Philosoph Sloterdijk hält Trump für einen Oligarchen
Was bedeutet Donald Trump, Präsident der USA, für die Demokratie in ihrer heutigen Form? Darüber sprachen wir mit dem deutschen Philosophen und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk.
Herr Sloterdijk, die Welt verändert sich, in welche Richtung bewegen wir uns?
Peter Sloterdijk: Die Massen haben eine Sehnsucht nach Autokratie, sie wollen eine homogene, eine massive Spitze. Unter den heutigen demokratischen Gesellschaften gibt es etwa ein halbes Dutzend, die sich in Richtung einer homogenen Autokratie entwickeln.
An welche anderen Länder denken Sie da?
Sloterdijk: Polen, Ungarn, es hätte in Österreich auch so weit kommen können. Auch da gab es Tendenzen zu einer Selbstaufhebung der Demokratie. Schauen Sie in die Türkei. Je länger man drüber nachdenkt, desto umfangreicher wird die Aufzählung.
Worin liegt diese Sehnsucht begründet?
Sloterdijk: Es gibt ein Unbehagen in der Demokratie, weil sie eine sehr schwerfällige, eine sehr undurchsichtige, eben eine sehr komplexe Form der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten bedeutet. Die Sehnsucht nach Vereinfachung geht den Weg der Personifikation. Und die Personifikation heißt politisch Autokratie oder Rückkehr in autokratische Strukturen.
Aber lässt sich das System so einfach verändern?
Sloterdijk: In der Demokratie ist eine Machtausübung per Dekret eigentlich nur in politischen Krisen möglich. Trump aber kehrt das Verhältnis um. Er löst die Krise dadurch aus, dass er durch Dekrete regiert, statt darauf zu warten, dass eine Notstandssituation eintritt, in welcher das Erlassen von Dekreten das geeignete Mittel wäre.
Also ist er durch das klassische politische System nicht kontrollierbar?
Sloterdijk: Der Faktor der Unkontrollierbarkeit hat mit dem Amtsantritt von Trump dramatisch zugenommen, darüber sind sich alle einig. Aber es gibt in der Gruppe der Beobachter solche, die damit einverstanden sind und die Sehnsucht nach mehr Überraschung, mehr Unterhaltung haben. Und eine andere Gruppe, die sich Sorgen macht, weil sie das Weltgebäude ohnedies für sehr fragil halten, so dass zusätzliche Störungen unwillkommen sind.
Trump sorgt für Überraschungen, weil er unvorhersehbar agiert.
Sloterdijk: Bisher sind in der Demokratie Köpfe ins Rennen gegangen, die selbst Teil des politischen Systems waren – also weder sach- noch fachfremd. Hier ist ein Außenseiter aus dem Showbusiness und dem Immobiliengeschäft als Quereinsteiger gekommen und hat eine traditionsreiche Partei, die große Präsidenten hervorgebracht hat, gekapert. Nach diesem Husarenstück, nach dieser Art politischer Piraterie, ist ein neuer Zustand der Dinge eingetreten. die man so nennen könnte: Dilettantismus ohne Grenzen.
Dilettantismus, das klingt sehr harmlos!
Sloterdijk: Jetzt haben wir das merkwürdige Schauspiel vor Augen, dass ein Unternehmer, von dem wir nicht mal richtig wissen, ob er nicht ein gut getarnter Bankrotteur ist, das politische Geschäft gekapert hat, hat als Dilettant, als Nichtfachmann, als Amateur. Trump weiß nicht, was ein Staat ist. Er wohnt als Fremder im Weißen Haus. Er hat die politische Öffentlichkeit in eine Art Stadion verwandelt, in der die Trump-Show läuft.
Er betreibt eine Vermischung aus Unterhaltung und Politik. "Wird schon nicht so schlimm werden", das denken viele bei Trump.
Sloterdijk: Die erste Vermutung, dass es bei Trump eine Vermischung von Politik und Unterhaltung gibt, ist also zweifellos richtig, aber die zweite Vermutung, dass man sich deswegen beruhigen dürfe, ist vermutlich nicht richtig. Der am häufigsten benutzte Ausdruck in Bezug auf Donald Trump ist Disruption, was so viel wie Unterbrechung oder schöpferische Pause bedeuten kann. Aber der Ausdruck "Unterbrechung" ist das, was andere eine Katastrophe nennen würden, die den Charakter einer Kettenreaktion annehmen wird.
Wie könnte denn eine solche Kettenreaktion aussehen?
Sloterdijk: Man kann sich sehr gut vorstellen, dass Trump sich über die abratenden Stimmen seiner Sicherheitsberater hinwegsetzt und eine taktische oder strategische Atomwaffe einsetzt, das liegt in seinem Temperament. Er wird es nicht gegenüber Russland tun, weil dort die Vergeltungskapazität zu groß ist. Aber er könnte in Afghanistan, Pakistan, im Iran einigen Schaden anrichten, indem er Militärschläge anordnet. Und zwar wieder über improvisierte Dekrete, die vermutlich auch seinen Regierungsstil bis auf Weiteres definieren werden. Und dann kommen unweigerlich kettenreaktionsartige Antworten von dritter und vierter Seite. Denn wenn einmal dieser Dialekt der militärischen Gewalt gesprochen wird, dann reden andere mit, und zwar in derselben Sprache.
Ist Trump eine Gefahr für die Demokratie?
Sloterdijk: Trump ist ein klassischer Oligarch, der an die Herrschaft der Wenigen oder sogar einer einzelnen Person glaubt, wie Ludwig der XIV, der den Ausdruck "Ich bin der Staat" prägte. Trump sagt nun: "Ich bin das Volk". Und indem er das sagt, sind die Medien, die Zeitungen, die gegen ihn sind, Feinde des Volkes. Man kann Volksfeind sein, indem man gegen eine einzelne Person ist. Der ganze parlamentarische Apparat ist ihm offenkundig sehr lästig. Damit möchte er möglichst wenig zu tun haben. Er möchte mit den Richtern. Gegen sie führt er ganz offen Krieg. Kurzum: er träumt von einer Absolutsetzung der Exekutive. Regieren im Dekretstil.
Das Interview führte Stefan Buchen.