Femizide: Wie schutzlos sind Frauen in Deutschland?

Stand: 16.08.2022 10:30 Uhr

Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 100 Frauen ermordet, von ihren Partnern oder Ex-Partnern. Also fast jeden dritten Tag gibt es eine Frauentötung, den Versuch die Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, gibt es laut Polizeistatistik jeden Tag: Um Macht auszuüben, sich für eine Trennung zu rächen oder einfach aus verletztem Stolz.

von Inga Mathwig und Carsten Janz

Am Tag der Tat sieht man auf Bildern der Überwachungskameras, dass Hartmut F. einen Schalldämpfer auf die Maschinenpistole schraubt. © Screenshot
Am Tag der Tat sieht man auf Bildern der Überwachungskameras, dass Hartmut F. einen Schalldämpfer auf die Maschinenpistole schraubt.

In Dänischenhagen, Schleswig-Holstein, ermordet im Mai vergangenen Jahres Hartmut F. seine getrenntlebende Ehefrau Hanna. Mit einer Maschinenpistole trifft er sie 48 Mal, sieben Kugeln treffen ihren neuen Freund. Sie sind beide auf der Stelle tot. Danach fährt Hartmut F. zu einem Bekannten, den er für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich macht, und tötet auch ihn. 

Hätte der Mord verhindert werden können?

Dieser Fall sorgte bundesweit für Aufsehen, weil die Tat so brutal war. Auch wenn drei Menschen sterben, ist es ein klassischer Femizid. Also die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Hartmut F. wollte sich offenbar dafür rächen, dass sich seine Frau nach gut 15 Jahren Ehe von ihm getrennt hatte. "Er wollte die Kontrolle wiedererlangen", sagt Dilken Celebi vom Deutschen Juristinnenbund. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit partnerschaftlicher Gewalt und Femiziden. "Dass seine Frau einen neuen Partner hatte, damit kam Hartmut F. offensichtlich nicht klar. Das hat zur Eskalation seines inneren Konfliktes geführt. Deshalb hat er seine Frau und den neuen Partner getötet."

Dabei hatte alles sehr harmonisch angefangen. Hanna und Hartmut lernten sich in der Uni kennen, beide studierten Zahnmedizin in Kiel. Sie war 25, er gut fünf Jahre älter. Sie ziehen schon nach wenigen Wochen zusammen, heiraten und erwarten ihr erstes Kind. Am Ende hatten sie vier Kinder und lebten idyllisch auf einem renovierten Resthof am Westensee in der Nähe von Kiel. Hätte der Mord an Hanna F. verhindert werden können?

Jeden Tag versucht ein Mann eine Frau zu töten

Im Jahr 2020 starben 139 Frauen aufgrund von partnerschaftlicher Gewalt - also jeden dritten Tag wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Und aus polizeilichen Statistiken ist zu sehen, dass es jeden Tag den Versuch einer Tötung gibt. Schaut man genauer hin, geht aus den Zahlen auch hervor, dass Gewalt in Partnerschaften zu 90 Prozent Frauen betrifft.

Nach der Trennung übt Hartmut F. massiv Druck auf seine Frau aus. Er fährt ihr hinterher, fängt sie ab und, wie sich später herausstellt, überwacht er sie sogar mit einem Peilsender. Auf der anderen Seite hat er selbst Affären und führt eine Art Doppelleben. Er misst hier also offenbar mit zweierlei Maß. Die Trennung ist häufig ein Trigger - viele Männer geben sie später als Grund für den Mord an. Vorher eskaliert die Situation aber meist schon mindestens einmal.

Keine Risikoanalyse, Annäherungsverbot nicht kontrolliert

Ende 2020, wenige Monate nach der Trennung, trifft sich Hanna noch einmal mit Hartmut F. Er drängt darauf, weil er sich eine Klärung der Situation erhofft. Doch bei dem Treffen wird er aggressiv und verprügelt seine Frau so sehr, dass sie am Ende mehrere Knochenbrüche erleidet und sich gerade so zu den Nachbarn retten kann. Daraufhin erwirkt sie ein Annäherungsverbot. Bis auf 100 Meter darf sich Hartmut F. seiner Frau nicht mehr nähern. "Es ist gut, dass es so etwas gibt", sagt Juristin Dilken Celebi. "Leider hält sich in der Regel kein Mann daran und die Polizei kontrolliert es auch nicht." So läuft es auch in diesem Fall. 

In Partnerschaften sind die Opfer von Mord und Totschlag zu mehr als 90 Prozent Frauen. © Screenshot
In Partnerschaften sind die Opfer von Mord und Totschlag zu mehr als 90 Prozent Frauen.

Um solche Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen, gibt es zwei Fragebögen, die Behörden ausfüllen könnten. So können sie schauen, wie groß die Gefahr ist, der die Frauen ausgesetzt sind. Diese Risikoanalyse wurde aber bei Hanna F. nicht gemacht und so eskaliert die Situation weiter. Der Umgang mit diesen Fragebögen ist deutschlandweit nicht einheitlich geregelt. In sechs Bundesländern nutzen Beamte mindestens einen der beiden Risikoanalyse-Fragebögen und in vier weiteren läuft noch eine Testphase. In sechs Bundesländern wird keiner der beiden Fragebögen genutzt.

Behördenmaßnahmen greifen nicht

Wenige Tage vor der Tat späht Hartmut F. das Haus vom neuen Freund seiner Frau aus. Er macht Fotos und googelt Dinge wie: "Leben mit Schuld". Am Tag der Tat sieht man auf Bildern der Überwachungskameras, dass er einen Schalldämpfer auf die Maschinenpistole schraubt. Dann sucht er das Auto seiner Frau über den Peilsender und fährt ihr hinterher. Und er tötet sie mit 48 Schüssen. 

Bei dem Mord gab es keine Schreie, so berichten es später Zeugen. Die frisch Verliebten wurden von Hartmut F. überrascht. Am Ende bleibt die Frage offen, ob die Polizei die Gefahr hätte sehen können, wenn sie die Risikoanalyse durchgeführt hätte. Dieser und mehr als 100 weitere Fälle zeigen, so Juristin Celibi, dass Frauen einer großen Gefahr ausgesetzt sind und viele Maßnahmen der Behörden nicht greifen oder zu wenig angewendet werden.

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