Stand: 07.03.2013 11:46 Uhr

Einwanderung: Anreiz durch legale Billigjobs

von Tamara Anthony, Johannes Edelhoff & Anne Ruprecht

Was sie pro Stunde verdiente, hat sie nie ausgerechnet; pro Monat waren es 750 Euro. Im Einsatz war sie rund um die Uhr. Sie will nicht erkannt werden, also nennen wir sie Rosi. Rosi kommt aus Rumänien und hat über Jahre zwei kranke, gebrechliche Menschen gepflegt - bis sie nicht mehr konnte. Trotz des ausbeuterisch niedrigen Lohnes hat sie sich nie bei ihrer Vermittlungsagentur beschwert. Sie hatte schließlich keine Alternative und brauchte das Geld für ihren Mann und ihre Tochter in der Heimat.

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Solche Ausbeuterjobs werden in Deutschland immer häufiger mit Osteuropäern besetzt. Sei es in der Pflege, in der Gastronomie oder in der Fleischindustrie. In manchen Regionen sind "normale" Arbeitsverhältnisse komplett verdrängt - eine Parallelwelt im Wohlfahrtsstaat.

Ausbeutung - schwer zu bestrafen

Zwei Schlachthofarbeiter tragen in weißen Eimern ihren Proviant. © NDR Foto: Hedwig Ahrens
Ein Gesetz soll die Ausbeutung verhindern. Doch die Opfer müssen aussagen, sonst kann die Polizei nicht tätig werden.

Wer damit viel Geld verdient, das sind die Hintermänner dieser Leute. Sie fahren mit teuren Autos, profitieren vom Lohngefälle und nutzen die Hilflosigkeit ihrer Billigarbeiter aus. Eigentlich gibt es ein Gesetz, das solche Ausbeutung von ausländischen Jobbern unterbinden und bestrafen soll - doch Experten sind sich einig: der Paragraph läuft fast immer ins Leere.

Die Krux ist nämlich: um die Ausbeuter zu überführen, braucht die Polizei die Aussage der Opfer. Die Aussage, dass sie sich ausgebeutet fühlen - so will es das Strafgesetz. Die Logik dahinter: wenn die Leute freiwillig für so wenig arbeiten, dann gibt es kein Problem. Doch was für Theoretiker logisch klingen mag, heißt für die Experten aus Polizei und Staatsanwaltschaft: sie müssen der Ausbeutung zuschauen.

Viele Kriminalpolizisten und Staatsanwälte sind deshalb genervt. Gerne würden sie etwas gegen die Ausbeutung unternehmen. Der Landesvorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten und gleichzeitig Landesdirektor der Kriminalpolizei  in Braunschweig, Ulf Küch: "Dadurch, dass man das Ganze laufen lässt und sehenden Auges feststellen muss: die Arbeiten auch für 2,00 Euro ohne, dass der Staat eingreift, wird nichts passieren. Die einen werden weiter ausgebeutet, die anderen verdienen prächtig dran."

"Die Politik will da nicht ran"

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Viele Osteuropäer arbeiten für einen ausbeuterisch niedrigen Lohn - lediglich die Hintermänner verdienen.

Bisher kommen die Ausbeuter daher in der Regel straffrei davon. "Eigentlich wird die Zwangslage der Opfer - irgendwo müssen sie ja etwas zu essen verdienen - hier ausgenutzt", so Ulf Küch. "Dieses Gesetz ist ein Zirkelschluss und damit nicht anwendbar."Dabei wäre jetzt eine gute Gelegenheit, das Gesetz zu verbessern. Der Paragraph wird wegen einer EU-Vorgabe gerade beim Bundesjustizministerium umgeschrieben. Panorama liegt der Referentenentwurf vor. Im entscheidenden Punkt aber - ob  die Opfer aussagen müssen  - wurde immer noch nichts verändert.

Das Bundesjustizministerium hat sich auf Anfrage von Panorama dazu nicht geäußert. "Die Politik will da nicht ran", mutmaßt der Strafrechtler Professor Joachim Renzikowski, "denn wenn die Prozesse nicht mehr an den Opferaussagen scheitern, dann muss die Politik als nächstes definieren, ab wieviel Euro ist es Ausbeutung, ab wie viel Euro nur ein niedriger Lohn". Das fürchte aber die schwarz-gelbe Regierung, denn dann ist es nicht weit zum Mindestlohn.

 

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"Wie viele Fälle sind Ihnen bekannt ...?"

Panorama dokumentiert einen Email-Wechsel mit der Pressestelle des Bundesministeriums des Innern. Download (1 MB)

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Der Panorama-Beitrag vom 7. März 2013 als PDF-Dokument zum Download. Download (132 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.03.2013 | 22:00 Uhr

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