Deutscher Müll auf illegalen Deponien in Polen

Stand: 22.02.2022 18:00 Uhr

Tausende Tonnen Plastikmüll aus Deutschland verrotten auf illegalen Müllkippen in Polen. Deutsche Müllunternehmen haben den schwer recyclebaren Müll wohl nach Polen exportiert. Dort wurde er dann offenbar illegal entsorgt.

von Michael Billig, Anna Klühspies, Marius Münstermann und Nils Naber

Im Industriegebiet von Zgierz, rund 100 Kilometer von Warschau entfernt, türmen sich tausende Tonnen Abfälle in die Höhe. Neben Müll aus halb Europa liegen hier auch Kunststoffabfälle aus Deutschland: Plastikverpackungen von Fertiggerichten, Milchpackungen, Blumenerde-Säcke. So wie in Zgierz rottet auf vielen weiteren illegalen Deponien in Polen deutscher Kunststoffabfall vor sich hin. Auch im kleinen Dorf Sarbia, das mitten in Polen liegt. 2018 wurden hier rund 8.700 Tonnen Plastikabfälle abgeladen. Der Großteil des Mülls stammt auch auf dieser Deponie aus Deutschland. Die Abfälle - alle in Ballen gepresst - sehen so aus, als wären sie einmal in Deutschland in der gelben Tonne oder dem gelben Sack gelandet. Entsorgt wurden sie dann offenbar in Polen.

Das große Geschäft mit dem Müll

Grzegorz Wielgosiński, Müll-Experte, Professor der Technischen Universität Lodz © Screenshot
Macht die ehemals losen Bestimmungen für die vielen illegalen Deponien in Polen verantwortlich: Grzegorz Wielgosiński von der Technische Universität Lodz.

Dass in Polen in den vergangenen Jahren so viele illegale Deponien entstanden sind, hat laut Müll-Experte Grzegorz Wielgosiński von der Technischen Universität Lodz vor allem einen Grund: Es sei in Polen sehr einfach gewesen ein Recyclingunternehmen auf dem Papier zu gründen. Ein Pachtvertrag für ein Grundstück und die Beschreibung einer Recyclinganlage reichte, "man musste sie nicht mal besitzen." Diese losen Bestimmungen zogen laut Wielgosiński Geschäftemacher an, die mit Müll das große Geschäft witterten. Die Müllunternehmen hätten Preise unterhalb der marktüblichen Preise angeboten. So wurde das Geschäft offenbar auch für deutsche Müllentsorger attraktiv. "Diese Abfälle kamen nach Polen und wurden in einigen Fällen einfach irgendwo abgeladen", erzählt Wielgosiński. Erst im Jahr 2019 verabschiedete Polen eine Gesetzesverschärfung, die die Gründung von Recyclingunternehmen erschwerte.

Illegale Deponie gefährlich nahe am Trinkwasser

Alba ist ein Unternehmen der Entsorgungs- und Recyclingbranche. © Screenshot
Auf der Deponie in Sarbia liegen auch Abfälle aus einer Sortieranlage des deutschen Entsorgungs-Konzerns Alba.

Wohin die Skrupellosigkeit dieser "Müll-Mafia" führte, wird im kleinen Dorf Sarbia besonders sichtbar. Hier befindet sich die illegale Deponie in unmittelbarer Nähe zur Wasserquelle des Ortes. Die Anwohner machen sich große Sorgen um ihr Trinkwasser.

Der Fall Sarbia offenbart auch, wie schwierig es ist, die Verantwortlichen für deutschen Müll in Polen auszumachen. Recherchen von Panorama 3 zeigen, dass auf der Deponie in Sarbia unter anderem Abfälle aus der Sortieranlage des Konzerns Alba in Braunschweig liegen. Die polnischen Behörden hatten an Müllballen in Sarbia eine Identifikationsnummer entdeckt. Bislang war den polnischen Behörden aber offenbar nicht bekannt, dass diese Nummer zur Anlage von Alba gehört. Auf Nachfrage heißt es von Alba, man habe im Zeitraum 2017/2018 keinen Müll nach Polen exportiert, man habe aber deutsche Firmen mit Abfall beliefert. Über diese Unternehmen könne der Müll nach Polen gelangt sein. Den Namen dieser Geschäftspartner nennt Alba nicht.

Hinweise auf weitere deutsche Firmen

Und es gibt Hinweise zu weiteren Firmen, deren Abfälle auf der illegalen Deponie in Sarbia landeten. Panorama 3 liegt ein Schreiben des stellvertretenden polnischen Umweltministers an die damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze aus dem Sommer 2021 vor. Darin benennt der polnische Minister die Firma Lobbe aus Iserlohn in Nordrhein-Westfalen und die Firma Böhme aus Rehau in Bayern als Unternehmen, von denen ein Teil des Mülls in Sarbia stammt. Der polnische Politiker fordert eine unverzügliche Rückholung des Mülls. Trotz mehrfacher Nachfrage will sich vom Entsorger Lobbe niemand zu diesem Fall äußern. Und der Chef der Firma Böhme betont auf Anfrage, der Export des Mülls sei legal abgelaufen. Er verweist auf das polnische Unternehmen, an das Böhme den Müll geliefert habe. Die Verantwortung für den Müll wird einfach weitergereicht. Auch das Bundesumweltministerium äußert sich zu dem Brief nur ausweichend mit dem Hinweis Abfallverbringung sei Ländersache.

Peter Kurth, Entsorgerverband BDE © Screenshot
Verurteilt die illegalen Exporte scharf: Peter Kurth vom Entsorgerverband BDE.

Zuständig für den Transport dieses Mülls nach Polen war damals ein Recyclingunternehmen in Chelmek bei Katowice, viele hundert Kilometer von Sarbia entfernt. Auf Nachfrage bestätigt das Unternehmen, in der Vergangenheit Geschäfte mit Böhme und Lobbe gemacht zu haben. Mit dem Müll in Sarbia habe man allerdings sehr wenig zu tun. Lediglich drei LKW-Ladungen mit Müll seien von einem früheren Geschäftspartner "gestohlen" und nach Sarbia gebracht worden, so die bemerkenswerte Erklärung. Ob sie stimmt, kann nicht abschließend geklärt werden. Die polnische Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem merkwürdigen Fall seit Jahren, bisher ohne Ergebnis.

Illegale Exporte scharf verurteilt

Und was können Politik und Unternehmen in Deutschland tun, um den illegalen Müllhandel einzudämmen? Der Präsident des Entsorgerverbands BDE, Peter Kurth, verurteilt die illegalen Exporte scharf. Es handle sich in jedem Einzelfall um "eine Straftat, die bestraft und verfolgt gehört." Der grenzüberschreitenden Abfalltransport sei allerdings unbedingt notwendig, um die Kreislaufwirtschaft am Laufen zu halten. Zur Verantwortung der eigenen Branche hält sich Peter Kurth bedeckt und verweist darauf, dass der Staat die Einhaltung der Regeln durchsetzen müsse.

Jan Op Gen Oorth, Pressesprecher Europol © Screenshot
Illegaler Handel mit Müll sei ein riesiges Geschäft, so Jan Op Gen Oorth, Pressesprecher von Europol.

Die neue Umweltministerin Steffi Lemke hatte zwar kürzlich ein Exportverbot von Müll auf EU-Ebene zur Diskussion gestellt, um den illegalen Müllhandel einzudämmen. Am Müllexport innerhalb der EU würde das aber wohl wenig ändern.

Nach Schätzung der Polizeibehörde Europol wird beim illegalen Handel mit normalem Müll europaweit pro Jahr "bis zu zehn Milliarden Euro Gewinn gemacht", so Pressesprecher Jan Op Gen Oorth.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 22.02.2022 | 21:15 Uhr

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