Stand: 26.11.2015 14:08 Uhr

Deutschland exportiert Kohlekraftwerke

von Stefan Buchen

Der Abschied von den fossilen Brennstoffen ist das Gebot der Stunde, meinen Klimaforscher. Öl, Gas und Kohle tragen am meisten zur menschengemachten Erwärmung der Atmosphäre bei.  Deshalb müsse ihre Nutzung schnell zurückgeschraubt werden. Irgendwie ist die Botschaft ins öffentliche Bewusstsein eingesickert. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass die Bundesregierung sich der Sache annimmt und was tut. Deutschland ist Vorreiter in der Klimapolitik. Zumindest sind wir besser als die anderen. Wir sind das Land der Energiewende. Wir setzen auf Wind und Sonne. Der Staat steuert die Wende weise, so der verbreitete Eindruck.

VIDEO: Deutschland exportiert Kohlekraftwerke (10 Min)

Weiter Strom aus Kohle

Sieht man genauer hin, könnte man erschrecken. Aufgeschreckt haben in den vergangenen Monaten schon die Nachrichten aus dem Hause Volkswagen. Aber das Schönrechnen der Schadstoff- und Verbrauchswerte der Autos aus Wolfsburg ist nur ein Beispiel, das die deutsche Klimabilanz trübt. Auch in der Kohlepolitik hintertreibt Deutschland das feierlich verkündete Ziel, durch Begrenzung der CO2-Emission die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Im Inland fällt der Abschied vom Treibstoff des deutschen Nachkriegswirtschaftswunders, der Kohle, schon schwer genug. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat gerade großen Betreibern von Kohlekraftwerken 1,6 Milliarden Euro dafür versprochen, dass sie bis 2019 Braunkohleblöcke mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt schrittweise vom Netz nehmen - wobei sie jeden vom Netz genommenen Block weitere vier Jahre als Reserve vorhalten.

Kohle statt Solarenergie

Lazaros Tsikritzis
Prof. Lazaros Tsikritzis sieht das Kohleprojekt kritisch. Zumal Griechenland Sonnenenergie nutzen könnte.

Deutschland erzeugt immer noch 46 Prozent seines Stroms aus Kohle. Aber das ist nur die eine Seite. Deutschland exportiert auch Kohle-Technik ins Ausland, ja sogar ganze Kohlekraftwerke. Die Unternehmen dürfen sich über tatkräftige Unterstützung der Bundesregierung freuen. Der Duisburger Konzern Hitachi Europe etwa hat von der staatlichen "Kreditanstalt für Wiederaufbau" (KfW) einen Kredit über 730 Millionen Euro erhalten, um im nordgriechischen Kohlerevier "Ptolemaida" ein neues Kraftwerk zu bauen. Sollte der Auftraggeber, der staatliche griechische Energieversorger "DEI", den Kredit nicht zurückzahlen, brauchen sich die Duisburger keine Sorgen zu machen. Einen möglichen Zahlungsausfall sichert die Bundesregierung mit einer "Hermes"-Bürgschaft ab. Im Zweifel wird der deutsche Steuerzahler also das Kohleprojekt in Griechenland finanzieren. 

"Ohne die deutsche Hilfe wäre das Projekt nicht zustande gekommen", sagt Prof. Lazaros Tsikritzis von der Technischen Universität Kozani. Der Bergbauingenieur sieht das neue Werk, das 2019 ans Netz gehen soll, kritisch. “Es legt uns über Jahrzehnte auf die Nutzung von Kohlestrom fest”, meint Tsikritzis. Dabei liege es für Griechenland nahe, auf Sonnenenergie zu setzen.

Deutschland will am Kohleboom mitverdienen

Die Bundesregierung rechtfertigt Projekte wie das in Ptolemaida damit, dass die neuen Kraftwerke weniger Kohlendioxid ausstoßen als etwa die alten Meiler im griechischen Kohlerevier. "Der Vergleich mit den alten Kraftwerken hinkt", meint die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (Grüne). “Man muss die Treibhausgasemissionen des neuen Kraftwerks mit der Klimabilanz von Anlagen aus erneuerbaren Energien vergleichen, die nun nicht gebaut werden.” 

Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (Grüne)
Man müsse die Emissionen des Kohlekraftwerks mit der Klimabilanz von Anlagen aus erneuerbaren Energien vergleichen, kritisiert Annalena Baerbock (Grüne).

Ptolemaida V wird jedenfalls trotz aller Effizienz ca. 800 Gramm CO2 je Kilowattstunde erzeugtem Strom emittieren. Damit ist dieses “hochmoderne” Kohlekraftwerk immer noch mehr als doppelt so schmutzig wie ein Gaskraftwerk mit gleicher Leistung. Das hindert Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nicht daran, "clean coal technology" aus Deutschland anzupreisen. Russland, Ukraine, Türkei, Serbien, Vietnam, Südfrika, Philippinen: lang ist die Liste der Länder, in die deutsche Unternehmen ihre Kohle-Technik liefern wollen und dafür Exporthilfen der Bundesregierung beantragt haben. Sie dürfen auf das Wohlwollen aus Berlin hoffen. Seit 2006 hat die Bundesregierung über die "Kreditanstalt für Wiederaufbau" mehr als drei Milliarden Euro Exportkredite für Kohle-Vorhaben gewährt. International boomt der Markt für Kohlekraftwerke. In Indien, Südostasien und Afrika sind mehr als 1.000 neue Anlagen geplant. Da sei es "nicht unanständig", dass auch Deutschland daran verdienen möchte, meint der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Deutschen Bundestag, Peter Ramsauer (CSU).

Zwei-Grad-Ziel? Mit dieser Politik unwahrscheinlich

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel spricht bei der 9. Nationalen Maritimen Konferenz in Bremerhaven. © dpa-bildfunk Foto: Ingo Wagner
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel räumt ein, dass der CO2-Ausstoß steigen wird durch den Bau neuer Kohlekraftwerke.

Auf den Vorhalt, dass durch den Bau vieler neuer Kohlekraftwerke in der Welt der absolute CO2-Ausstoß steigen werde, räumt Bundeswirtschaftsminister Gabriel in Panorama ein: "Da haben Sie Recht." Die Vertreter von Siemens und des Bauriesen Strabag, die wir vor dem Sitz der OECD in Paris ansprechen, argumentieren hingegen eher in die Richtung, dass sonst die Dinger von anderen gebaut würden. Die Industriemanager haben die Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten Mitte November in Paris "beraten", als neue Regeln der staatlichen Exportförderung ausgehandelt wurden. Deutschland kann zufrieden sein: die Ausfuhr "hochmoderner" Kohlekraftwerke darf weiter mit Krediten und Bürgschaften vom Staat gefördert werden. Der Deal ist nicht das beste Omen für die Klimakonferenz in Paris. "Mit dieser Politik können wir das Zwei-Grad-Ziel vergessen", meint die Grünen-Abgeordnete Baerbock.

 

Weitere Informationen
Kraftwerk

Energiewende: Rückkehr der schmutzigen Kohle

Die dreckigste aller Arten, Strom zu erzeugen, boomt in Deutschland wie seit langem nicht. Längst veraltete Braunkohlekraftwerke laufen auf Hochtouren und verpesten die Luft. mehr

Strommasten vor Abendhimmel. © picture-alliance / ZB Foto: Patrick Pleul

Energiewende: Größenwahn statt Megaplan

Das ökologische Megaprojekt "Energiewende" wirkt manchmal eher wie ein Himmelfahrtskommando. Reporterin Anja Reschke fragt: Können wir die Energiewende noch schaffen? mehr

Profit mit Dreck: Deutschland exportiert Kohlekraftwerke

Der Panorama-Beitrag vom 26. November 2015 als PDF-Dokument zum Download. Download (183 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.11.2015 | 21:45 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?