Sneakerjagd: Nike vernichtet Neuware
Nike bewirbt seine Nachhaltigkeit mit einem Recycling-Programm. In Wahrheit wird hier wohl auch viel Neuware vernichtet. Damit könnte der Konzern auch gegen das Gesetz verstoßen.
Alte Schuhe landen nicht mehr auf dem Müll, sondern werden recycelt und zu neuen Schuhen - oder etwa Sportplatzbelägen. Was der größte Sportartikelhersteller der Welt in seinen Werbevideos verspricht, klingt nach der perfekten neuen Welt: Konsum ohne schlechtes Gewissen. Nike verspricht den "Move to Zero", also den Weg zu null CO2-Emmissionen und null Abfall. Zuletzt auch wieder bei der Weltklimakonferenz in Glasgow. Doch dort muss sich der Nike-Nachhaltigkeitschef unangenehmen Fragen von Panorama stellen. Und hat darauf am Ende nicht wirklich gute Antworten.
Das Experiment Sneakerjagd
Die ursprüngliche Recherche-Frage lautete: Was wird aus den 1,4 Milliarden Turnschuhen, die jährlich weltweit produziert werden und irgendwann auch entsorgt werden müssen? Dafür haben wir, ein Team von Panorama, Strg_F, Zeit und dem Recherche-Start-up FLIP, die gebrauchten Sneaker von elf Prominenten mit GPS-Trackern ausgestattet - das Projekt "Sneakerjagd". Wir haben sie anschließend auf verschiedenen Wegen entsorgt und ein knappes halbes Jahr verfolgt.
Hält Nike was sie versprechen?
Um herauszufinden, ob die Schuhe tatsächlich wie von Nike versprochen geschreddert und zu neuen Produkten werden, steckten wir alte Nikes in eine Rücknahmebox mit der Aufschrift "Recycle deine alten Schuhe" im Hamburger Nike-Store.
Von dort gingen die Schuhe in eine Wellblechhalle im belgischen Herenthout, wo alte Nikes geschreddert werden. Ohne den GPS-Tracker hätten wir diesen, offenbar zentralen, Ort für "Nike Grind" in Europa nicht gefunden. Denn Nike wollte uns trotz mehrfacher Anfragen nicht beantworten, wo die alten Schuhe geschreddert werden.
Warum das so sein könnte, realisierten wir erst bei einem Ortsbesuch in Belgien. In der Halle werden nämlich neben alten Schuhen offenbar vor allem neue Schuhe geschreddert. Dass es sich dabei auch um Retouren handelt, die von Kunden und Kundinnen zurückgegeben wurden, belegt ein zweites Paar Schuhe. Dieses haben wir auf der Webseite von Nike bestellt, mit GPS-Trackern ausgestattet und als Retoure an den Konzern zurückgeschickt. Und auch diese Schuhe werden in die Halle nach Herenthout gebracht und dann zerstört.
Zerstörung von Neuware lange vermutet
Schon lange vermuten Umweltorganisationen wie Greenpeace, dass Neuware von Herstellern direkt vernichtet wird, um Lagerkosten zu sparen, und weil sie kein Interesse daran haben, die Retouren dann etwas günstiger zu verkaufen. Denn die Hersteller sorgen sich offenbar, dass Rabatte dem Image der Marke schaden könnten.
Und die Textilindustrie ist zu einem echten Umweltproblem geworden. Sie stößt mehr CO2-Emissionen aus als Luft- und Schifffahrt zusammen. Etwa zehn Prozent der weltweiten Emissionen gehen auf ihr Konto, mit steigender Tendenz. Kaum ein Kleidungsstück steht so sehr für das rasante Wachstum von Fast Fashion wie Sneaker. Heute werden doppelt so viel Turnschuhe verkauft wie noch 2012 - bei 70 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr.
Möglicher Gesetzesverstoß in Deutschland
Laut Bundesumweltministerium könnte Nike mit dem Schreddern von neuen Schuhen gegen deutsches Recht verstoßen. Gebrauchstüchtige Retouren zu vernichten ist für Waren, die in Deutschland in den Verkehr gebracht werden, verboten. Ein Sprecher bezeichnet den Sachverhalt als möglichen Verstoß gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz. "Gemäß der Abfallhierarchie hat die Abfallvermeidung oberste Priorität und Vorrang vor allen anderen Entsorgungsmaßnahmen, wie beispielsweise Recycling." Die zuständige Landesbehörde müsste tätig werden, es drohe ein Bußgeld von bis zu 100.000 Euro. Auf die Recherche-Ergebnisse angesprochen, zeigt sich Noel Kinder, der Nachhaltigkeits-Chef von Nike, auf der Weltklimakonferenz in Glasgow vergangene Woche überrascht. "Das ist natürlich nicht Teil dessen, was wir versuchen zu tun", sagt er.
Nike räumt mögliche Vernichtung auf Anfrage ein
Auf Anfrage gibt Nike anschließend zu, dass auch Retouren, "die Anzeichen von einer möglichen Beschädigung oder Gebrauchsspuren aufweisen", recycelt werden. Indem der Konzern lediglich von "Anzeichen" spricht, öffnet er einen weiten Interpretationsspielraum. Die Sprecherin schreibt: "Ungetragene und makellose Artikel werden zum Wiederverkauf in die Regale zurückgestellt."
Nike bestreitet also, dass neue, makellose Schuhe zerstört werden. Im belgischen Herenthout haben wir allerdings etwas ganz anderes wahrgenommen.
Die Recherche ist Teil des Projekts "Sneakerjagd", für das ein Reporterteam von NDR, "Zeit", und dem Recherche-Start-up Flip GPS-Tracker in den Schuhen von elf Prominenten versteckt und sie auf unterschiedlichen Wegen entsorgt hat. Ziel ist es herauszufinden, was wirklich mit unseren alten Schuhen passiert, wenn man sie in Recyclingsysteme von Herstellern und Händlern sowie in Altkleidersammlungen gibt. Über die Ergebnisse berichten die beteiligten Medien über mehrere Wochen crossmedial und seriell. Auf der gemeinsamen Website www.sneakerjagd.de kann man die Reise der Schuhe auf einer interaktiven Karte verfolgen.