Trotz Wohnungsnot: Bürger verhindern Neubauten
In einem opulent eingerichteten Wohnzimmer steht Konrad Adenauer. Rosa Hemd, weinrote Seidenkrawatte, ein gut sitzender Anzug. Konrad Adenauer ist ein direkter Nachfahre des ersten Bundeskanzlers Adenauer, zu erkennen daran, dass der Vorfahr mehrfach an der Wand hängt: als Bleistiftzeichnung, als Farbkunstwerk.
Hier, im Kölner Nobelviertel Lindenthal, steht eine Villa neben der nächsten, hier hat man Geld. Doch die Caritas plant schnöde Doppelhaushälften oder Reihenhäuser in direkter Nachbarschaft. Das kann man sich hier nicht vorstellen, sagt Adenauer, der auch zu viel Verkehr durch die neuen Bewohner fürchtet: "Wenn die Grundstücke sehr klein werden, dann werden die Häuser sehr kleinlich und nicht so großzügig wie es vorher war. [...] Es ist ein Villenviertel hier, und kein Industrieviertel. Und wir wollen, dass es so attraktiv bleibt, wie es eben ist." Deshalb gibt es eine Initiative mit 200 Mitgliedern gegen den Bau von Wohnungen für "einfache" Bürger.
Deutschland braucht dringend Wohnungen
Bauen ja, aber bitte nicht hier. Das ist nicht nur in Köln Lindenthal, sondern vielerorts die Devise. Dabei braucht Deutschland dringend Wohnungen. Bei Besichtigungen bewerben sich oft Dutzende, und genau deshalb steigen die Mieten. "Der Eigentümer sieht, ich will für 800 Euro vermieten, aber jemand zahlt auch 900 Euro. Also vermietet er für 900 Euro. Mehr Nachfrage als Angebot treibt die Preise hoch", erklärt Ulrich Pfeiffer, Wohnungsmarktforscher. "Es gibt nur eine Lösung: bauen, bauen, bauen."
195.000 Wohnungen müssten pro Jahr entstehen, damit der Wohnungsmangel endet, das hat das Bundesinstitut für Stadtforschung errechnet. In München werden pro Jahr 7.000 Wohnungen benötigt. In 2011 baute man dort gerade mal 5.900 neue Wohnungen, so das Statistische Bundesamt. In Stuttgart, Köln, Düsseldorf, Hamburg - überall wird zu wenig gebaut. In Berlin fehlen pro Jahr 8.000 Wohnungen, doch 2011 wurde nur knapp die Hälfte gebaut.
Nicht-Bauen schiebt die Werte im Bestand hoch
Auf dem Gelände des ehemaligen Stadtflughafens Tempelhof in Berlin sollen 4.500 Wohnungen hochgezogen werden. Auch hier wird protestiert. Dabei soll nur am Rand der alten Rollbahn gebaut werden, es würden genug Flächen zur Erholung bleiben. Trotzdem: "Ich bin gegen eine Bebauung, weil das hier einmalig ist. Das gibt es nirgendwo auf der Welt", sagt einer. Ein anderer dreht hier gerne Zeitraffer-Filme. Ein dritter kann nirgendwo sonst so gut Inlineskaten.
Tausende haben bereits gegen das Projekt unterschrieben, das Bürgerbegehren wird den Bau wohl verzögern. Für Michael Müller, Berliner Senator für Stadtentwicklung, ist das nicht neu: "An vielen Stellen in der Stadt werden Infrastrukturprojekte insgesamt, aber ganz besonders auch Wohnungsbau verlangsamt oder verhindert."
Wer freut sich bei solch einer Entwicklung? Na klar, die Hausbesitzer und Vermieter. Denn deren Besitz steigt im Wert. "Die Vermieter profitieren, weil ihre Mieten schneller steigen und die Eigennutzer profitieren, weil ihre eigens genutzte Wohnung wertvoller wird", sagt Wohnungsmarktforscher Pfeiffer. "Nicht-Bauen schiebt die Werte im Bestand hoch."