Toller Nebenjob: Beamte als Versicherungsvertreter
Im August 2010 geschieht im Leben von Ahmed Gabler etwas Merkwürdiges. Gabler ist damals Lehramtsanwärter, er will künftig Physik unterrichten. Jetzt wartet er gespannt darauf, an welcher Schule er sein Referendariat absolvieren wird. Da klingelt das Telefon. Am Apparat eine private Krankenversicherung: die Debeka. Deren Vertreter teilt Gabler mit, was der nicht weiß: an welche Schule er kommen wird und wann er dort anfängt. Nebenbei bietet der Debeka-Mann ihm Versicherungen an, schließlich hat er so schon den Fuß in der Tür. "Ich war schon erstaunt, dass die Debeka das erfahren hat", sagt Gabler. Woher der Debeka-Mann sein Wissen hatte, weiß der Lehrer bis heute nicht.
Für die Debeka-Vertreter sind die Kontaktdaten angehender und neuer Beamter Gold wert. Schließlich gehören Beamte zu den wichtigsten Kunden. Und wer sollte früher und besser um den Nachwuchs Bescheid wissen, als die, die schon Staatsdiener sind, die Beamten in der öffentlichen Verwaltung? Welche Versicherung sie dazu bringt, die eigenen Versicherungsverkäufer auf potentielle Neukunden hinzuweisen, hat oft den entscheidenden Vorsprung vor der Konkurrenz.
Ein "System von Hinweisgebern"
Die Debeka unterhält dazu nach Recherchen von Handelsblatt und Panorama ein Tippgebersystem in der deutschen Beamtenschaft. Der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Edgar Wagner hat dieses Vertriebssystem intensiv untersucht. Er spricht gegenüber Panorama von einem "System von H/fernsehen/sendungen/panorama/media/wagner335_v-contentxl.jpginweisgebern", bestehend aus mindestens 8.000 aktiven Beamten. Die Debeka selbst führt diese Staatsdiener als "Vertrauensmitarbeiter" oder intern kurz als "VM". In einem internen Debeka-Schreiben aus dem Jahr 2009, das Handelsblatt und Panorama vorliegt, gibt der das "Ziel" aus, "mindestens einen VM in jeder Behörde bzw. Firma zu installieren". Nennen diese Staatsdiener der Debeka einen Neukunden werden sie bei Vertragsabschluss an der Provision beteiligt. In den vergangenen Jahrzehnten gab die Debeka hohe Millionenbeträge dafür aus.
Missachtung von Datenschutzvorschriften
Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, solange der Beamte sich an eine ganze Reihe von Vorschriften hält, darunter ganz zentral: das Datenschutzrecht. Doch genau das wurde offenbar viel zu oft nicht beachtet. "Wir mussten feststellen, dass Datenschutzvorschriften massiv verletzt wurden, nicht nur in Einzelfällen, sondern womöglich in tausenden von Fällen", sagt Datenschützer Wagner gegenüber Panorama. Seine Schlussfolgerung: "Weil wir Zweifel haben, ob das Unternehmen alles getan hat, um solche Missstände zu verhindern, haben wir jetzt ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Debeka und den Vorstand eröffnet." Den Vorstandsmitgliedern um den Vorsitzenden Uwe Laue droht laut Datenschützer Wagner daher ein Bußgeld von bis zu einer Million Euro. Der Debeka drohe zudem ein Bußgeld von bis zu zehn Millionen Euro. Das Unternehmen wollte sich dazu mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern, betont aber, dass man die Ermittlungen unterstützen wolle.
Wie man Beamte als "VM" anwirbt, lernten Debeka-Mitarbeiter in Schulungen. Ein interner Gesprächsleitfaden, der Handelsblatt und Panorama vorliegt, zeigt die Methode: freundlich, bestimmt und direkt auf die Gier abzielend. "Ich brauche ihre Hilfe, jemanden der Augen und Ohren für mich offen hält. Dafür finanziere ich Ihnen nächstes Jahr ihren Mallorca-Trip (Laptop, LCD Fernseher, Winterreifen)", heißt es dort. Ein ehemaliger Debeka-Mitarbeiter bestätigt gegenüber Panorama, dass so auch die Praxis aussah. Eine typische Rekrutierungsansprache beschreibt der Insider so: "Was halten Sie denn davon, wenn Sie sich nächstes Jahr einen Urlaub davon finanzieren können oder irgendwelche anderen Anschaffungen, die anstehen, wenn Sie sich da Geld erwirtschaften können, ohne großen Aufwand?"
Verdacht auf Bestechung von Beamten
Für derlei Praktiken interessiert sich mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft Koblenz. "Wir ermitteln gegen Mitarbeiter der Debeka-Gruppe wegen des Verdachts der Bestechung und der Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen, darüber hinaus ermitteln wir gegen Mitarbeiter von Verwaltungen wegen des Verdachtes der Bestechlichkeit und der Verletzung von Dienstgeheimnissen", so Oberstaatsanwalt Rolf Wissen gegenüber Panorama. Konkrete Namen kennt die Staatsanwaltschaft zwar noch nicht, aber Wissen betont: "Wenn ein Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen gegen Geld Adressen rausrückt, dann erfüllt es den Tatbestand der Bestechlichkeit und der Verletzung von Dienstgeheimnissen." Sollte es zu Verurteilungen kommen, könnten Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Dazu teilt die Debeka auf Anfrage mit: "Es verstößt gegen die Richtlinien der Debeka, wenn Beamte Adressen an Mitarbeiter der Debeka verkaufen." Man habe "großes Interesse an der Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe". Die Debeka hatte zuletzt angekündigt, ihr Datenschutzreferat personell zu verstärken und Vertragsanbahnungen künftig zu dokumentieren. Ergebnisse einer internen Untersuchung durch die Unternehmensberatung KPMG hat die Debeka bislang nicht vorgelegt.
Disziplinarrechtlich drohen den "Vertrauensmitarbeitern", die Gesetze missachtet haben, zudem weitere Strafen. "Da wird der Dienstherr entscheiden müssen, ob er Disziplinarstrafen ausspricht, und das kann am Ende bis zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gehen", so Datenschützer Wagner. Für den Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim wäre das konsequent. "Es handelt sich um ein ausgeklügeltes Kungelsystem, bei dem ein Großunternehmen sich eine Fülle von Beamten gefügig macht und auf diese Weise dem Ansehen des öffentlichen Dienstes großen Schaden zufügt", sagte er Panorama.