Sexismus-Aufschrei: Ende des Schweigens
Rainer Brüderle schweigt. Dafür sprechen seine Parteifreunde. Über die Äußerungen ihres FDP-Fraktionschefs gegenüber einer Journalistin des Magazins "Stern". Abends an der Bar, am Rande des Dreikönigstreffens, so hatte sie geschildert, habe Brüderle eine Bemerkung über ihre Brüste gemacht. "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen". "Die Vorwürfe gegen ihn sind durchsichtig und haltlos", poltern seine Mitstreiter. Das sei eine Kampagne gegen die gesamte FDP. Für die Liberalen steht fest: Die Reporterin habe die Begegnung an der Hotelbar benutzt, um Brüderle in ein falsches Licht zu rücken.
Tatsächlich? In Berlin haben einige Journalistinnen dem Mann, der die FDP in den Bundestagswahlkampf führen soll, einen zweifelhaften Spitznamen verpasst: "Popo-Grapscher". Frauen berichten von unangenehmen Begegnungen mit Rainer Brüderle. Und seinen Händen. Über anzügliche Sprüche. Nicht nur abends nach ein paar Gläsern Rotwein, sondern auch tagsüber, im Bundestag. Die Begegnungen liegen zum Teil Jahre zurück, was der These der FDP-Riege widerspricht, hier werde jemand falsch dargestellt. Auch wenn die Partei nach wie vor zu ihrem Spitzenkandidaten steht, die Sexismus-Debatte ist unweigerlich mit ihm verknüpft.
Die Debatte geht weit über Brüderle hinaus
Dabei ist es nicht Brüderle allein, der gegenüber Journalistinnen zum Herrenwitz neigt. Allzu oft nutzen auch andere, männliche Parteifunktionäre unterschiedlicher Couleur, ihre Stellung für Verbalübergriffe. Eine Demonstration von Macht. Eine Abqualifizierung, um die Position gegenüber den Journalistinnen deutlich zu machen. Und damit ist die Debatte über Sexismus kein reines Phänomen Rainer Brüderle, sondern ein Gesellschaftliches.
Im Internet, bei der Arbeit, im Bus. Überall erzählen plötzlich Frauen ihre Geschichten. Begegnungen mit Männern, die sie bisher nur ihren Freundinnen anvertraut haben. Oft spielt der Vorgesetze eine Rolle. Und die Verzweiflung von Frauen, wie sie verbalen Anzüglichkeiten oder gar Übergriffen begegnen sollen. Lange haben sie darüber geschwiegen. Mit der Debatte um Sexismus hat das ein Ende.