"Rechtsreform" - Israelische Richter in Deutschland kalt erwischt
Es sollte eine "hochkarätig besetzte Veranstaltung" werden. Im Schlosshotel Karlsruhe sollte die Präsidentin des Obersten Israelischen Gerichts Esther Hayut anlässlich des "75. Jubiläums der Gründung des Staates Israel" einen Vortrag halten. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth u.a. sollte ihr zuhören. Unter der Überschrift "Herrschaft des Rechts – die Verfassungsgerichte in Israel und Deutschland" hatte die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) zum Symposium geladen.
Die Veranstaltung sollte am Nachmittag des 25.7. stattfinden. Aber dann sagte Hayut ihre Teilnahme kurzfristig ab und kehrte eilig mit den sie begleitenden Richtern des Obersten Gerichts (bet ha-mishpat ha-gavoah le-tzedek, kurz Bagatz) nach Israel zurück. Das bestätigten eine Sprecherin der DIG und ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts auf Anfrage von Panorama. Zuvor hatten israelische Medien über den Abbruch des Besuchs der Bagatz-Richter in Deutschland berichtet. Ein im Anschluss an die Veranstaltung anberaumtes Abendessen mit deutschen Verfassungsrichtern und den israelischen Gästen fiel aus, wie der Sprecher des Bundesverfassungsgerichts ergänzte.
Bundesverfassungsgericht, Deutsche-Israelische Gesellschaft und die israelischen Richter wurden von den Ereignissen in Israel überrumpelt. Am Tag nach der Anreise der Delegation um Esther Hayut in Deutschland am 23.7. schaffte das israelische Parlament, die Knesset, auf Betreiben der rechtsnationalen Regierung unter Benjamin Netanjahu die Befugnis der Obersten Richter ab, Entscheidungen der Regierung "wegen Unangemessenheit" zu unterbinden. Diese Befugnis, die sogenannte "Angemessenheitsklausel", galt als wichtiges Instrument, mit dem Bagatz die israelische Regierung kontrollieren konnte. Die Abschaffung dieser richterlichen Befugnis wird von den Kritikern der Regierung Netanjahu als Beginn der Kaltstellung des Obersten Gerichts gewertet. Der ultranationalistische Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir erklärte denn auch: "Das ist erst der Anfang. "Beobachter vom Weißen Haus in Washington bis in das liberale Lager in Israel, das gegen die Regierung Netanjahu auf den Straßen protestiert, sind sich einig: das ist der Anfang vom Ende der Gewaltenteilung in Israel und damit der Anfang vom Ende der Demokratie, wie man sie in Israel kannte.
Demgegenüber klingt die Ankündigung der DIG im Hinblick auf die Veranstaltung mit den Verfassungsrichtern in Karlsruhe ziemlich wirklichkeitsfern. Israels Staatsordnung fuße "auf der Herrschaft des Rechts. Keine seiner Staatsgewalten steht über dem Recht", heißt es da. "Die Rechtssetzung und Rechtsausübung sind an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden."
Die Realität hat die hochkarätige Feier im Karlsruher Schlosshotel buchstäblich überholt. Die ultranationalistische Regierung Netanjahu ist dabei, die gesamte Macht im Staate an sich zu reißen. Wie sich das Verhältnis zwischen Regierung und Militär unter diesen sich wandelnden Bedingungen gestalten wird, ist unklar.
Das Oberste Gericht in Jerusalem ließ eine Anfrage nach den genauen Gründen für die vorzeitige Heimreise der Richter unbeantwortet. Nach der gestrigen Abschaffung der "Angemessenheitsklausel" sind in Israel aber bereits Beschwerden gegen das entsprechende Gesetz eingereicht worden, u.a. von der parlamentarischen Opposition. Dem Vernehmen nach möchten Hayut und ihre Delegationskollegen dabei sein, wenn über die Zusammensetzung der Bagatz-Kammern entschieden wird, die über diese Beschwerden urteilen werden. Im Kern geht es dabei darum, ob die Bagatz-Richter der Beschneidung ihrer eigenen Kontrollfunktion zustimmen werden oder nicht. Ein israelischer Kommentator formulierte es so: "Nun kommt es darauf an, ob die Obersten Richter der israelischen Demokratie bei ihrem Selbstmord helfen oder nicht."
Der Sprecher des Bundesverfassungsgerichts teilte mit, dass vor dem Abbruch des Besuchs "Fachgespräche"zwischen deutschen Verfassungsrichtern und den israelischen Gästen stattgefunden hätten, u.a. über "die Rolle des Verfassungsrichters bei der Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit“. Die DIG betonte, dass trotz der vorzeitigen Abreise der Bagatz-Delegation eine Podiumsdiskussion mit Rechtsexperten wie geplant stattfinden werde.
Der Besuchsabbruch in Karlsruhe mag wie eine kleine Anekdote erscheinen. Aber sie zeigt beispielhaft, wie Verantwortliche in Deutschland an einem Idealbild von der israelischen Demokratie festhalten, während "der Wertepartner" (Olaf Scholz) sich zunehmend von demokratischen Prinzipien verabschiedet.