Zweifelhafte Versprechen: Industrieländer wollen Urwald retten
Um der weltweiten Entwaldung entgegen zu wirken und so den CO2 Ausstoß zu reduzieren, zahlen Industriestaaten für den Erhalt von Wäldern in ärmeren Ländern. Mit Erfolg?
"Kathedralen der Natur", die geschützt werden müssen - so poetisch umschrieb der britische Premierminister Boris Johnson die von Abholzung bedrohten Wälder der Erde. Und auf der Klimakonferenz in Glasgow "einigten" sich, mal wieder, reiche Staaten darauf, Geld bereit zu stellen, um die Schrumpfung der Wälder aufzuhalten. Auch Privatunternehmen sollen sich beteiligen. Das Prinzip ist bereits bekannt und wird sogar schon praktiziert: Regierungen und Unternehmen reicher, industrialisierter Staaten bezahlen für den Erhalt von Wäldern in ärmeren Ländern.
Es geht vor allem um die Tropen, wo Regenwälder große Mengen an Kohlendioxid speichern. Die Vernichtung von Wäldern, vor allem durch Brände, und ihre Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen tragen fast zu einem Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Ein verbindliches internationales Regelwerk allerdings, wonach für die Speicherung von x Tonnen Kohlenstoff eine Summe y zu zahlen ist und der entsprechende Erhalt der Waldflächen überwacht und Verstöße bestraft werden, gibt es bislang nicht. Daran ändert auch Glasgow nichts.
Milliarden für den Walderhalt im Kampf gegen die Erderwärmung
Deshalb engagieren sich einzelne Industriestaaten weiterhin nur nach eigenem Ermessen auf diesem Gebiet. Deutschland etwa ist mit Ländern wie Norwegen, Großbritannien und den USA ganz vorne dabei. Mehrere Milliarden Euro hat die Bundesregierung in den vergangenen 15 Jahren für Programme ausgegeben, die Wälder im Kampf gegen die Erderwärmung erhalten sollen. "Internationale Klimainitiative" (IKI) oder "Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation" (REDD, deutsch: Minderung des Treibhausgasausstoßes, der durch Entwaldung und Beschädigung von Wäldern verursacht wird) heißen die bislang unverbindlichen Programme. Panorama ist der Sache nachgegangen, hat einzelne von Deutschland geförderte Projektgebiete besucht und mit Experten gesprochen. Ergebnis: Die Schutzprojekte haben bislang nicht das Ziel erreicht, die Freisetzung von CO2 zu verhindern.
Palmölplantagen statt Tropenwald
Hutan Harapan ist ein Waldgebiet auf der indonesischen Insel Sumatra, für das sich die Bundesregierung seit mehr als zehn Jahren engagiert. Unser Kamerateam war vor Ort. Die Bestandsaufnahme ist erschreckend. Von mehreren Seiten wird der Tropenwald, in dem noch einige OrangUtans und Tiger leben, buchstäblich angefressen. Auf abgebrannten Flächen werden kleine Ölpalmen gepflanzt. Palmölplantagen, die billiges Öl für die Lebensmittelindustrie und "nachhaltigen Sprit" für den Tank produzieren, bestimmen inzwischen das Landschaftsbild auf Sumatra und Borneo. der Ertrag der Plantagen geht weitgehend in den Export - nach China, Indien und natürlich nach Europa. Als Treibstoffbeimischung für den Diesel soll die Einfuhr nach Deutschland zwar ab 2023 gestoppt werden, aber die Lebensmittelindustrie wird den billigen Grundstoff weiter beziehen.
Besonders erschreckend: Am Rand vom Harapan-Wald haben wir eine neue Kohlegrube gefilmt. Kolonnen von Lastwagen, vollbeladen mit Steinkohle, rumpeln über einen Erdweg zu einem Flusshafen. Um den Transport zu erleichtern, wird nun eine asphaltierte Straße gebaut - durch das Schutzgebiet hindurch. Nach Recherchen von Panorama hat das Bundesumweltministerium, das für das Förderprojekt Harapan zuständig ist, bei der indonesischen Regierung gegen den Bau der Straße protestiert. Das geht aus einem Antwortschreiben der indonesischen Forstministerin vom Juli 2020 hervor, das Panorama vorliegt. "Keine Sorge", so die beschwichtigende Antwort an Bundesumweltministerin Swenja Schulze (SPD), Indonesien werde Ausgleichsmaßnahmen in die Wege leiten. Das Bundesumweltministerium ließ eine Anfrage hierzu unbeantwortet. Die indonesische Botschaft reagierte auf die Panorama-Anfrage nicht.
Ausstoß von Kohlenstoff ist nicht vermieden worden
Die Situation in Indonesien steht exemplarisch für das Scheitern der internationalen Bemühungen gegen die Entwaldung. "Man hat es nicht geschafft, auf breiter Front den Waldschutz voranzutreiben," sagt Axel Michaelowa. Der Experte für internationale Klimapolitik hat mit einem Team im Auftrag der Bundesregierung deutsche Projekte zum Erhalt von Wäldern untersucht. Herausgekommen ist eine dicke Studie. Es gibt positive Ergebnisse, schreibt Michaelowa. Man rede jetzt mehr über den Wald. Das Bewusstsein, dass der Wald im Kampf gegen den Klimawandel wichtig ist, sei geschärft worden. In den kritischen Staaten in Südostasien, Südamerika und Afrika sei Personal ausgebildet worden. Allein: der Ausstoß von Kohlenstoff sei durch die Projekte nicht vermieden worden. Das war aber der Grund, warum das Programm vor 15 Jahren überhaupt ins Leben gerufen wurde.
Als Hauptursache für den bisherigen Misserfolg nennt Michaelowa die Tatsache, dass die Schutzprogramme den wirtschaftlichen Interessen etwa der Palmöl- und Kohleindustrie in Südostasien oder der Vieh- und Futtermittelwirtschaft in Südamerika nichts Ebenbürtiges entgegen gesetzt haben. "Diese Treiber der Entwaldung, also die landwirtschaftlichen Interessen, die Bergbauinteressen, die werden natürlich nicht durch die Zahlung von einigen Euro pro Tonne CO2 daran gehindert, den Wald abzuholzen," sagt der Experte. Im politischen Prozess von Staaten wie Indonesien oder Brasilien sei die Rolle von Akteuren, die den Wald schützen wollen, "eher gering". Der europäischen und deutschen Politik fehle es an Konsequenz. Auf Produkte, die aus der Entwaldung gewonnen werden, wie Rindfleisch, Sojafutter und Palmöl, müsste eine CO2-Abgabe erhoben werden, meint Michaelowa, der die Beratungsagentur "Perspectives Climate Group" gegründet hat. Aber dazu seien die europäischen Regierungen bislang nicht bereit gewesen. Die Handelsverträge mit den Tropenstaaten seien diesbezüglich zahnlos.
Brasiliens Tropenwald wird zur Zeit massiv abgeholzt
Bezeichnend ist die Situation im brasilianischen Bundesstaat Acre. Dort, im Grenzgebiet zu Bolivien und Peru, unterstützte die Bundesregierung von 2012 bis 2017 die Behörden beim Erhalt des Amazonaswaldes. Das Projekt sei erfolgreich gewesen, bestätigt Experte Michaelowa. Als Belohnung für die Vermeidung von Kohlenstofffreisetzung zahlte die Bundesregierung 25 Millionen Euro an Brasilien. Das Problem: Dann kam Klimaleugner Jair Bolsonaro an die Macht. Unter dessen Führung wird in Brasilien Tropenwald abgeholzt wie seit Jahrzehnten nicht, auch im abgelegenen Bundesstaat Acre. Panorama hat Brände dokumentiert, die dort vor zwei Monaten loderten. Satellitenbilder zeigen, wie sich nördlich der Provinzhauptstadt Rio Branco die Viehweiden ausbreiten. Den Befund haben Zeugen vor Ort bestätigt, die Panorama per Skype-Schalte kontaktieren konnte. Auf Anfrage teilt die Brasilianische Botschaft in Berlin mit, dass Brasilien den Kampf gegen die Entwaldung im Amazonas verstärken wolle. Bis 2025 wolle man den Umfang der Abholzung "halbieren". Der Holzeinschlag gehe teils auf "illegale Aktivitäten" zurück.
Das Problem sei die fehlende "Dauerhaftigkeit" eines Erfolgs, kommentiert Experte Michaelowa. Gegen einen wie Bolsonaro ist eben, solange es kein verbindliches internationales Vertragswerk für den Waldschutz gibt, kein Kraut gewachsen.
Bundesregierung zieht erstaunlich positive Bilanz
Das Erstaunliche: Obwohl die Bilanz ernüchternd ist, zieht die Bundesregierung unter Federführung des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) eine positive Bilanz ihres Engagements. Man freue sich über das "insgesamt positive Fazit", das die Studie von Michaelowas Team gezogen habe, heißt es in einer Stellungnahme.
Wir haben beim zuständigen Abteilungsleiter des BMZ nachgefragt. Michael Krake rückt die Dinge im Interview mit Panorama zurecht. "Es stimmt, dass es die Projekte bisher allein nicht geschafft haben, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren in dem Maße wie wir uns das wünschen," räumt Krake ein. Die bisherigen Programme seien nicht ausreichend, aber man befinde sich "auf dem richtigen Weg". Der Grundgedanke, dem Wald einen Wert zu geben und andere Länder für das Nicht-Antasten der Kohlenstoffspeicher zu entschädigen, sei richtig. Deutschland messe dem Erhalt gerade der tropischen Wälder eine große Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel bei, so Krake. Allein seit 2015 habe das BMZ mehr als zwei Milliarden Euro in Programme zum Schutz und zur Wiederherstellung von Wäldern fließen lassen. Aktuell habe das Ministerium sein Engagement im Kongo-Regenwald verstärkt, ergänzt das BMZ. Das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit hat aber nun auch andere Sorgen. Ob es unter der neuen Regierung weiterbestehen oder einem anderen, etwa dem Umwelt- oder Wirtschaftsministerium oder dem Auswärtigen Amt eingegliedert wird, ist gerade Gegenstand erregter Diskussionen vor und hinter den Kulissen.
Regenwald massiv geschrumpft
Die Schrumpfung der Regenwälder lässt sich grafisch darstellen. Die Kurve der vergangenen 20 Jahre, also seitdem über den Wald international "gesprochen" wird, das "Bewusstsein" wach ist und waldliebende Nationen wie Deutschland Regierungsprogramme zum Schutz der natürlichen Kohlenstoffspeicher aufgelegt haben, verläuft stetig und linear nach unten. Mehr als zwei Millionen Quadratkilometer, also etwa sechsmal die Fläche Deutschlands, gingen seitdem verloren. "Es ist weniger geworden. Wenn man die Kurve über die Zeit fortführt, ist keine relevante Änderung des Trends zu erkennen", sagt Axel Michaelowa.