Der gebremste Windkraftausbau
Der Ausbau der Windkraft in Deutschland ist massiv ins Stocken geraten. So wenige Windräder wie in diesem Jahr wurden das letzte Mal vor 20 Jahren gebaut. In einer Zeit lange vor Fukushima und dem Beschluss, weg von Kohle und Atomstrom, hin zur Energiewende. Doch damit die gelingen kann, braucht das Land erneuerbare Energien. Bis 2030 soll sich die Strommenge, die aus Wind gewonnen wird, verdoppeln - eigentlich. Doch 2019 sind in Norddeutschland bislang nur 26 zusätzliche Windenergieanlagen ans Netz gegangen. Es wurden zwar 57 neue gebaut, gleichzeitig aber 31 alte Anlagen abgestellt. Auch bei der Leistung der Anlagen nimmt der Schwung ab: Bis Ende September 2019 sind bundesweit nur Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 507 Megawatt ans Netz gegangen - ein Wert, der in den vergangen fünf Jahren schon nach drei Monaten erreicht war.
Doch woran liegt das? Dem Bundesverband Windenergie zufolge sind die aktuell größten Hemmnisse beim Windkraftausbau sogenannte Funkfeuer, Radaranlagen der Deutschen Flugsicherung. Diese Anlagen brauchen in Deutschland einen außergewöhnlich großen Sicherheitsabstand. Bundesweit blockiert die Flugsicherung mindestens 1.100 der bereits beantragten Windräder.
Funkfeuer verhindern Windradausbau
Windparkbetreiber Nils Niescken steht am Fuße eines runden Fundaments. Dort sollte eigentlich ein Windrad stehen. Wäre da nicht das knapp 14,7 Kilometer entfernte Funkfeuer im niedersächsischen Sarstedt. Das Problem: Bei einem Abstand von weniger als 15 Kilometern zu einem geplanten Windrad hat die Flugsicherung bei der Genehmigung ein Mitspracherecht und lässt nur eine begrenzte Anzahl von Windrädern innerhalb dieses Radius zu. Und Niescken hat auf eigenes Risiko schon mal angefangen zu bauen. Ein Unterschied von 400 Metern ist ihm hier zum Verhängnis geworden. Er zeigt auf ein Windrad hinter ihm, das durfte er bauen: "Die Anlage dort drüben ist 15,1 Kilometer entfernt. Und so außerhalb des Prüfradius."
Die 15 Kilometer gelten nur in Deutschland. Die Internationale Weltluftfahrtbehörde ICAO empfiehlt eigentlich weltweit zehn Kilometer. Die Navigation von Flugzeugen über Funk ist veraltet. Heute läuft diese GPS-gestützt, kommt ohne Funkfeuer aus. Die sind nur noch eine Art Notfalltechnologie. Bis 2030 soll die Anzahl der Navigationsanlagen sogar bis um die Hälfte reduziert werden.
Deutschland ein Sonderfall?
Doch Anja Naumann von der Deutschen Flugsicherung pocht auf die Bedeutung der Funkfeuer und den 15 Kilometer Abstand. "Wir simulieren, welche Auswirkungen eine zukünftige Windkraftanlage auf die Genauigkeit der abgestrahlten Signale hat", erklärt sie. "Wenn es die Sicherheit beeinträchtigt, müssen wir Stopp sagen." Belgien hat sich sogar für noch weniger entschieden, sieben Kilometer, Spanien sogar für nur drei Kilometer. Das könnten die machen, weil sie eben weniger Windkraftanlagen haben, meint Anja Naumann. Deutschland sei durch den massiven Windkraftausbau ein Sonderfall. Die ICAO empfiehlt weiter den Zehn-Kilometer-Abstand zwischen Funkfeuer und Windrad - weltweit.
"Viel Widerstand vor Ort"
In Schleswig-Holstein sind es vor allem die Klagen von Anwohnern und Naturschützern, die den Ausbau mittlerweile fast lahmgelegt haben. 2015 kippte das Oberverwaltungsgericht Schleswig nach einer Klage die gesamte Windkraftplanung des Landes. Die Begründung: Die Öffentlichkeit sei bislang nicht ausreichend beteiligt worden. Das Land hat sich danach ein sogenanntes Moratorium verordnet, einen Ausbaustopp. Jede einzelne Fläche für Windkraft wird jetzt neu geprüft, tausende Stellungnahmen von Betroffenen bearbeitet. Neue Windräder gibt es solange nur mit Ausnahmegenehmigungen.
"Es gibt viel Widerstand vor Ort, und das lässt sich nur ändern, wenn tatsächlich mal die Politik sich klar hinter diese Branche auch stellt", erklärt Umweltminister Jan Philipp Albrecht. Aber die Politik - ist er das nicht auch selbst? Und dauert das Moratorium nicht schon ziemlich lange? "Ich glaube, dass wir hier in Schleswig-Holstein genau das Richtige Verfahren gewählt haben. Das dauert zwar einmal länger, aber liefert dann einen tatsächlich rechtssicheren Rahmen fürs ganze Land", so der Grünen-Politiker. Und man sei intensiv dabei, die Windkraftbranche zu unterstützen. Doch am Ende wird sich dieser Teil der Energiewende durch das Moratorium um mindestens fünf Jahre verzögern.
Langes Warten auf Genehmigung
Hans-Günther Lüth ist einer der Menschen, die das zu spüren bekommen. In Großenaspe möchte er einen Windpark mit acht Anlagen errichten. Mit den Planungen zu dem Projekt hat Lüth 2010 begonnen, seitdem wartet er auf die Genehmigung. Dabei ist der Ort eigentlich optimal, zwischen einer Autobahn und einer Hochspannungstrasse. Hier wohnt weit und breit niemand. Doch in der derzeitigen politischen Lage fehlt den Behörden offenbar der Mut, ihm den Windpark zu genehmigen. Mit handfesten Folgen, mittlerweile ist sein Genehmigungsantrag veraltet. "Die Anlagen, die wir damals beantragt haben, wären heute wahrscheinlich kaum noch lieferbar von dem Hersteller. Die Technik hat sich natürlich auch weiterentwickelt. Darauf werden wir irgendwie reagieren müssen", so Lüth.
Das Moratorium wirkt offenbar: Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie sind im ersten Halbjahr 2019 in ganz Schleswig-Holstein insgesamt zwei Windkraftanlagen hinzugekommen. Viel zu wenig, wenn man die Klimaziele wirklich erreichen will.