Feminismus: Kann das weg?
Im Jahr 2017 sind Frauen ganz oben angekommen: Deutschland wird von einer Frau regiert, an der Spitze des Internationalen Währungsfonds steht eine Frau und selbst Rechtspopulisten kommen nicht mehr an ihnen vorbei. Wenn das mal keine echte Gleichstellung ist. Vorbei sind die verstaubten Zeiten, in denen man Frauen in der Öffentlichkeit hauptsächlich zum Dekorieren brauchte. "Die Ansagerinnen haben nach dem gegenwärtigen Programmverständnis eine Zierrat-Funktion", sagte der damalige stellvertretende NDR Intendant Dietrich Schwarzkopf 1977 im Fernsehen. Er meine das gar nicht zynisch. Das ist gerade mal 40 Jahre her.
Sexismus: Alltag im Job
Der Blick ins Fernseh-Archiv erinnert an die fiesen Ausprägungen von Sexismus aus diesen Zeiten: Eine Fremdsprachensekretärin meldet sich auf eine Stellenanzeige, in der eine Baufirma "dringend 2-3 hübsche Mädchen für Bürotätigkeit" sucht. Am Telefon sagt man ihr, sie solle sich zum Vorstellungsgespräch ein Kleid anziehen, man wolle Beine sehen. "Ich fragte, ob meine Beine zum Tippen gebraucht würden", erzählt sie. "Der junge Mann am Telefon sagte: Nein, aber er würde sich das aussuchen, wie die Mädchen auszusehen hätten, die für ihn dort arbeiteten." Eine Holzfabrik-Arbeiterin erzählt von einem Arbeitskollegen, der ihr hinterrücks an den Busen grapschte. Einer Busfahrerin traute man nicht zu, mit großen Maschinen umzugehen, und eine Schreinerin wurde verdächtigt, sie würde mit allen Kollegen ins Bett gehen.
"Endlich spricht es mal jemand an"
Die Journalistin Ingrid Kolb war Ende der 70er-Jahre Reporterin beim "Stern" und berichtete als eine der ersten über die Frauenbewegung. 1977 veröffentlichte sie eine Titelstory, in der Frauen über Sexismus im Job auspackten. "Damals gab es einen Sturm der Erleichterung", sagt sie. "Zustimmung von Frauen, die sagten: 'Endlich spricht es mal jemand an!'"
Frauen erkämpfen sich das Abtreibungsrecht, öffnen die Bundeswehr und setzen Frauenquoten durch, etwa für Aufsichtsräte. Gekämpft, gesiegt, so scheint es. Doch eine neue Studie sagt: Immer noch 19 Prozent der befragten Frauen haben körperliche sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt.
"Wenn ich das offen sage, brauch ich gar nicht mehr ins Büro kommen"
Wir starten einen Aufruf im Internet: "Sind Sexismus und Chauvinismus im Job ausgestorben?" und bekommen zahlreiche Anekdoten geschickt. Nur ein Bruchteil der Absenderinnen traut sich, sie uns vor der Kamera zu erzählen. Viele haben Angst vor Konsequenzen. "Man steht dann gleich als Aktivistin da", schreibt eine Frau aus München. “Wenn ich das offen sage, brauch ich gar nicht mehr ins Büro kommen”, eine andere.
Doch es melden sich auch Frauen, die keine Lust mehr haben zu schweigen. "Bei der Weihnachtsfeier im Betrieb wurde die Ansage gemacht, dass wir Mädels ja doch gefälligst nicht alle an einem Tisch sitzen sollen, sondern uns zu den Männern setzen", erzählt eine Managerin. "Wir sollten uns alle aufteilen und an die Männertische gehen, um dort die Kollegen zu unterhalten. Es haben alle gemacht." Eine Autorin und Übersetzerin wurde von einem Verleger darauf aufmerksam gemacht, dass sie mehr Erfolg haben würde, wenn sie sich "weiblicher und anschmiegsamer" verhalten würde, und "mehr Dankbarkeit zeige". Einer Schriftstellerin fasste man bei einer Fachtagung in den Ausschnitt. "Und was hab ich gemacht?", sagt sie. "Das, was die meisten Frauen immer noch machen. So tun, ab ob ich gelassen damit umgehen könnte."
Darüber sprechen, statt wegzulächeln
So tun, als ob, mitspielen. Warum ist es für viele immer noch nicht selbstverständlich, Sexismus anzuprangern? "Wenn es Kleinigkeiten sind, wird's sowieso weggelacht oder unter den Teppich gekehrt", sagt die ehemalige Stern-Reporterin Kolb. "Und wenn es etwas massiver ist, überlegt man sich trotzdem auch heute immer noch: Spricht man darüber? Dieses Gefühl, dass irgendwas an einem selber hängen bleibt, das ist noch nicht weg."
Feminismus als Slogan ist heute etabliert, fast schon staatstragend. Feminismus in der Realität ist immer noch verdammt mühselig.