USA suchen Bündnispartner gegen ISIS
Seit einigen Monaten ist Raad al-Hamdani ein gefragter Mann: Emissäre der Macht, die ihn vor elfeinhalb Jahren aus dem Amt gebombt haben, klopfen jetzt bei ihm an, um ihn als Verbündeten zu gewinnen. US-Militärs, Diplomaten und Geheimdienstler wollen wissen, wie der General a.D. helfen kann, die Lage im Irak in den Griff zu bekommen.
Raad al-Hamdani war bis April 2003 General der Republikanischen Garde von Saddam Hussein. Nach dem Einmarsch hatten die US-amerikanischen Besatzer Leuten wie ihm keine aktive Rolle zugedacht im neuen Irak. Der damalige Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz begründete das Abseits mit den Worten, Hamdani und seinesgleichen seien "Sunni Nazi generals" - sunnitische Nazigeneräle. Die irakischen Streitkräfte wurden aufgelöst und die Baath-Partei verboten. Mit "Order Number One" und "Order Number Two" schaffte der US-Statthalter Paul Bremer im Mai 2003 das alte Regime ab.
Neu erwachtes Interesse an Hamdani
Nach Recherchen von Panorama interessieren sich die USA seit Kurzem sehr für Hamdani. Er lebt im Exil in der jordanischen Hauptstadt Amman, wo er Mitglied des "Allgemeinen Militärrats der Revolutionäre" ist, einer sunnitisch-nationalistischen Exilgruppe, die der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad vorwirft, die Sunniten im Irak zu diskriminieren. Deshalb schürt der Militärrat von Amman aus seit mehr als zwei Jahren die Proteste in den sunnitischen Provinzen. Als die Bewegung sich Anfang des Jahres beinah zu einem Bürgerkrieg auswuchs, sickerte obendrein die Terrorgruppe ISIS von Syrien in den Irak ein. Die Krise eskalierte.
"Am 24. April 2014 besuchte mich eine kleine Militärdelegation aus den USA, drei Offiziere. Sie wollten wissen, warum die Sicherheit im Irak zusammengebrochen ist", sagte Hamdani gegenüber Panorama. "Sie fragten, ob sich die Gewalt noch weiter ausdehnen werde." Auch Leute aus der US-Botschaft in Amman hätten sich bei ihm gemeldet, um über die Krise zu sprechen.
Hamdani ist bei weitem nicht der einzige irakische Nationalist, der von wichtigen Amerikanern zum Gespräch gebeten wird. Ein früherer enger Berater von Saddam Hussein, der namentlich nicht genannt werden möchte, berichtet, dass der außenpolitische Lobbyist und frühere republikanische Senator Norm Coleman ihn von einem Fahrer in Amman habe abholen und in sein Luxushotel am Toten Meer habe chauffieren lassen. Coleman habe sich die verworrene Lage im Irak erklären lassen wollen. Vor allem habe er wissen wollen, warum die Sunniten unzufrieden sind. Coleman reagierte auf Anfragen zu diesem Treffen nicht.
Diplomatische Offensive in Richtung ehemaliger Todfeinde
Was steckt hinter dieser diplomatischen Offensive der USA in Richtung der Todfeinde von 2003? Will man sich von ihnen bloß die Lage erläutern lassen? Vieles deutet darauf hin, dass die USA sich mehr erhoffen. "Ich weiß, dass US-Militärs, Diplomaten der Botschaft in Amman und Vertreter der US-Geheimdienste sich mit den irakischen Nationalisten vom "Militärrat" in Amman treffen", bezeugt die Irakexpertin Prof. Carole O´Leary, die die US-Regierung berät und als Sachverständige vor dem Senat ausgesagt hat. "Die Regierung hat erkannt, dass sie ohne die breite Unterstützung der irakischen Sunniten ISIS (den Islamischen Staat) nicht besiegen kann", fügt sie hinzu.
Das weckt Assoziationen zum Jahr 2007, als die US-Armee sunnitische Stammesleute bewaffnete, trainierte und bezahlte, um "al-Qaida in Mesopotamien", die Vorläuferorganisation von ISIS, in die Knie zu zwingen. Die Soziologin O´Leary hält eine Neuauflage dieses sogenannten Sunni Awakening für eine Option. Allerdings bestehe die Gefahr, dass man so "ein neues Monster" schaffe. Denn man könne sich nicht sicher sein, ob die Sunniten in den Provinzen Anbar und Ninive tatsächlich gegen ISIS kämpfen würden.
Waffenbruderschaft mit bitterem Nachgeschmack
Der Hass der Bevölkerung in den Sunnitenprovinzen auf die schiitische Regierung in Bagdad ist womöglich größer als die Abneigung gegen die sunnitische Terrorgruppe ISIS. Hinzu kommt, dass die Waffenbruderschaft mit den Amerikanern vor sieben Jahren einen mehr als bitteren Nachgeschmack hinterlassen hat. Die USA lösten ihr Versprechen, nach dem Sieg über al-Qaida für eine stärkere Beteiligung der Sunniten an der Macht in Bagdad zu sorgen, nicht ein.
Daran erinnert sich General a.D. Raad al-Hamdani sehr gut. Er ist nicht grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit mit den Invasoren von 2003. Seine Bedingung ist, dass die irakischen Streitkräfte neu aufgebaut und Sunniten, auch frühere Offiziere und Baath-Mitglieder, einen gerechten Anteil an den Posten bekommen. "Ich bin sehr zurückhaltend, was die Aufstellung von sunnitischen Milizen gegen ISIS angeht", meint Hamdani. "Dazu ist die Bevölkerung gar nicht bereit, solange sie aus der Luft bombardiert wird und viele Tausende Sunniten als politische Gefangene im Gefängnis sitzen."
Die irakischen Nationalisten pokern
Es scheint also nicht leicht zu sein, die Todfeinde von 2003 für die Stabilisierung des Irak zu gewinnen. Die irakischen Nationalisten pokern. In dieser Situation bekam Raad al-Hamdani im Juni seine Rente als ehemaliger General der Republikanischen Garde ausbezahlt. Zehn Jahre hatte er vergeblich darum gekämpft. Das berichtet er gegenüber Panorama. Haben die USA dabei ein wenig nachgeholfen, um Hamdani gewogen zu stimmen? "Ganz gewiss" meint Carole O´Leary. "Die irakische Regierung hätte die Rente von General Raad niemals von allein ausbezahlt."
Auf Anfrage von Panorama dementiert das State Department vehement, mit der Auszahlung der Rente von Raad al-Hamdani etwas zu tun zu haben. Dies sei eine "groteske Behauptung", teilte ein Sprecher telefonisch mit. Er wollte allerdings nicht ausschließen, dass Gesandte der US-Regierung sich mit den irakischen Nationalisten in Amman zu Gesprächen treffen. "Wenn solche Gespräche stattfinden, dienen sie dazu, die Iraker zur Teilnahme am demokratischen Prozess in ihrem Heimatland aufzufordern", erklärte der Sprecher.