Toll Collect: Druck auf Verkehrsminister Scheuer steigt
Politiker der SPD, der Grünen und der Linken üben scharfe Kritik am Umgang des Verkehrsministeriums mit dem Lkw-Mautbetreiber Toll Collect. Sie werfen dem von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) geführten Ministerium vor, umfassende Informationen zurückzuhalten und die Konzerne hinter Toll Collect zu schonen. "Eine effektive Kontrolle oder gar ein aktives Aufspüren von Betrug gibt es nicht", sagte Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag.
DIE ZEIT, ZEIT ONLINE und Panorama hatten darüber berichtet, dass Toll Collect dem Bund Hunderte Millionen Euro zu viel in Rechnung gestellt hatte, darunter eine Oldtimer-Rallye und das soziale Engagement für ein Kinderheim. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Laut einem Gutachten der Prüfungsgesellschaft Mazars hatte Toll Collect in nur drei stichprobenhaft untersuchten Jahren mindestens 298 Millionen Euro zu viel abgerechnet. Die überhöhten Abrechnungen hat das Verkehrsministerium nicht dementiert, sagt aber, sie seien nicht bezahlt worden.
Irreführendes Dementi des Ministeriums
Das allerdings ist irreführend. Tatsächlich weigerte sich die Bundesregierung, falsche Toll-Collect-Abrechnungen anzuerkennen. Daraus und aus Differenzen wegen nicht erbrachter Leistungen von Toll Collect resultierte ein Streit zwischen der Bundesregierung und Toll Collect, der vor einem Schiedsgericht ausgetragen wurde. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, in dem der Bund auf einen großen Teil seiner Forderungen verzichtete. Damit wurden die falschen Abrechnungen im Endergebnis zu einem wesentlichen Teil vom Bund bezahlt. Der Bitte von ZEIT, ZEIT ONLINE und Panorama, den Schiedsgerichtdeal dezidiert aufzuschlüsseln, kam das Verkehrsministerium nicht nach.
Zweifel bei der SPD
Die fragwürdige Abrechnungspraxis mehrt die Zweifel bei einer der Regierungsparteien. "Allein die Einreichung solcher Rechnungen ist eine Frechheit und wirft die Frage auf, wie zuverlässig diese Partnerschaft ist", sagt Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD. Den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vom Koalitionspartner CSU nimmt sie in die Pflicht: "Wir erwarten vom Verkehrsministerium einen umfangreichen Bericht zu den von Toll Collect eingereichten sachfremden Rechnungen", so Lühmann.
"Wie ein Geheimdienst im Kalten Krieg"
Grünen-Fraktionsvize Krischer erkennt im Verhalten des Verkehrsministeriums ein sich wiederholendes Muster. Das Ministerium habe sich "in weiten Teilen der demokratischen Kontrolle entzogen, weil es etwas zu verbergen" habe. Wie zuvor schon im Dieselskandal verhalte sich das Ministerium bei der Maut "wie ein Geheimdienst im Kalten Krieg: auf umfassende und nachvollziehbare Informationen können die Opposition im Parlament, kritische Journalisten und am Ende die Öffentlichkeit lange warten."
Linke fordert Verstaatlichung
Victor Perli, Haushaltspolitiker und Abgeordneter der Linken, kündigte an, Verkehrsminister Scheuer werde sich harten Fragen im Haushaltsausschuss stellen müssen. "Dieses Toll-Collect-Desaster lassen wir ihm nicht mehr durchgehen", sagte Perli. Der Betrieb und die Gewinne der Lkw-Maut gehörten in öffentliche Hand. "Die Politik muss sich ums Gemeinwohl kümmern und nicht um private Konzerninteressen."
Prüfung gefordert
Die Antikorruptionsorganisation Transparency International fordert derweil eine Prüfung durch den Bundesrechnungshof. "Es besteht die Vermutung, dass der Steuerzahler durch Toll Collect massiv geschädigt wurde", so Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International Deutschland. Der Bundesrechnungshof möge die Zusammenarbeit zwischen Verkehrsministerium und Toll Collect aufarbeiten. Vorher dürfe "es keine Neuvergabe an Unternehmen geben."
Erneut privates Bieterkonsortium
Zum Ende dieses Monats läuft der Vertrag zwischen dem Bund und dem Toll-Collect-Konsortium aus. Das Konsortium wird von der Deutschen Telekom, Daimler und dem französischen Unternehmen Cofiroute gebildet. Der Bund übernimmt dann Toll Collect. Diese Verstaatlichung soll aber nur eine Zwischenlösung sein. Danach soll die Lkw-Maut wieder an Konzerne vergeben werden, das Verfahren zur Ausschreibung läuft schon. Bekannt ist, dass vier Bieter an der Ausschreibung teilnehmen. Als sicher gilt, dass die Telekom sich wieder beworben hat, Daimler dagegen teilte mit, sich nicht an der Neuvergabe zu beteiligen.
Neues Ermittlungsverfahren?
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Berlin ZEIT ONLINE bestätigt, dass sie prüft, ob wegen der neuen Vorwürfe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. FAZ.net hatte das zuerst berichtet. Im Februar hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingestellt, in dem es um Abrechnungen der 2012 eingeführten Lkw-Maut auf Bundesstraßen ging.