Todespilot Atta: Die andere Seite der "Bestie"
Mehr als zwölf Jahre schlummerte das zeitgeschichtliche Dokument in einer Schublade, unzugänglich für die Öffentlichkeit. Jetzt konnten Panorama und "Süddeutsche Zeitung" erstmals die 152-seitige Diplomarbeit von Mohammed Atta lesen. Der Ägypter, der am 11. September 2001 ein Flugzeug gegen den Nordturm des World Trade Center in New York prallen ließ, hatte die Arbeit im August 1999 im Fachbereich Städtebau und Stadtbaugeschichte der Technischen Universität Hamburg-Harburg eingereicht.
Der Terrorist als Stadtplaner
Thema der Diplomarbeit ist die Sanierung eines Altstadtviertels der nordsyrischen Metropole Aleppo. Die Lektüre bietet jedoch mehr als exakte Zeichnungen von Straßenzügen und einen Plan zur Wiederbebauung einer Brachfläche in Aleppo. Weil der spätere Terrorist und Massenmörder das spezielle Thema in einen größeren kulturellen, historischen und politischen Kontext stellt, liefert die Diplomarbeit erstaunliche Einblicke in seine Gedankenwelt.
"Der Mensch steht im Mittelpunkt des planerischen Interesses", schreibt Atta. Er zeigt enormes Engagement, die von Abriss und Verfall bedrohten Altstädte Arabiens zu erhalten. Es gehe darum, den Bewohnern "ein würdiges Leben" zu ermöglichen. Die Lebensqualität in den traditionellen Häusern sei höher als in den Geschossbauten der Neubauviertel. Die drohende Zerstörung der arabischen Altstädte führt er auf die Bevölkerungsexplosion, das Desinteresse der Regierungen und auf den schädlichen Einfluss europäischer Berater zurück.
"Eine ernsthafte, ehrliche Arbeit"
Paradoxerweise wird in der Diplomarbeit das Profil eines Mannes erkennbar, der aufbauen und nicht zerstören will. Sein ehemaliger Betreuer Prof. Dittmar Machule hat die Arbeit seines bekanntesten Studenten deshalb bislang nicht öffentlich diskutiert. "Ich hatte das Gefühl, man würde das nicht verstehen. Man liest da ja das Gegenteil von dem, was man vermutet, wenn man die Bilder von 09/11 sieht", erklärt der inzwischen emeritierte Professor für Städtebau und Stadtbaugeschichte. Dass Atta die Diplomarbeit schrieb, um seine Terrorpläne zu vertuschen, schließt Machule aus: "Das ist eine ernsthafte, ehrliche Arbeit".
Bibliotheken wollen Arbeit nicht archivieren
Machule plädiert dafür, Forschern und Interessierten den geregelten Zugang zu dem Dokument der Zeitgeschichte zu ermöglichen. Bislang hat die Diplomarbeit jedoch keinen offiziellen Archivar gefunden. "Niemand möchte die Diplomarbeit haben", so Machule. "Es ist nicht unsere Aufgabe, eine unveröffentlichte Diplomarbeit in den Lesebestand aufzunehmen", sagte eine Mitarbeiterin der Hamburgischen Staats- und Universitätsbibliothek auf Anfrage von Panorama und SZ.
Die Leiterin der Bibliothek der TU Harburg antwortete auf die Frage, ob sie bereit sei, die Diplomarbeit von Mohammed Atta zu archivieren: "Ungern bei uns. Wir sind kein Archiv, sondern eine Gebrauchsbibliothek." Sie fügte jedoch hinzu: "Wenn sich sonst niemand findet, würde ich das zumindest bei uns zwischenlagern. Das ist ja Teil unserer Geschichte."