Menschenzoo: Das dunkle Erbe des Tierparks Hagenbeck
In "Völkerschauen" wurden in Hamburg nicht nur Tiere, sondern auch Menschen ausgestellt. Rassistische Klischees seien damals bewusst bedient worden, so ein Historiker.
"Fremde" Menschen wurden neben Tieren im Zoo ausgestellt, sie wurden vermarktet als "wilde Kämpfer" aus Afrika, als "Kannibalen der Südsee", als primitive Urmenschen aus Südamerika: Von Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1930er-Jahre zogen die sogenannten Völkerschauen ein Millionenpublikum an. Der Hamburger Tierpark Hagenbeck war europaweit im Menschenzoo-Geschäft führend. Eine öffentliche Aufarbeitung dieses Kapitels der kolonialen Geschichte verweigert die Eigentümer-Familie Hagenbeck jedoch bis heute.
Rassistische Klischees bedient
Es war die zentrale Rechtfertigung des Kolonialismus: Die weißen Europäer sahen sich als anderen Kulturen zivilisatorisch überlegen an, die als wild, primitiv, naturnah und damit unterlegen betrachtet wurden. Daraus leitete man das Recht ab, andere Menschen zu unterdrücken, über sie zu herrschen und sie auszubeuten.
Die Menschenzoos haben beim Publikum damals genau dieses Selbstbild der eigenen Überlegenheit bestätigt und weiter verbreitet, sagt der Historiker Professor Jürgen Zimmerer, der an der Universität Hamburg die Forschungsstelle (post-)koloniales Erbe leitet. "Man stellt Menschen in einer bewusst primitiv inszenierten Umgebung und Pose aus", sagt Zimmerer. "Und dadurch wird ein Menschenbild des Afrikaners, der Afrikanerin oder aus der Südsee als völlig anders und als zurückgeblieben und primitiv transportiert."
Die Menschen seien in den Menschenschauen bewusst inszeniert worden, um rassistische Klischees zu bedienen - auch gegen ihren Willen. "Man zwingt sie ja auch, sich ihrer Kleider zu entledigen. Wir haben Berichte von auf Völkerschauen ausgestellten Menschen zum Beispiel aus Afrika, die sich darüber beschweren, dass sie sich jeden Morgen nackt ausziehen müssen." Diese Geschichte sei bisher kaum aufgearbeitet, lange habe man in Deutschland die eigene koloniale Geschichte verdrängt, sagt Zimmerer. In der Geschichtswissenschaft stand der Nationalsozialismus jahrzehntelang im Vordergrund, hat die Kolonialzeit überschattet. Besonders das Schicksal der bei den Menschenzoos Ausgestellten ist wenig dokumentiert und in Deutschland bisher kaum erzählt.
"Wie Sklaven behandelt"
Dabei zeigen Briefe, die Panorama vorliegen, wie demütigend die Menschen diese Praxis empfanden. Eine Gruppe vom Volk der Kanak, die aus Neukaledonien stammte - damals eine Kolonie Frankreichs in der Südsee -, wurde 1931 von Hagenbeck wahrheitswidrig als Gruppe von "Kannibalen" vermarktet. Sie beschwerten sich in Briefen, schrieben, sie müssten jeden Tag stundenlang barfuß und kaum bekleidet tanzen, auch bei Regen. "Hier in Hamburg [...] werden wir grob wie Sklaven behandelt und werden immer und überall beobachtet. (...) Wir wollen nicht länger hierbleiben." In einem weiteren Brief kritisieren sie, sie müssten "fast nackt" auftreten. Es sei ihnen verboten, in Hose und Mantel und mit Schuhen zu tanzen. Es ist für sie eine demütigende Inszenierung, "... um die Besucher glauben zu machen, dass wir Wilde sind und keine Europäer unter Gleichen."
Der französische Fußballspieler Christian Karembeu ist Urenkel eines Mannes, der damals bei Hagenbeck als Kannibale ausgestellt wurde. Er mahnte schon vor einem Jahr an, der Tierpark solle seine Geschichte aufarbeiten, sich seiner Vergangenheit stellen: "Ich denke, es geht darum, die Geschichte zu erzählen, wie sie war. Und dann ist auch alles verziehen."
Schweigen statt Aufarbeitung
Doch Hagenbeck schweigt sich dazu konsequent aus, dabei hatte man vor zwei Jahren nach Protesten selbst eine kritische Aufarbeitung angekündigt. Wiederholt hat Panorama bei Hagenbeck angefragt. Es gibt kein Interview zum Thema, keine Antworten auf viele Fragen. Der Tierpark verweist immer wieder auf das gleiche schriftliche Statement. Darin heißt es: Die Menschen "arbeiteten als Darsteller mit Verträgen und Gage für Hagenbeck". Carl Hagenbeck habe die Teilnehmer der Völkerschauen "als Gäste" gesehen und nie misshandelt. Dessen Urenkel und heutiges Familienoberhaupt Claus Hagenbeck lehnt ein Interview ebenfalls ab. Dabei hat er sich in der Vergangenheit durchaus zu dem Thema geäußert, sieht sie offenbar aber nicht kritisch. In einer Dokumentation aus dem Jahr 2020 sagt Hagenbeck: "Völkerschauen waren ja eine Kunstform. Es wurden ja nicht Sklaven hier nach Europa geholt, sondern es waren Gaukler, die in ihrem Heimatland gegaukelt haben."
In einem früheren TV-Statement aus dem Jahr 2003 räumte er indirekt eine Inszenierung der ausgestellten Menschen als Wilde ein. Offenbar amüsiert berichtete er: "Was die Veranstalter nicht gerne sahen, war, dass die Eingeborenen in Anführungsstrichen, die sich ja hier präsentierten als wilde Menschen, dass die sich abends Schlips und Kragen umbanden und nach St. Pauli zum Tanzen gingen. Das war nicht gerne gesehen, weil dann ja der Nimbus der Wilden, Fremden etwas aufgelöst wurde."