Kartell: Wie sich Ablesedienste an Mietern bereichern
Bundeswirtschaftsministerium sieht keinen Handlungsbedarf
In der Tat haben die Wettbewerbshüter kein formales Kartellverfahren eingeleitet, das mit Bußgeldern für die Ablesefirmen enden könnte. Vielmehr empfiehlt das Bundeskartellamt, die Missstände durch Gesetzesänderungen abzustellen. So könne der Staat den Vermietern die Kosten fürs Ablesen des Wärme- und Wasserverbrauchs aufbürden. Eine weitere Möglichkeit liege in der Vereinheitlichung der Eichfristen für die Zähler. Diese betragen für Kaltwasserzähler sechs Jahre und für Wärmezähler fünf Jahre. Weil diese immer nur am Ende einer Eichphase ohne Abschläge ausgetauscht werden können, kann das verlustfrei erst nach 30 Jahren geschehen. Will ein Kunde vorher zu einem anderen Anbieter wechseln, muss er die verbleibende "Restmiete" für einen oder gar beide Zähler zahlen. Das wirkt abschreckend. Außerdem biete sich an, so das Kartellamt, die "Interoperabilität" der Zähler vorzuschreiben. Bisher ist es in der Regel nämlich so, dass die Zähler eines Unternehmens von anderen nicht genutzt werden können - was den Wechsel zusätzlich erschwert. Techem und Ista betonen, dass die Daten ihrer neuen digitalen Zähler auch von anderen Anbietern ausgelesen werden können.
Politisch zuständig wäre das Bundeswirtschaftsministerium. In einem Referentenentwurf für eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes hat es die "Ermächtigungsgrundlage" für eine "Interoperabilität" der Zähler zwar eingebaut. Beschlossen ist aber noch nichts. Keinen Grund sieht das Ministerium, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt, etwas an den ungleichartigen Eichfristen der Zähler zu ändern, denn diese richteten sich nach "technisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen" über das "Alterungsverhalten der Messgerätebauteile". Das für Mieter besonders nachteilige Dreiecksverhältnis will die Regierung auch nicht antasten. Die "bestehende Umlagefähigkeit bestimmter Nebenkosten" auf die Mieter sei eine "sinnvolle Regelung". Müssten Immobilienbesitzer die Kosten fürs Ablesen selbst tragen, würde dies "den Anreiz, Wohnungen zu vermieten, reduzieren", erklärt die Sprecherin.
Kartellamtspräsident Andreas Mundt wirkt angesichts der Abwehrhaltung der Bundesregierung ratlos. So kompliziert sei die Sache ja nicht, sagt er. Hier locke ein "quick win" für die Politik, mit dem sie beweisen könne, dass sie für die Schwächeren der Gesellschaft - das sind eher Mieter in Mehrparteienhäusern als Eigentümer - etwas erreicht. "In einem angespannten Mietmarkt", sagt Mundt, könne eine härtere Gangart gegenüber dem Ablese-Oligopol "dazu beitragen, dass der Mieter weniger belastet ist."
Das Oligopol scheint sich jedoch keine Sorgen zu machen, dass seine Kreise von der Politik gestört werden könnten. Nachdem das Kartellamt 2017 seine harsche Kritik am Verhalten der Firmen veröffentlicht hatte, haben ausländische Investoren die beiden Marktführer Techem und Ista gekauft. Techem ging für 4,6 Milliarden Euro an einen Finanzinvestor aus der Schweiz. Ista war einer chinesischen Gruppe gar 5,8 Milliarden Euro wert. Das sind bemerkenswert hohe Summen für Unternehmen, deren Geschäft im Kern lediglich aus dem Ablesen von Wasser- und Wärmeverbrauch in Mietwohnungen besteht. Zum Vergleich: Der Autobauer Opel hat seine neuen französischen Eigentümer nur 1,3 Milliarden Euro gekostet.
"Die Mieter werden verarscht"
"Mir reicht's!", sagt Udo Petzoldt. Er ist Geschäftsführer der Baugenossenschaft Kulmbach in Oberfranken, der rund 1.300 Wohnungen gehören. Bislang hat er den Wärme- und Wasserverbrauch von Ista messen lassen - jetzt hat er dem Dienstleister gekündigt. "Wir wollen den Verbrauch unserer Mieter selbst messen", sagt er. Nach und nach lässt er die Ista-Zähler abschrauben und durch eigene ersetzen.
Dazu hat sich Petzoldt mit der kleinen Firma Zähler Plattform aus Berlin zusammengetan. Dort hat er Thomas Buhl kennengelernt, der die Arbeitsweise der etablierten Ablesefirmen gut kennt - er war früher als Messtechniker für Techem tätig. "Die Mieter werden verarscht", sagt er. "Irgendwann habe ich mir gesagt, dass ich das nicht mehr mitmache."
Gemeinsam mit der Kulmbacher Baugenossenschaft hat Buhl ein System entwickelt, mit dem sich Wärme- und Wasserverbrauch digital messen und die Ergebnisse auslesen lassen. Hausbesuche entfallen, nicht einmal ein Funker muss vor das Gebäude treten, um Verbrauchsdaten per Signal auszulesen. Alles läuft über das Internet. "Die Mieter können sich jederzeit über Verbrauch und Kosten informieren. Die Jahresabrechnung wird automatisch in der Silvesternacht erstellt", sagt Petzoldt. Und billiger soll es auch werden. Statt wie bisher um die 80 Euro je Wohnung und Nebenkostenabrechnung hält er 50 bis 60 Euro für realistisch. Noch im Juli soll es losgehen.
"Das Imperium schlägt zurück"
Beim Versuch, ein eigenes Mess- und Abrechnungssystem aufzubauen, stoßen die Rebellen aus Kulmbach und Berlin allerdings auf Widerstand. "Es ist gar nicht so einfach, auf dem freien Markt Zähler zu kaufen. Wir haben erlebt, dass manche Hersteller argwöhnisch fragen, was wir damit wollen", berichtet Techniker Buhl. "In einem Fall hat ein Hersteller sich geweigert, uns den gewünschten Zählertyp zu verkaufen." Buhl vermutet, dass die Herrscher des Ablese-Marktes Einfluss auf die Hersteller der Messgeräte ausüben. Diesen Vorwurf weist Techem als "Unterstellung" zurück. Ista betont, man spiele "fair".
Auf die Vertragskündigung der Baugenossenschaft Kulmbach reagiert der bisherige Anbieter Ista zunächst auf seine Art: Er ignoriert sie. "Das Imperium schlägt zurück", ärgert sich Petzoldt und präsentiert drei aktuelle Schreiben von Mai und Juni. Das Ista-Regionalbüro in Würzburg hat sie ihm nach der Kündigung geschickt. Die Briefe ähneln sich inhaltlich. Ista kündigt darin an, man wolle "die Zähler austauschen" und bittet um einen Termin für seine Handwerker. Zugangshindernisse möge der Wohnungseigentümer bitte vorher beseitigen. Die Anfahrten seien "kostenpflichtig".
Darauf angesprochen macht Ista einen Rückzieher: "Bei den von uns versendeten Schreiben handelt es sich um automatisierte Erinnerungen, die spätestens nach dem Hinweis des Kunden nicht mehr hätten erfolgen sollen", teilt ein Sprecher mit. "Für dieses Versehen haben wir uns bei der Baugenossenschaft Kulmbach entschuldigt."
Überhöhte Preise?
Immerhin bringt der Fall nun etwas in den Ablesemarkt, was dort bisher nicht herrschte: Unruhe. Das bemerken Panorama und DIE ZEIT auf den Berliner Energietagen Ende Mai. Dort treffen wir Axel Gedaschko, den Chef des Verbands der Wohnungswirtschaft GdW, der in den Beiräten von Techem und Ista sitzt. Etwas besorgt fragt er, ob wir "auch mit den Kulmbachern" gesprochen hätten. Dann tritt er die Flucht nach vorne an. Die Kritik an Techem und Ista sei "berechtigt", sagt er. "Deshalb raten wir unseren Unternehmen: 'Macht es selber', weil auf der anderen Seite das Gefühl schlicht und ergreifend da ist, dass überhöhte Preise genommen werden."
Und die Ableser? Ende Juni treffen sich die Größen der Wohnungsbranche in der Berliner Verti Music Hall zum Jahrestag eines ihrer Verbände - dem Zentralen Immobilienausschuss (ZIA). Wenige Damen sind hier, dafür um die 2.000 Herren. Einer von ihnen ist Thomas Zinnöcker, Vizepräsident des ZIA und im Hauptberuf Geschäftsführer von Ista. Es ergibt sich die Gelegenheit zum Gespräch. Was er zum Vorwurf sage, die Mieter abzuzocken? "Durch unseren Service sparen die Leute Geld", antwortet Zinnöcker. "Wir tun was für die soziale Gerechtigkeit." Ob sich sein Unternehmen nicht aber vor allem bereichere? "Wir arbeiten jeden Tag hart, um zu den Preisen, die der Markt uns setzt, Geld zu verdienen. Und da ist nichts dran auszusetzen", sagt er.
Auf der Suche nach neuen Erlösquellen kann womöglich der Klimaschutz helfen. Auf dem Podium der ZIA-Tagung stellt Zinnöcker eine Idee vor. Sie habe mit "geringinvestiven Maßnahmen" zu tun, sagt er. Ihm schwebt ein "Heizungs-Check" vor, den man in allen Wohnungen mal machen könnte. Die Frage, wer in dieser Ideenwelt "den Heizungs-Check", womöglich "für einen geringen Preis", erledigen soll, dürfte sich erübrigen.
Der Text erscheint ebenfalls in "DIE ZEIT"
- Teil 1: Wenige Firmen haben den Markt unter sich aufgeteilt
- Teil 2: Bundeswirtschaftsministerium sieht keinen Handlungsbedarf