LNG-Schiff leitet weiter Chlor in die Nordsee
Seit zwei Jahren liegt ein Schiff, auf dem Flüssiggas behandelt wird, vor Wilhelmshaven. In diesem Prozess wird Chlor ins Meer geleitet, obwohl es eine umweltfreundlichere Methode gäbe. Anwohner und Umweltschützer wollen das nicht länger hinnehmen.
Über dem Meer hängt noch der Morgennebel, als eine Gruppe von ein Dutzend Schwimmern ins sechs Grad kalte Nordseewasser taucht. Ein Schwarm Steinwälzer zieht über ihre Köpfe hinweg. Eigentlich ein idyllisches Bild, doch die Schwimmer sind verärgert. "Wir gehen hier nur kurz rein, aber die Fische und die Fauna leben hier ständig drin", sagt Rolf Plake, als er aus dem Wasser kommt.
Denn an der gleichen Bucht liegt nur wenige Kilometer entfernt ein LNG-Schiff mit Namen Höegh Esperanza. Von ihm wird Flüssiggas ins Gasnetz eingespeist. Bei diesem Prozess wird Meerwasser angesaugt und die darin enthaltene Wärme genutzt. Damit die im Meerwasser enthaltenen Pflanzen und Organismen nicht an den Schiffsrohren haften, werden sie mit Chlor abgetötet, bevor das Wasser mit den darin enthaltenen Schadstoffen anschließend wieder ins Meer geleitet wird.
Kritiker werden nicht gehört
Anwohner gehen im Jadebusen das ganze Jahr über in der Innenjade schwimmen, in der auch das Flüssiggas-Schiff liegt. Schon mehr als zwei Jahre protestieren sie gegen die Chloreinleitungen. Sie befürchten, dass das sensible Ökosystem Wattenmeer Schaden nimmt. Bis heute hält die Kritik vor Ort an. Viele haben sich sehr tief in das Thema eingearbeitet.
Dieter Schäfermeier ist Gemeinderatsmitglied in der Gemeinde Wangerland. Früher hat er selbst Flüssiggasterminals geplant. Zu der Chloreinleitung hat er sich hunderte Dokumente angesehen, die der Betreiber des Schiffes mit dem Namen Höegh Esperanza für die Genehmigung der Chloreinleitungen einreichen musste. Darin fand er auch Tabellen, in denen die Schadstoffe einzeln aufgelistet wurden, die in die Nordsee eingeleitet werden dürfen. Besonders beunruhigend findet Dieter Schäfermeier, dass sich aus dem eingeleiteten Schadstoffgemisch die giftigsten Substanzen als letzte im Meerwasser auflösen würden. Das hat er auch so im Gemeinderat berichtet. Für den Bürgermeister der Gemeinde ist daher klar, dass das Schiff endlich auf eine umweltfreundlichere Technologie umgerüstet werden muss.
Umrüstung scheitert nicht an den Kosten
Der Haushaltsausschuss hat die Übernahme der Kosten einer umweltfreundlicheren Umrüstung schon am 29.3.2023 beschlossen. Und damit auch, dass die Regierung die Umrüstung beauftragen sollte. Doch bis heute ist das nicht passiert. Andreas Mattfeldt (CDU) ist seit 16 Jahren Mitglied des Haushaltsausschusses und sogar Berichterstatter für das Bundeswirtschaftsministerium.
Dass ein Beschluss des Haushaltsausschusses so lange ignoriert wird, habe er in 16 Jahren nicht erlebt, so Mattfeldt: Der Haushaltsausschuss sei der mächtigste Ausschuss im Deutschen Bundestages. Er bestimme, wie die Bundesmittel verwendet würden. Mehrmals hat Mattfeldt eine Aussprache über die fehlende Umsetzung des Beschlusses durch die Regierung auf die Tagesordnung des Haushaltsausschusses gesetzt. Doch der Punkt sei von den Haushaltsmitgliedern der damaligen Regierungsparteien immer wieder abgesetzt worden, so Andreas Mattfeldt.
Umrüstung angeblich technisch nicht möglich
Das Bundeswirtschaftsministerium argumentiert auf Anfrage, die Umrüstung sei keine Kostenfrage. Sie funktioniere möglicherweise technisch nicht. Das schreibt auch die bundeseigene Gesellschaft DET. Sie ist Betreiberin des Schiffes. Eine Umrüstung des Flüssiggasschiffes mit dem Namen Höegh Esperanza sei technisch nicht vertretbar.
Eine umweltfreundlichere Methode hat Jan Kelling mit seinem Unternehmen in Kiel entwickelt. In dem Verfahren verhindert Ultraschall, dass die Rohre an Bord eines Schiffes zuwachsen - ohne Chlor. Laut dem Entwickler ist diese auf 1200 Schiffen bereits im Einsatz, darunter auch ein Schiff, das Flüssiggas umwandelt.
Grenzwerte angeblich eingehalten
Die Nutzung der Chlor Methode begründet die DET gegenüber Panorama 3 auch damit, dass die genehmigten Grenzwerte eingehalten würden. Dabei ist öffentlich einsehbar, dass sie teilweise überschritten werden. Manchmal um fast das Doppelte. Grundsätzlich sei es Stand des letzten Jahrhunderts, dass Schadstoffe aus einem technologischen Prozess einfach in die Umwelt entlassen würden, kritisierte Matthias Brenner, Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut schon 2023 gegenüber Panorama 3. Gerade, wenn der Staat involviert sei, solle er mit gutem Beispiel voran gehen.
Besonders verärgert sind die Anwohner auch deshalb, weil der Einsatz der Höegh Esperanza in Australien verboten wurde. In einem längeren Prüfverfahren kamen die Behörden in Australien zu dem Schluss, dass lediglich eine Chlor-Einleitung von bis zu zwei Mikrogramm pro Liter aus Umweltsicht tolerabel sei und ließen den Einsatz des Schiffes daraufhin nicht zu. In Deutschland wurde hingegen erlaubt, dass sogar 200 Mikrogramm Chlor pro Liter, also das Hundertfache, eingeleitet werden dürfen.
Angeblich keine Gewässerbeeinträchtigung feststellbar
Ein weiteres Argument aus dem Bundeswirtschaftsministerium lautet, eine Umrüstung sei nicht vertretbar, da bisher keine Gewässerbeeinträchtigungen feststellbar seien. Dabei beruft sich das Ministerium auf ein Monitoring, zu dem Panorama 3 schon 2023 recherchiert hat. Renommierte Wissenschaftler:innen kritisierten es an mehreren Punkten: Sowohl die Art der Probenahme als auch das angewandte Verfahren seien zu ungenau.
Prof. Gesine Witt ist Expertin für Schadstoffe im Meer an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW). Sie bemängelt, dass mit diesen Messverfahren die giftigsten Chlor-Verbindungen gar nicht erfasst würden, diese können aber nachweislich schon in niedriger Konzentration Meeresorganismen schädigen. Sie kann nicht nachvollziehen, dass die zuständige Behörde aufgrund dieses Monitorings eine Verschlechterung des Meerwassers ausschließt.
Genau das hatte auch der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz in einer Pressemeldung getan. Diese Aussage sei wissenschaftlich überhaupt nicht seriös, so die Expertin Prof. Dr. Gesine Witt.
Schadstoffumwandlung im Meer
Das Bundeswirtschaftsministerium liefert noch ein weiteres fragwürdiges Argument. Danach werde das erzeugte Chlor sogar zu 80-90% wieder in Meersalz zurückverwandelt. Auch dem widerspricht Prof. Dr. Gesine Witt entschieden. Chlor verwandele sich im Meerwasser nicht einfach wieder zu Meersalz. Insbesondere reagiere das meiste Chlor schnell mit anderen Stoffen. Das könne dann zur Bildung verschiedener chlorierter Verbindungen führen, die für Meeresorganismen schädlich sind. Deshalb werde der Prozess normalerweise technologisch begleitet, um sicherzustellen, dass freies Chlor kontrolliert in ungefährlichere Formen umgewandelt wir.
Auf Anfrage von Panorama 3 räumt das niedersächsische Umweltministerium jedoch ein, dass im Fall der Höegh Esperanza kein „technologisches Verfahren zur Reduzierung von Chlor zu Meersalz“ zum Einsatz käme. Das passiere „natürlicherweise“ im Meer. Die Aussage, die Rückverwandlung erfolge „natürlich“ zu Meersalz, ist irreführend und im beschriebenen Kontext wissenschaftlich falsch, so Prof. Gesine Witt.
Klage der DUH
Die Deutsche Umwelthilfe übt harte Kritik daran, dass schon seit zwei Jahren Chlor und giftige Chlorverbindungen in den Jadebusen eingeleitet würden und klagt gegen die Erlaubnis, die der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten– und Naturschutz erteilt hatte. Die DUH kritisiert auch das begleitende Monitoring scharf. Es sei nicht sicher nachvollziehbar, wie häufig es zu Grenzüberschreitungen komme. Verhandelt wird am 19.12.2024 am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Deutsche Umwelthilfe hofft, dass die Einleitung von Chlor in den Jadebusen per Gerichtsbeschluss noch vor Weihnachten verboten wird.