250 Millionen zu viel: Überteuerte Tanker für die Bundeswehr
Die Bremer Lürssen-Werft soll für die Marine zwei Tankschiffe bauen. Vertrauliche Unterlagen zeigen, dass vor den Kosten gewarnt wurde. Der Preis wäre demnach 250 Millionen Euro zu hoch.
Die Lürssen-Werft mit Sitz in Bremen ist für den Bau von aufwendigen Luxusyachten bekannt. Darüber hinaus mischt sie aber auch im Rüstungsgeschäft mit. Ihre Tochter Naval Vessels Lürssen (NVL) baut Kriegsschiffe für Streitkräfte auf der ganzen Welt, auch für die Marine.
Im vergangenen Sommer konnte Lürssen einen neuen Erfolg vermelden. Das Unternehmen hatte den Zuschlag für den Bau von zwei Tankern, sogenannten Betriebsstofftransportern, erhalten. Doch Recherchen von NDR, WDR und SZ werfen Fragen zu dem Deal auf. Ursprünglich hatte die Bundeswehr für die beiden Schiffe Kosten in Höhe von 570 Millionen Euro veranschlagt. Mittlerweile plant der Bund mit Kosten in Höhe von 915 Millionen Euro. Gerade vor der aktuellen Debatte um eine massive Ausweitung des Wehretats stellt sich die Frage, wie es zu dieser enormen Kostenexplosion kommen konnte.
Aus dem Ruder gelaufen
Vertrauliche Unterlagen, die NDR, WDR und SZ einsehen konnten, geben nun einen Einblick in ein Rüstungsgeschäft, das offenbar gehörig aus dem Ruder gelaufen ist. Die Geschichte des Millionen-Fiaskos beginnt mit einer Ausmusterung. Die beiden veralteten Tanker "Spessart" und "Rhön" müssen dringend ersetzt werden. Eigentlich werden sie für die Aufgaben der Marine innerhalb der Nato gebraucht. Doch sie sind veraltet. In vielen Ländern dürfen sie nicht mehr einfahren. Denn sie haben nur eine Hülle. Bei einer Havarie besteht die Gefahr einer Umweltkatastrophe. Deshalb sind seit 2005 vielerorts zwei Wände vorgeschrieben.
Den Zuschlag für den Bau der neuen Tanker erhielt im Juli 2021 NVL. Sie war als einzige in dem Bieterverfahren übriggeblieben. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der von Lürssen geforderte Preis massiv über den Kostenvorstellungen der Bundeswehr lag. Um die Kosten zu drücken, akzeptierte die Bundeswehr eine deutlich schlechtere technische Ausstattung der Schiffe.
"Exorbitant hoher Preis"
So wurde unter anderem auf eine zweite Antriebswelle verzichtet und das Fassungsvermögen der Tanker reduziert. Vertrauliche Unterlagen der Bundeswehr zeigen, dass Lürssen - trotz der erheblichen Einschnitte in der Leistungsfähigkeit der Schiffe - den Angebotspreis offenbar nicht wesentlich reduzierte. Die Werft forderte von der Marine 870 Million Euro für den Bau der beiden Schiffe, ein Preis der bundeswehrintern bereits zu diesem Zeitpunkt als "exorbitant hoch" eingeschätzt wurde.
Die frühe Einschätzung der Bundeswehr ist nicht das einzige überhörte Warnsignal. Auch der Bundesrechnungshof meldete "erhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit" des Projekts an. So steht es in einem vertraulichen Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages vom Juni 2021, der NDR, WDR und SZ vorliegt. Den Prüfern ging es dabei nicht allein um den hohen Preis und die Tatsache, dass der Auftrag nur in Deutschland und nicht europaweit ausgeschrieben wurde.
Erhebliche Risiken für den Bund
Sie monierten auch, dass das Projekt für den Bund erhebliche Risiken berge. Denn ohne ersichtlichen Grund habe sich das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) darauf eingelassen, die Verjährungsfrist für etwaige Mängel an den Schiffen von zwei Jahren auf ein Jahr zu verkürzen, zudem sei eine ursprünglich vorgesehene "unbegrenzte Haftung" für Lürssen auf fünf Prozent des Auftragswertes begrenzt worden, steht in dem Papier. Sollte auf eine sofortige Beschaffung der beiden Schiffe verzichtet werden können, solle das Beschaffungsverfahren "unverzüglich" neu begonnen werden, heißt es weiter.
Doch trotz der Bedenken bewilligte der Haushaltsausschuss im Bundestag das teure Projekt in seiner letzten Sitzung vor der Bundestagswahl. Die Parlamentarier forderten jedoch eine Preisprüfung.
Expertenrat wurde übergangen
Zuständig sind dafür Experten des Beschaffungsamtes der Bundeswehr (BAAINBw). Vertrauliche Unterlagen zeigen, dass sie bereits im Vorfeld im eigenen Haus davor gewarnt hatten, dass der Tankerkauf "nicht wirtschaftlich" sei. Offenbar hatte die Hausleitung diese Einschätzung aber schlichtweg übergangen.
Im Rahmen der nun geforderten Preisprüfung gingen die Experten des Beschaffungsamtes im Winter 2021 ins Detail. Ihr Urteil fiel deutlich aus. In einem Lagebericht vom November 2021 bemängelten sie die Forderungen von Lürssen als "deutlich überzogen".
So habe das Unternehmen beispielsweise allein für den Bau von sogenannten Waffenfundamenten - also für Metallvorrichtungen, auf denen Maschinengewehre installiert werden können - 1.200 Arbeitsstunden veranschlagt. Das entspricht etwa neun Monaten durchgehender Arbeit für einen Konstrukteur. Grundsätzlich habe die Werft "immens hohe Stundensätze" verplant, zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass "Leistungen doppelt verbucht wurden", insgesamt sei die "Liste an überzogenen Forderungen (…) beliebig lang".
Weiter bemängelten die Prüfer, dass sie in ihrer Tätigkeit von den Unterauftragnehmern von Lürssen "nicht positiv unterstützt, sondern (…) geradezu gehemmt" worden seien. Der Bericht mündet in einer klaren Forderung: Das Beschaffungsamt solle die Prüfung abbrechen und das Verteidigungsministerium informieren.
250 Millionen Euro zu teuer
In einem weiteren Schreiben an den "Abteilungsleiter See" und die Vize-Präsidentin im BAAINBw empfahlen die Prüfer schließlich "den Vertragsabschluss (…) als gescheitert zu erklären und das Projekt im Vergabeverfahren europaweit neu auszuschreiben". Als realistischen Preis für die beiden Tankschiffe nannten sie "ca. 620,- Mio €", also 250 Millionen Euro weniger als von Lürssen gefordert.
Doch offenbar hielt die Leitung des Beschaffungsamtes an dem Projekt fest. In einem auf den 9.12.2021 datierten Schreiben an das Verteidigungsministerium teilte das Beschaffungsamt - entgegen der Einschätzung der eigenen Experten - mit, man schlage vor, den Preis von 870 Millionen Euro zu akzeptieren, auch weil eine Verzögerung des Vorgangs negative "Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Marine" haben könnte. Zudem sei unklar, "ob die Haushaltsmittel für eine Neuausschreibung in 2022 überhaupt weiter bereitgestellt werden können". Über die Vorbehalte der eigenen Fachabteilung informierte das Beschaffungsamt das Ministerium in dem Schreiben nicht.
Haushaltsausschuss kennt Vorgang offenbar nicht
Offenbar kennt selbst der Haushaltsausschuss des Bundestags die Ergebnisse der erneuten Prüfung bis heute nicht. Dabei müssen die Abgeordneten alle Verteidigungsausgaben, die mehr als 25 Millionen Euro kosten, bewilligen.
Auf Anfrage erklärte Lürssen, dass man ein marktübliches Angebot vorgelegt habe. Im Übrigen seien die "behaupteten angeblichen 'Bemängelungen' seitens der Preisprüfer des BAAINBw" bei Lürssen nicht bekannt. Man habe den Prüfern die eigene Kalkulation detailreich dargelegt und umfangreich begründet und erläutert. Weiter teilt das Unternehmen mit, dass die von NDR, WDR und SZ gestellte Anfrage teilweise auf "erkennbar falschen Grundannahmen" basiere. Welche konkreten Annahmen dies sein sollen, teilte das Unternehmen nicht mit.
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums unterstrich in einer schriftlichen Antwort die Wichtigkeit des Projekts: "Mit Blick auf die Bedeutung der Betriebsstoffversorgung für die Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit von Schiffen" sei eine weitere Verzögerung der Beschaffung "in keinem Fall akzeptabel". Zu konkreten Vertragsdetails und zur Kritik der Prüfer und des Rechnungshofes äußerte sich das Ministerium unter Verweis auf die Vertraulichkeit des Vorgangs nicht.
Große Probleme im Beschaffungswesen
Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Schäfer, der für die Grünen im Bundestag sitzt, nennt die Recherche-Ergebnisse "erschreckend". Der Fall bilde "sehr viele der Probleme ab, die wir offenkundig im Beschaffungswesen haben und die wir ganz dringend abstellen müssen", sagte Schäfer NDR, WDR und SZ. Gerade vor der Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Mittel der Bundeswehr um 100 Milliarden Euro aufstocken zu wollen, sei es wichtig den Fall jetzt gründlich aufzuklären.
Kritik kommt dabei auch von Fregattenkapitän Marco Thiele vom Bundeswehrverband. Sollten die bestehenden Prozesse und Strukturen in Vergabeverfahren nicht angepasst werden, drohten die 100 Milliarden Sonderinvestitionen zu verdampfen. "Es wird nicht sinnvoll ausgegeben, egal welches Geld sie nehmen", so Thiele.