Stand: 05.09.2012 02:00 Uhr

Gibt es nicht auch "Ja-Sager"?

von Andrej Reisin

Wie lautet das Fazit unserer Autoren nach monatelanger Recherche bei deutschen Versicherungen? Wie verhalten sich diese bei schweren Schadensfällen?

Christian Deker, Kristopher Sell und Sabine Puls. © NDR Foto: Lutz Ackermann
Erschütternde Recherche: Die Autoren Christian Deker, Kristopher Sell und Sabine Puls konnten manchmal kaum glauben, wie weit Versicherungen bei der Ablehnung von Schadensfällen gehen.

Panorama.de: Sie haben mehrere Monate in der Versicherungsbranche recherchiert. Ihr Vorwurf klingt zunächst aber sehr pauschal: Versicherungen seien "Nein-Sager". Gibt es nicht auch "Ja-Sager"?

Kristopher Sell: Ja-Sagen ist einfach, wenn es um kleine Schäden geht. Da gibt es manchmal einen Scheck mit Blumenstrauß, weil sich hinterher die Unfallversicherung oder die Berufsunfähigkeitsversicherung besser verkauft. Aber wenn es um Personenschäden geht, wendet sich das Blatt: Experten zitieren Schätzungen nach denen 60% aller Anträge auf Berufsunfähigkeit abgelehnt werden.

Panorama.de: Was gehört alles zum Besteckkasten des Ablehnens?

Sabine Puls: Das Muster ist immer ähnlich: Ein Betroffener macht seine Ansprüche bei der Versicherung geltend. Dann fordert die Versicherung Nachweis um Nachweis. Das zieht sich dann über Wochen und Monate hin. In dieser Zeit erhält der Versicherte kein Geld, nicht einmal eine Abschlagszahlung. Zu den gesundheitlichen Folgen von Unfall oder Krankheit kommen dann noch finanzielle Sorgen. Wer einen längeren Atem hat, zieht vor Gericht und erlebt dort, mit welchen Winkelzügen und Tricks die Versicherer arbeiten.

Sell: Generell gilt: Je höher die Schadenssumme, desto heftiger sind die Formen des Ablehnens. Wir bekamen manipulierte medizinische Gutachten in die Hände. Abteilungsleiter aus Versicherungen berichteten uns vertraulich, dass bei großen Summen Detektive angeheuert werden, die Versicherungsnehmer rund um die Uhr beschatten, um Ablehnungsgründe zu finden.

Panorama.de: Welcher Fall hat Sie besonders erschüttert?

Christian Deker: Der Fall der Familie Bernert hat uns während der Recherche alle berührt. Die Familie hat sich über mehr als 25 Jahre gegen die Allianz gewehrt. Als Außenstehender frage ich mich da schon, warum die Versicherung trotz des persönlichen Leids den juristischen Prozess bis auf den letzten möglichen Zentimeter ausfechten muss.

Puls: Die Mutter glaubt schon lange nicht mehr an Gerechtigkeit - und damit steht sie nicht allein. Ich habe vielen Betroffenen gegenüber gesessen, die einfach zerrieben und zermürbt waren von der jahrelangen Auseinandersetzung mit der Versicherung. Diese Menschen kommen einfach nicht zur Ruhe und leiden doppelt, wenn die Versicherung jahrelang berechtigte Ansprüche ablehnt.

Sell: Es ist die generelle Ohnmacht der Menschen, dass sie gegen die Versicherung nicht ankommen. Hinzu kommen oft große Leiden durch Unfälle, finanzielle Sorgen oder den Verlust eines geliebten Menschen. Viele Fälle, die gar nicht im Film zu sehen sind, beschäftigen uns seit Wochen.

Panorama.de: Schützen die Versicherer mit ihrer Ablehnungspolitik nicht auch die Prämien der anderen Versicherungsnehmer?

Deker: Natürlich müssen sich Versicherungen vor Betrug schützen, der ja immer auch zulasten der anderen Versicherten geht. Deshalb ist es grundsätzlich richtig, dass Regulierungsabteilungen misstrauisch sind und nicht blind jeden Schaden ersetzen.

Sell: Wichtiger aber ist: Nicht die Vorstands-Boni und die Dividende für den Aktionär müssen im Vordergrund stehen, sondern die Versicherungsnehmer, die sich nach bestem Wissen und Gewissen gegen existenzielle Risiken absichern wollen.

Panorama.de: Wie lautet Ihr Fazit?

Puls: Auch wenn man im Schadenfall eigentlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist, sollte man sich ganz genau überlegen, was man tut. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Versicherung im Notfall sofort zur Stelle ist.

Deker: Es könnte sogar ein Fehler sein, sich auf das zu verlassen, was die Versicherung im Schadensfall rät. Das zeigt der Fall der Famile Urbahn: Die Versicherung hielt eine Obduktion nicht für nötig, verlangte aber später von der Familie einen Nachweis über die Todesursache. Widersprüchlicher geht es kaum.

Sell: Ohne eine Rechtschutzversicherung braucht man im Grunde keine Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Denn wenn es hart auf hart kommt, muss man mit langen Gerichtsprozessen rechnen.

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Das Erste | Panorama | 04.09.2012 | 21:45 Uhr

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