang leisten. Dafür wird Erdgas als Energiequelle einspringen müssen. Der deutsche Gasverbrauch, so viel scheint klar, wird steigen. Das drängt sich vor allem deshalb auf, weil seine Verbrennung weniger klima- und gesundheitsschädlich ist, als die von Kohle.
Streit um deutsch-russische Gaspipeline
Weil Deutschland selbst fast kein Gas aus dem Boden gewinnt, muss es den Rohstoff importieren. Die gute Nachricht: es gibt in der Welt mehr als genug davon. Mehr als genug, wenn man voraussetzt, dass Gas nicht die kommenden 100 Jahre als Energiequelle herhalten muss. Sondern klimafreundliche Alternativen weiterentwickelt werden. Gasvorräte lagern in vielen unterschiedlichen Ländern, von Algerien über das östliche Mittelmeer, in Iran und Azerbaijan bis Russland. Da tut der Rückgang der Förderung bei den Nachbarn in den Niederlanden eigentlich nicht besonders weh. Das "Problem" der Versorgung Deutschlands und Europas mit Gas scheint lösbar.
Deutschland baut vor allem auf die Zusammenarbeit mit Russland. Die bereits 2011 eingeweihte Gasleitung Nord Stream 1 durch die Ostsee hat sich bewährt. Deshalb wird nun eine zweite Pipeline durch die Ostsee verlegt: Nord Stream 2.
USA wollen überschüssiges Gas verkaufen
Da taucht nun doch ein Problem auf. Verkörpert wird es vom Kongress der Vereinigten Staaten, von der US-Gaswirtschaft und von Donald Trump. Die Vereinigten Staaten sind seit 2016 größter Gasproduzent der Welt. Die industrielle Förderung von Schiefergas (shale gas) hat es möglich gemacht. Die als "Fracking" bekannte Methode ist auch unter Klimagesichtspunkten umstritten, aus amerikanischer Sicht bringt die "shale revolution" vor allem aber einen gigantischen Gasüberschuss. Die Vereinigten Staaten produzieren deutlich mehr Erdgas als sie selbst verbrauchen. Ihren Überschuss wollen sie zu Geld machen. In wenigen Jahren wollen die Amerikaner zum weltgrößten Gasexporteur aufsteigen.
Vom Überangebot an Gas auf dem Weltmarkt könnten Verbraucher in Deutschland eigentlich profitieren. Kunden könnten sich "frei" das günstigste Angebot aussuchen. Nur haben die Amerikaner, gerne Vorkämpfer des freien Marktes, beim Gas etwas dagegen. Denn beim Gas geht es auch um Macht und Einfluss. Der politische Kampf ist bis in die norddeutschen Niederrungen spürbar. Ganz offen bekämpfen die Vereinigten Staaten die Gaslieferungen aus Russland und die Pipeline Nord Stream 2. Sie drohen mit Sanktionen gegen deutsche Energiefirmen und mit Strafzöllen auf deutsche Industrieprodukte, um die Gaseinfuhr aus Russland zu torpedieren. Das Gas aus den USA hat einen Nachteil. Um es über den Atlantik zu bringen, muss das Fracking-Gas auf -162 Grad herunterkühlt und auf Spezialtanker verladen werden. Zur Zeit ist dieses Flüssiggas (LNG, "Liquefied Natural Gas") in Deutschland rund 20 Prozent teurer als russisches Pipeline-Gas.
Sanktionen, um Nord Stream 2 zu verhindern
Im vergangenen Oktober organisieren das US-Konsulat an der Elbe und die Konrad Adenauer-Stiftung im "Amerika-Haus" einen Vortrag. Sprechen wird Agnia Grigas, Doktorin der Politikwissenschaft. Die Gas-Lobbyistin arbeitet für die nationalistische Denkfabrik "Atlantic Council" - und für das State Department. 2017 hat sie bei Harvard University Press ihr Buch "The New Geopolitics of Natural Gas" herausgebracht. Sie hat also die weltweite Bedeutung des amerikanischen Erdgases schon "wissenschaftlich" belegt. Die Botschaft ihres Vortrages in Hamburg ist einfach: russisches Gas ist schlecht, amerikanisches Gas ist gut. Chemisch-physikalisch gibt es zwischen beiden keinen Unterschied. Aber es ist politisch gemeint. Zur Untermauerung projiziert Agnia Grigas ein Foto an die Leinwand, das einen lachenden Wladimir Putin mit einem lachenden Gerhard Schröder (SPD) zeigt. Es sind die "bad guys" dieses Abends. "Amerikanische Energie-Unternehmen werden jetzt die Spielregeln auf dem Weltgasmarkt verändern", sagt Agnia Grigas.
Nichts stört dabei so wie die neue russisch-deutsche Gasleitung Nord Stream 2. Auf die Frage, ob Nord Stream 2 überhaupt noch gestoppt werden könne, antwortet Agnia Grigas optimistisch: "Ich denke ja." Sie verweist auf drohende US-Sanktionen gegen das Projekt. "Im Moment debattiert der Kongress in Washington über fünf neue Gesetzesvorschläge. Wenn nur einer davon durchkommt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Regierung mit Sanktionen gegen die an der Gasleitung beteiligten Firmen vorgeht", so Grigas.
2017 hat der US-Kongress bereits eine klare Linie vorgegeben. Im "Countering America´s Adversaries through Sanctions Act" (etwa: "Das Gesetz zur Zurückdrängung von Amerikas Gegnern mit Hilfe von Sanktionen"), kurz "CAATSA", wird Nord Stream 2 schon explizit erwähnt. Die Administration wird durch dieses Gesetz verpflichtet, sich dem Bau der Ostsee-Pipeline zu widersetzen und stattdessen den Export amerikanischen Erdgases und die Schaffung amerikanischer Arbeitsplätze zu fördern.
"Herausragende Rolle" für den Norden?
Gas-Lobbyistin Grigas gibt den deutschen Gastgebern in Hamburg eine klare Empfehlung. Deutschland solle Hafen-Terminals für die Anlandung von Flüssiggas bauen, "und zwar schnell". Norddeutschland werde in der neuen Gaswelt eine "herausragende Rolle spielen." Die Botschaft von Agnia Grigas passt perfekt ins Schema von Donald Trump. Am 26. Juli 2018 hat der US-Präsident den Europäern die Zusage abgerungen, künftig bedeutende Mengen Flüssiggas aus den Vereinigten Staaten zu importieren. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprach das am Schluss seines Besuches im Weißen Haus. Im Gegenzug werde es keine Strafzölle auf europäische Industrieprodukte wie Autos geben, so Juncker.
An Unterelbe und Nordseeküste spürt die LNG-Branche seitdem einigen Rückenwind fürs Geschäft. In Stade und Brunsbüttel möchten Investoren Terminals für den Import von Flüssiggas bauen. Auch Wilhelmshaven ist im Rennen. Ingenieur Manfred Schubert ist Projekt-Manager in Stade. Am niedersächsischen Elbufer hat seit Jahrzehnten der US-Chemiegigant Dow einen großen Standort. "Das Know-How für die Anlandung von Flüssiggas und die Regasifizierung ist hier vorhanden", erklärt Schubert im Interview mit Panorama 3. "Wir sprechen schon mit potenziellen amerikanischen Exporteuren." Bei den Verhandlungen gehe es um "langfristige Lieferverträge mit Laufzeiten von zehn bis zwanzig Jahren." Über den amerikanischen Druck gegen Nord Stream 2 ist Schubert nicht unglücklich. Das sagt er ganz offen: "Für die LNG-Standorte hier in Deutschland hat es Vorteile, wenn Nord Stream 2 nicht gebaut wird."
Altmaier und die Frage: Was ist im Interesse Deutschlands?
Der Druck aus Amerika wirkt inzwischen mächtig in Berlin. Im Oktober erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass Deutschland LNG-Terminals bauen werde. Ihr Wirtschaftsminister und Parteikollege Peter Altmaier kümmert sich um die Details. Er hat staatliche Förderungen für den Bau der neuen Hafenanlagen und Leitungsanschlüsse in Aussicht gestellt. Das wird Milliarden kosten, weshalb private Investoren staatliche "Anreize" gerne annehmen.
Berlin vergangene Woche. In einem prunkvollen Saal des Bundeswirtschaftsministeriums empfängt Altmaier den amerikanischen Vize-Energieminister Dan Brouillette und Vertreter der US-Gasbranche. Auch Projekt-Manager Manfred Schubert aus Stade und Wettbewerber aus Brunsbüttel und Wilhelmshaven sind dabei. Er gehe davon aus, dass "mindestens zwei LNG-Terminals" in Nordwestdeutschland gebaut würden, verkündet der Bundeswirtschaftsminister. Sein Gast aus Washington ist zufrieden. Der Ausdruck, der in Dan Brouillettes Rede am häufigsten vorkommt, ist "unlimited opportunity" - unbegrenzte Möglichkeit. Seine Werbung für amerikanisches LNG geht so weit, dass er die "gute Umwelt- und Klimabilanz" des mit Fracking gewonnenen Gases und der amerikanischen Energiepolitik insgesamt hervorhebt. Peter Altmaier lächelt still über diese eigenwillige Lesart. Panorama 3 fragt den deutschen Wirtschaftsminister, ob er den amerikanischen Wunsch, auf Nord Stream 2 zu verzichten, erfüllen werde. Altmaier weicht aus: "Wir reden hier über LNG", sagt er. Der Import von Flüssiggas sei ganz "im eigenen Interesse Deutschlands".