Stand: 22.09.2016 11:23 Uhr

Fahrradklau: Wohin verschwinden unsere Räder?

von Johannes Edelhoff & Christian Salewski
Jutta Germann © NDR Foto: NDR
Jutta Germanns Fahrrad wurde gestohlen - so wie 335.000 andere im Jahr 2015.

Jutta Germann fuhr ihr nagelneues Fahrrad gerade einmal drei Wochen, dann war es weg. Gestohlen, am helllichten Tag, direkt vor der Apotheke in Plön, in der sie arbeitet. Germann erstattete Anzeige, nannte der Polizei die Rahmennummer - PK 4768612 - , doch das Rad blieb verschwunden. Nach einigen Wochen schrieb ihr die Polizei, sie solle sich keine Hoffnung mehr machen. Das gestohlene Rad wird jetzt Teil einer Statistik, die für Deutschlands Strafverfolger wenig rühmlich ist.

 

Minimale Aufklärungsquote

Alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Fahrrad gestohlen. Im vergangenen Jahr waren es über 335.000 - und das sind nur die angezeigten Fälle. Ohne schwerste Schlossbewaffnung sollte man sein Rad besser nicht aus den Augen lassen, rät selbst die Polizei. Kein Wunder, denn nicht einmal jeder zehnte gemeldete Diebstahl wird aufgeklärt. Auf rund 100 Millionen Euro beläuft sich die Schadenssumme, die allein im vergangenen Jahr von Hausratversicherern gezahlt wurde. Fahrraddiebstahl ist ein Massendelikt mit vielen Opfern. Aber wer sind die Täter? Und warum macht der Staat es ihnen so leicht?

Organisierte Banden sind am Werk

VIDEO: Fahrradklau: Wohin verschwinden unsere Räder? (15 Min)

Panorama hat sich über mehrere Monate auf die Suche nach Antworten begeben. Das Ergebnis der Recherche: Fahrraddiebstahl wird viel zu oft als bloße Bagatelle abgetan, ist aber in vielen Fällen ähnlich gut organisiert wie etwa Wohnungseinbruch oder Autodiebstahl. Internationale Banden, vor allem aus Osteuropa, machen immer häufiger auch Jagd auf Fahrräder. Was sie lockt, ist das vergleichsweise geringe Risiko. Denn die Strafverfolgung ist bei Weitem nicht so intensiv, wie sie sein müsste, um dem grassierenden Problem Herr zu werden.

Wo landen geklaute Räder in Hamburg?
Ein angeschlossenes Fahrrad © NDR Foto: NDR

Die GPS-Falle

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Viel zu wenig Personal im Einsatz

Fast überall fehlt es der Polizei an Personal für aufwendige Ermittlungen. Sokos, die Hintermänner ermitteln und Strukturen zerschlagen, sind in Deutschland viel zu selten vorgesehen, und wenn es sie gibt, sind sie personell lächerlich ausgestattet. In der Millionenstadt Hamburg etwa, in der allein im vergangenen Jahr über 17.000 Fahrräder als gestohlen gemeldet wurden, sind für die Soko Fahrrad ganze vier Polizisten abgestellt. Die Aufklärungsquote liegt bei unter vier Prozent. Auch in Bremen, immerhin dem Bundesland mit den meisten Fahrraddiebstählen pro Einwohner, hat die Soko Fahrrad vier Beamte. Sie treten an gegen Banden, die immer dreister werden. In Lüneburg etwa brach eine Bande gleich mehrfach in ein gesichertes Fahrradparkhaus ein und knackte Fahrradschlösser per Elektroflex. Anderswo sieht es nicht besser aus.

Karte: Fakten rund um Fahrraddiebstahl

"Natürlich machen wir es den Banden leicht!"

Was man erreichen kann, wenn man zumindest zeitweise Ressourcen bündelt, zeigt ein spektakulärer Erfolg von Ermittlern aus Cottbus. Dort konnten in mühseliger Kleinarbeit - etwa durch aufwendige Telefonüberwachungen - gleich drei hoch professionelle Diebesbanden aus Polen überführt werden, die über 500 Fahrräder im Wert von 360.000 Euro erbeutet hatten. Die Anführer sitzen inzwischen geständig in Haft. Ein absoluter Ausnahmeerfolg, wie auch Bernhard Brocher, leitender Oberstaatsanwalt in Cottbus, gegenüber Panorama einräumt: "Wir haben normalerweise nicht die Ressourcen, um Fahrraddiebe mit den Mitteln zu bekämpfen, die wir sonst bei schweren Wohnungseinbrüchen anwenden. Und insofern ist damit verbunden, dass wir Fahrraddiebstahl nicht so intensiv ermitteln, wie wir das rechtlich dürften und technisch könnten, wenn wir denn personell entsprechend ausgestattet wären." Brochers Schlussfolgerung: "Natürlich machen wir es den Banden leicht!"

Warum werden die Daten nicht weitergegeben?

Informationen zu gestohlenen Rädern, vor allem die Rahmennummern, werden nicht regulär in das europäische Fahndungssystem eingespeist. Die Polizei hat im deutschen Fahndungssystem Inpol laut Bundeskriminalamt (BKA) Daten zu über 1,2 Millionen Fahrrädern gespeichert, aber keine dieser Informationen erreicht automatisch das sogenannte Schengen-Informationssystem. Mit dramatischen Folgen: "Wenn die nicht ausgefiltert würden, würden wir viel mehr Rückmeldungen über geklaute Fahrräder bekommen und hätten auch viel mehr Ermittlungsansätze. Und das Entdeckungsrisiko wird auch drastisch gesenkt", sagt der leitende Oberstaatsanwalt Brocher. Warum gibt man die Daten dann nicht weiter? Das BKA, zuständig für den polizeilichen Informationsaustausch, schreibt auf Panorama-Nachfrage: "Zwar ist über den Schengen-Fahndungsverbund grundsätzlich kein Nachrichtenaustausch möglich bzw. vorgesehen. Jedoch wird umfangreicher Schriftverkehr zu gestohlenen Fahrrädern auf dem Interpol-Weg geführt, vor allem mit osteuropäischen Staaten." Was "umfangreich" bedeutet, kann das BKA indes nicht beantworten und auch nicht, wie oft überhaupt solche aufwendigen "Mitfahndungsersuchen" gestellt werden. "Ich habe davon noch nie gehört, das ist definitiv keine gelebte Praxis", sagt dazu ein Kripo-Beamter, der sich schwerpunktmäßig mit Fahrraddiebstahl beschäftigt. Das bestätigt auch Arunas Paulauskas von der Bundespolizei Litauen. "Wir haben bislang keinen Mechanismus, keine einheitliche Datengrundlage, anhand derer wir die Fahrräder überprüfen können", sagt er.  

Dass die Räder geklaut sind, ist ein offenes Geheimnis

Fahrräder auf dem größten Flohmarkt Litauens in Kaunas. © NDR Foto: NDR
Dass die Räder meist geklaut sind, ist auf dem größten Flohmarkt Litauens in Kaunas ein offenes Geheimnis.

Zudem haben Diebe und Hehler kaum etwas zu befürchten, wenn sie es einmal ins Ausland geschafft haben. Sie können die geklauten Fahrräder ganz offen verkaufen. So wie etwa auf dem größten Flohmarkt Litauens in Kaunas. Hier tauchen die Räder aus Deutschland wieder auf. Leicht zu erkennen an der Marke oder Aufklebern von Händlern. Und alle: überraschend günstig. Warum, das ist hier ein offenes Geheimnis. "Weil sie alle geklaut sind", lacht ein Händler auf Nachfrage. Panorama macht den Test: Wir geben uns als Käufer aus, machen Probefahrten und notieren heimlich die Rahmennummern. Die schicken wir zum Abgleich an die deutschen Polizei. Tatsächlich haben wir gleich mehrere Treffer. Räder, die in Deutschland als gestohlen gemeldet sind und hier ganz offen verkauft werden. Zum Schluss notieren wir noch eine Rahmennummer, die später einer Frau in Deutschland sehr bekannt vorkommen wird: PK 4768612. Jutta Germann weiß jetzt, wo ihr nagelneues Rad ist. Zurückbekommen wird sie es wohl trotzdem nicht.

 

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Fahrradklau: Wohin verschwinden unsere Räder?

Der Panorama-Beitrag vom 22. September 2016 als PDF-Dokument zum Download. Download (121 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.09.2016 | 21:45 Uhr

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