Knastgewalt: Ein Interview mit den Autoren
Das Ausmaß der Gewalt im Gefängnis hat unsere Autoren erschreckt: Im Gespräch erläutern Christian Deker, Malika Friedrichs und Nils Naber, was sie bei Ihren Recherchen herausgefunden haben und warum sich Staat und Gesellschaft ihrer Meinung nach mehr für die dortigen Zustände interessieren sollten.
Wie häufig ist Gewalt im Gefängnis? Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchengen?
Christian Deker: Es gibt verschiedene Studien, insgesamt ist es aber ein eher wenig erforschtes Gebiet. Die beiden aktuellsten Untersuchungen stammen vom Kriminologischen Institut der Universität Köln, in der Gewalt im Jugendstrafvollzug untersucht wurde, und vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, die sich Gewalt im Erwachsenenstrafvollzug gewidmet hat.
Wie viel Prozent der Gefangenen geben demnach an, körperliche Gewalt im Gefängnis erfahren zu haben?
Nils Naber: Nach der jüngsten Studie des KFN haben 16,8 Prozent der Befragten männlichen Inhaftierten in den letzten vier Wochen vor der Befragung physische Gewalt erfahren. Schlimmer sieht es beim Jugendstrafvollzug aus. Laut einer Studie der Universität Köln gaben fast 50% der Studienteilnehmer an, in den letzten drei Monaten vor der Befragung selbst anderen Häftlingen eine Körperverletzung zugefügt zu haben.
Deker: Und was für uns während der Recherche noch überraschender war: Nur etwa fünf Prozent der Befragten gaben an, in den letzten drei Monaten nichts mit Gewalt zu tun gehabt zu haben. Das heißt im Klartext: 95 Prozent der Jugendlichen waren entweder Täter oder Opfer - oder beides abwechselnd. Das ist schon ein enorm hoher Wert. Und er macht klar, warum Jugendliche ohne Gewalterfahrung spätestens in der Haft offenbar richtiggehend erlernen, dass man sich nur mit Gewalt wehren kann.
Welche Rolle spielt die Organisierte Kriminalität?
Deker: Es gibt in den Gefängnissen ganz offensichtlich organisierte Bandenkriminalität mit Drogenhandel und Schutzgelderpressung. Die verantwortlichen Justizministerien bestreiten dies zwar, aber wir sind in der Recherche sehr häufig auf solche Strukturen gestoßen. Offenbar reichen die Strukturen auch über die Mauern der JVAs hinweg, zum Teil agieren die Gruppen sogar bundesweit. Häufig geht es um Lebensmittel, Zigaretten, Geld und Drogen, teilweise stehen aber auch rechtsradikale Gefangene miteinander in Kontakt.
Naber: Es ist bekannt, dass russische und osteuropäische Inhaftierte im Knast häufig eigene Gruppierungen bilden. Nach dem, was wir erfahren haben, sind diese Gruppen in jedem Knast straff durchorganisiert. Der eine steht für den anderen ein, doch ist alles immer mit Gegenleistungen verbunden. Oft spielt der Drogenhandel eine Rolle. Das bedeutet, wenn jemand im Knast vom Schutz durch die Gruppe profitieren möchte, muss er sich beispielsweise als Geldeintreiber andienen. Wenn Schulden nicht bezahlt werden, dann wird nicht lange gefackelt.
Inwieweit sind die Verhältnisse in Jugendstrafanstalten besser oder gar schlechter?
Malika Friedrichs: In den meisten Jugendstrafanstalten geht es viel härter zu, als im Erwachsenenstrafvollzug. Hier liegen die Hemmschwellen tiefer. Im Gegensatz zum Erwachsenenvollzug ist die Zeit im Jugendknast begrenzt. Hier wissen die Jungs und Mädchen, dass sie nicht für immer mit den gleichen Menschen in der Anstalt eingesperrt sind. Im Erwachsenenstrafvollzug arrangieren sich die Gefangen untereinander besser, einfach weil sie wissen, dass sie noch viele gemeinsame Jahre vor sich haben. Es gibt dann klare Regeln, an die sich jeder zu halten hat.
Deker: Dass die Gewalt insbesondere in den Jugendstrafanstalten stark ausgeprägt ist, geben sogar die Justizministerien offen zu. Weil der Jugendstrafvollzug die Inhaftierten aber eigentlich erziehen und auf ein besseres Leben nach der Entlassung vorbereiten soll, ist das natürlich fatal. Denn wenn man sich vor Augen hält, dass nur fünf Prozent der Jugendstrafgefangenen nichts mit Gewalt zu tun haben, verstärken sich die Gewalterfahrungen, die viele in ihrer kriminellen Karriere vor dem Knast gemacht haben, während der Haftzeit noch einmal erheblich.
- Teil 1: Wie häufig ist Gewalt im Gefängnis? Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchengen?
- Teil 2: Was denken Sie als Autoren, was notwendig wäre, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen?