Stand: 19.12.2013 12:00 Uhr

Rotlicht: Die verlogene Kampagne gegen die Prostituierten

von Tina Soliman

"Ich bin kein Opfer. Ich möchte nicht als Opfer stigmatisiert werden. Ich möchte selber entscheiden was ich möchte, wie ich es möchte und wie ich lebe. Die Verantwortung dafür trage ich selber!", sagt die Bulgarin Milena (39), die seit 17 Jahren als Prostituierte in Berlin arbeitet. Sie hatte genug Optionen, arbeitete zuvor als Altenpflegerin. Die Arbeit war ihr zu hart, es gab zu wenig Geld - "keine Erfüllung". "Der Beruf als Prostituierte erfüllt mich, er macht mir Spaß, die Freier bringen mir Respekt entgegen, etwas, was ich in der jetzigen Situation bei den Politikern und vor allem bei Alice Schwarzer schmerzlich vermisse."

VIDEO: Rotlicht: Die verlogene Kampagne gegen die Prostituierten (9 Min)

Kampagne zur Abschaffung der Prostitution

In einer großen Kampagne kämpft Alice Schwarzer derzeit für die Abschaffung der Prostitution, im Verbund mit zahlreichen konservativen Politikern wie dem CSU-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl. Ihr Hauptargument: Nahezu alle Frauen, die sich prostituieren, täten dies unter massivem Druck und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Kurzum: 90 Prozent der Frauen seien Zwangsprostituierte. Insofern sei die Abschaffung der Prostitution gleichzusetzen mit der Abschaffung der Sklaverei. Und auch CSU-Mann Uhl spricht davon, dass Prostituierte in aller Regel hilflos der Gewalt von Bordellbetreibern ausgesetzt seien.

Aber inwiefern spiegeln diese Bilder die Wirklichkeit?

Sicher gibt es Zwangsprostitution, aber genauso sicher gibt es viele Frauen wie Milena, die sich frei für ihre Arbeit entschieden haben, und deren Zwangssituation sich in ihrer Wahrnehmung auch nicht von der anderer Berufstätiger unterscheidet, die für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen.

Selbstbestimmte Sex-Arbeiterinnen

Undine de Revière © NDR/ARD
Undine de Revière ist Gründerin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. Für ihren Beuf als Sex-Arbeiterin hat sie sich bewußt entscheiden.

Kürzlich war  Milena auf einer Podiumsdiskussion und hat Alice Schwarzer ihre Sicht der Dinge erzählen wollen. Doch die Feministin ließ sie nicht ausreden, kanzelte die Bulgarin "als unglaubwürdig" ab, so wie sie es mit allen Frauen tat, die ihr auf der Veranstaltung versuchten zu erklären, dass es durchaus viele Frauen gibt, die sich freiwillig und selbstbestimmt für den Beruf als Prostituierte entschieden haben. Für die Frauen, die sich heutzutage selbstbewusst Sex-Arbeiterinnen nennen, um zu verdeutlichen, das sie arbeiten und natürlich auch ökonomische Gründe dahinter stehen können, ist es derzeit befremdlich, wie sie von Schwarzer in Allianz mit "erzkonservativen Kräften" und unbedarften Prominenten bevormundet werden."Ich will ihre Fürsorge nicht, und ich brauche sie auch nicht. Ich bin kein Opfer. Ich weiß, was ich tue", so die studierte Physikerin Undine de Revière (40), die sich sehr bewusst für die Prostitution entschieden hat, wie so viele ihrer Kolleginnen.

Johanna Weber © NDR/ARD
Johanna Weber, Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, hält die Forderung, Prostitution abzuschaffen nicht für ein geeignetes Mittel gegen Zwangsprostitution.

Alles hänge von der Freiwilligkeit ab. Und wer definiert was freiwillig ist? "Wenn man sich bewusst für die Prostitution entschieden hat, dann ist sie freiwillig, egal, ob man dies aus Spaß macht oder aus ökonomischen Gründen. Das ist wie bei jedem anderen Beruf auch", so die Hamburger Prostituierte Johanna Weber. Das, was jetzt geschehe, die Forderung, Prostitution abzuschaffen, so wie es Schwarzer und mit ihr Politiker und Prominente fordern, habe nichts mit der Bekämpfung der Zwangsprostitution zu tun, sondern diene nur der Durchsetzung anderer Moralvorstellungen.

 

Schwierige Strafvorschrift

In den Koalitionsverhandlungen wurde zwar nicht beschlossen die Prostitution abzuschaffen, aber die Moralwächter haben sich in einem Punkt schon durchgesetzt: Der Besuch bei einer Zwangsprostituierten soll künftig unter Strafe gestellt werden, Freier also bestraft werden. Aber wie soll der Freier feststellen, ob er bei einer Zwangsprostituierten ist? Auch das Bundeskriminalamt hält eine solche Strafvorschrift für schwierig. Ganz abgesehen davon, dass eine mögliche Freier-Bestrafung auch negative Effekte haben kann. Oft waren es in der Vergangenheit Freier, die die Polizei auf Straftaten aus dem Bereich der Zwangsprostitution hingewiesen haben. Aber welcher Freier wird das noch tun, wenn er fürchten muss, selber belangt zu werden?

 

Weitere Informationen
Eine Prostituierte wartet auf der Straße auf Kundschaft © picture alliance Foto: Rolf Kremming

Liberales Prostitutionsgesetz: Wie Deutschland zum Puff Europas wurde

Das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 wurde eigentlich zum Wohl der Frauen gemacht. Doch die Praxis sieht anders aus - Zuhälter können unkontrolliert ihr Geschäft betreiben. mehr

Alice Schwarzer (Archivbild vom 24.05.2009) © NDR Foto: Wolfgang Borrs

Alice Schwarzer im Kachelmann-Prozess: Journalistin oder PR-Frau?

Als Gerichtsreporterin für die Bildzeitung schreibt Alice Schwarzer über den Kachelmannprozess. Gleichzeitig pflegte sie per E-Mail Kontakt mit dem vermeintlichen Opfer. mehr

Sex - Made in Germany

Deutschland liegt mit der Dienstleistung Prostitution auf einer Spitzenposition. Tina Soliman und Sonia Kennebeck haben im Milieu recherchiert - eine Dokumentation im Ersten. extern

Moderne Sklaverei oder Dienstleistung?

tagesschau.de zu den Vorhaben der Großen Koalition, das Prostitutionsgesetz zu verschärfen. Bei Prostituierten selbst stoßen die Pläne auf Kritik. extern

Rotlicht: Die verlogene Kampagne gegen die Prostituierten

Der Panorama-Beitrag vom 19. Dezember 2013 als PDF-Dokument zum Download. Download (131 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 19.12.2013 | 21:45 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr