"Faust des Ostens" im Fussballstadion
Sie sollen sich mit Polizei und Fußballfans geprügelt und Migranten angegriffen haben – doch bestraft wurden sie bislang nicht. Der Grund: das zuständige Gericht findet seit mehr als vier Jahren keinen Prozesstermin. Der Fall der rechtsextremen Dresdner Hooligan-Gruppe „Faust des Ostens“ ist ein Skandal und wird von vielen als Symptom einer allgemein überlasteten Justiz gedeutet. Doch so einfach ist es nicht.
Straftaten gesunken
Ein Blick in die Daten des Bundeskriminalamts und des Statistischen Bundesamtes zeigt auf den ersten Blick dass die zahlenmäßige Belastung der Gerichte in den letzten Jahren sogar eher abgenommen hat.
Die angezeigten Straftaten in Deutschland sind zwischen 1995 und 2016 um knapp fünf Prozent zurückgegangen, ergibt eine Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Zwar verzeichnet die Polizei seit 2011 wieder einen Anstieg der Delikte, doch geht dieser auf die Zunahme der illegalen Grenzübertritte und Verstöße gegen das Asylgesetz zurück. Die allgemeine Kriminalität ist hingegen weiter gesunken.
Besonders stark war der Rückgang bei den schweren Straftaten: So gab es im vergangenen Jahr beispielsweise zehn Prozent weniger Gewaltkriminalität, also Mord, Raub, Vergewaltigung und schwere Körperverletzung, als zehn Jahre zuvor. Auch leichte Kriminalität wie Diebstähle und Betrug wurde viel weniger angezeigt. Deutlich angestiegen sind hingegen Drogendelikte.
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Panorama hat Experten danach befragt, ob es belastbare Hinweise darauf gibt, dass Asylbewerber grundsätzlich krimineller seien als Deutsche. Einhellige Antwort: Nein, dafür gebe es keinen Anhaltspunkt.
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Weniger Fälle an deutschen Strafgerichten
Das hat Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der Justiz: Bei weniger gravierenden Vergehen können Staatsanwälte wegen Geringfügigkeit die Ermittlungen einstellen. Das passiert immer häufiger, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen.
So landen immer weniger Fälle an den deutschen Strafgerichten. Waren es 2005 an den Amtsgerichten insgesamt rund 870.000 Verfahren, waren es zehn Jahre später nur noch 660.000 Verfahren. An den Landgerichten waren es 2005 rund 14.500 Verfahren. 2015 lag die Zahl bei 12.800 Verfahren.
Zahl der Verfahren gesunken
Mit diesem Trend stehen die Strafgerichte nicht alleine da - in den meisten Gerichten herrscht Ebbe. Die Zahl der Zivilverfahren ist zwischen 2005 und 2015 um mehr als 20 Prozent gesunken. An den Arbeitsgerichten und den Finanzgerichten gingen die Eingangszahlen jeweils gar um 30 Prozent zurück. An den Sozialgerichten, wo die Richter zwischenzeitlich mit einer Prozessflut wegen der Einführung von Hartz IV zu kämpfen hatten, lagen die Eingänge 2015 wieder auf dem Niveau von 2008. An den Familiengerichten gab es 2008 einen großen Sprung bei den Eingängen, weil ihre Zuständigkeiten erweitert wurden. Seitdem sind die Eingänge aber auch hier wieder rückläufig.
Die Ausnahme bilden die Verwaltungsgerichte: Dort betrug der Rückgang von 2005 auf 2015 zwar sieben Prozent. Doch seitdem ist allein die Zahl der Asylverfahren nach Angaben des Bunds deutscher Verwaltungsrichter von 50.000 im Jahr 2015 auf wahrscheinlich 200.000 dieses Jahr explodiert. Trotz rückläufiger Prozesszahlen ist die Zahl der Richter an den Amts-, Land- und Familiengerichten stabil geblieben.
Auch an den anderen Gerichten war der Personalabbau im Vergleich zur Prozessebbe gering, am Sozialgericht und den Staatsanwaltschaften wurden sogar neue Juristen eingestellt. So haben es die Richter 2015 in allen diesen Gerichten geschafft, mehr Verfahren zu erledigen, als neue hereingekommen sind.
Also alles halb so schlimm?
Der Deutsche Richterbund stellt fest: viele Verfahren seien heute „wesentlich komplexer“ als früher. Als Beispiel nennt er Wirtschaftsstrafsachen mit internationalen Bezügen, ausgeweitete Terrorismus-Strafbarkeit mit vielfältigen Auslandsbezügen, IT-Kriminalität und Kinderpornographie-Verfahren mit gigantischen Datenbergen, die mit entsprechendem Mehraufwand auszuwerten seien. Hinzu kämen immer komplexere Strafnormen, die anzuwenden sind. „Aus der Anzahl der bei den Gerichten eingehenden Fälle kann also nicht auf den Personalbedarf geschlossen werden“, schreibt der Berufsverband der Richter und Staatsanwälte auf Panorama-Anfrage. Von allgemeiner Überlastung will der Richterbund zwar nicht sprechen, doch er fordert mehr Stellen, vor allem für die Staatsanwaltschaften.
Die Staatsanwälte sind einer der Teilbereiche, wo die Personaldecke stellenweise besonders dünn ist. Ein anderer Bereich sind die Landgerichte, wo schwere Verbrechen verhandelt werden. Dort mussten die Angeklagten 2015 im Schnitt 7,5 Monate auf ihr Urteil warten. Im Jahr 2002 waren es noch sechs Monate. Die Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft sind hier noch gar nicht eingerechnet.
Dementsprechend wächst die Zahl der überlangen Verfahren. Lagen 2002 etwa 1500 Verfahren länger als ein Jahr beim Landgericht, waren es 2015 rund 1900. Die Folge: in den vergangenen beiden Jahren mussten laut einer Umfrage der "Richterzeitung" 85 mutmaßliche Täter aus der Untersuchungshaft freigelassen werden. Und manche Verurteilte bekommen wegen der überlangen Verfahren einen Strafrabatt.
Demgegenüber wurden 2015 aber 95 Prozent aller Strafverfahren in Deutschland in weniger als einem Jahr beendet. Fälle wie die "Faust des Ostens" sind also längst nicht der Normalfall. Dennoch: Sie senden ein fatales Signal aus und stärken nicht wirklich das Vertrauen in den Rechtsstaat.
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Dieses Thema im Programm:
Das Erste |
Panorama |
17.08.2017 | 21:45 Uhr
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