Stand: 30.11.2016 10:27 Uhr

Wie das UKE versucht, Manipulationsvorwürfe loszuwerden

von Stefan Buchen

"Unter der Gürtellinie” sei der Fernsehbericht gewesen, den Panorama 3 am 15. November über die Unregelmäßigkeiten im Hamburger Lungentransplanationsprogramm ausgestrahlt hat. Mit diesen Worten ließ sich Prof. Hermann Reichenspurner, Leiter des Hamburger Transplantations-Centrums, am 25. November von der "Bild" zitieren. Die Vorwürfe der Überwachungskommission, die Grundlage des Panorama 3-Berichts waren, seien “übertrieben” und “überzogen”. Einen Skandal gebe es nicht.

Kritik aus Konkurrenzgründen?

Die "Bild" ist offenbar das Vehikel, das sich das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) für den Gegenangriff ausgesucht hat. Schon vier Tage vor Reichenspurner hatte sich sein Vorgesetzter, UKE-Chef Burkhard Göke, in demselben Blatt zu Wort gemeldet. Den Verdacht, Krankendaten seien manipuliert worden, um Patienten einen schnelleren Zugang zu einer Spenderlunge zu verschaffen, wies Göke zurück. Für mögliche Fehler, etwa das Abhandenkommen von Krankenakten, seien Andere verantwortlich, konkret die Partnerklinik im schleswig-holsteinischen Großhansdorf.  Göke unterstellt in dem "Bild"-Interview zudem der Medizinischen Hochschule Hannover, aus Konkurrenzgründen die Kritik am Lungentransplantationsprogramm des UKE angezettelt zu haben.

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Wir wollen jetzt nicht von der Qualität der Verteidigungsstrategie auf die Größe der Bedrängnis schließen, in der sich das UKE befindet. Wir wollen aber darauf hinweisen, dass Prof. Reichenspurner unser Gesprächsangebot vor der Veröffentlichung ausgeschlagen hat. Mehrfach hat Panorama ihn um ein Interview gebeten. Seine einzige Reaktion bestand darin, sich per SMS für den “netten Artikel” in der "taz" zu bedanken, der parallel zu dem Panorama 3-Bericht am 15.11. erschien.

Schlechte Werte weckten Verdacht

Prof. Dr. Torsten Verrel © NDR
Um den Ausnahmecharakter der Befunde deutlich zu machen, habe man den Bericht in solch scharfem Ton verfasst, so Torsten Verrel, Mitglied der Überwachungskommission.

Und nun noch einmal der Reihe nach. Panorama hat sich die Kritik nicht ausgedacht, sondern die Ergebnisse der “Prüf- und Überwachungskommission”, die sich aus Ärzten und Juristen zusammensetzt, zitiert. In dem Bericht der Kommission wird festgestellt, dass im Hamburger Lungentransplantationsprogramm Patientenakten in erheblichem Umfang abhanden kamen. Außerdem haben die Kontrolleure herausgefunden, dass in den Anträgen auf Spenderlungen teilweise “grotesk niedrige Sauerstoffsättigungen” angegeben wurden. Diese schlechten Werte von 69 bis 75 Prozent weckten den Verdacht der Kontrolleure. Denn diese Werte spiegeln eine akute Todesgefahr wider. Die Kommission habe aber in den Kopien von Krankenunterlagen keine Anhaltspunkte für einen so schlechten Gesundheitszustand gefunden. Diesen Befund hat uns Torsten Verrel, Strafrechtsprofessor in Bonn und Mitglied der Überwachungskommission, auch im Interview bestätigt. Daraus leitet die Kommission den Verdacht auf Manipulation ab. Angesichts der Vielzahl der Fälle vermutet sie ein systematisches Vorgehen. Das Verschwinden vieler Originalakten begründe den Verdacht, dass “systematisches Fehlverhalten der beteiligten Ärzte vor Entdeckung bewahrt werden sollte”, heißt es in dem Kommissionsbericht.

In scharfer Sprache verfasst

Dass der Bericht in scharfer Sprache geschrieben ist, war uns natürlich aufgefallen. “Grotesk” seien die eingetragenen Blutwerte, “außergewöhnlich” die “Lückenhaftigkeit” der Krankenakten. “Noch nie” sei die Arbeit der Kommission von einem Transplantationszentrum so erschwert worden. Und die Erklärungen, die das UKE gegenüber den Prüfern vorgebracht hätten, seien teilweise “abwegig”, teilweise “in hohem Maße unethisch”, jedenfalls aber “unbefriedigend” gewesen. Wir haben Professor Torsten Verrel gefragt, ob man die Kritik nicht zurückhaltender und nüchterner hätte zum Ausdruck bringen können. Verrel antwortete: “Wir wollten den Ausnahmecharakter unserer Befunde sehr deutlich machen.” Und: die Kontrolleure weisen die Verantwortung für das Hamburger Lungentransplantationsprogramm klar dem UKE zu. Großhansdorf sei lediglich Kooperationspartner.

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Diese Expertenbefunde haben wir widergegeben. Außerdem haben wir der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass die Hamburger Behörde für Gesundheit die Ergebnisse “sehr ernst nimmt”. Ebenso haben wir bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt, ob sie den Expertenbericht kenne. Das hat die Staatsanwaltschaft bejaht und ergänzt, dass sie Strafermittlungen wegen des Verdachts auf “Urkundenunterdrückung” aufgenommen habe. Selbstverständlich haben wir auch das UKE um eine Stellungnahme gebeten. Die kam schriftlich und war nicht sehr ergiebig. Aber natürlich haben wir sie zitiert.

Unter der Gürtellinie? Dass Reichenspurner von Patienten schon mal Geld für ein Spenderorgan geboten bekommen habe, behaupten weder die Experten der Prüfkommission noch Panorama. In diesem Punkt folgt der Transplantationschef der alten, besonders bei Geheimdiensten und Politikern beliebten Strategie, einen Vorwurf zu dementieren, der nie erhoben wurde. Die "Bild"-Reporter helfen ihm dabei, indem sie ihm die heikle Frage “Geld für Organe?” stellen. Reichenspurner antwortet: “Man mag es nicht glauben, weil ich ja auch einige vermögende Patienten habe: Nein, noch nie.”

Verlust von Akten "misslich"

Mit der Verantwortung und den tatsächlichen Befunden tut sich das UKE offenbar schwer. Den Verantwortlichen scheint nichts Besseres einzufallen als die Wiederholung der immer gleichen Beteuerungen. “Wir haben nicht manipuliert.” “Der Verlust von Akten ist misslich, aber wir sind daran nicht schuld.” “Kein Patient ist bevorzugt worden.” “Alle Fehler sind behoben. Wir arbeiten seit 2013 einwandfrei.” In dem Sinne äußerten sich Göke und Reichenspurner auch vor dem Gesundheitsausschuss der Hamburger Bürgerschaft am 24. November. Nach dem Motto: irgendwann wird man uns schon glauben.

So niedrige Werte “mit dem Leben nicht vereinbar”

Wenn es wirklich brenzlig wird, weichen die Verantwortlichen aus. Das mussten in der Bürgerschaft einige kritisch fragende Abgeordnete erleben. “Manipulation” heißt ja nicht, dass die Ärzte im UKE schlechte Blutwerte einfach “erfunden” und in die Anträge auf Spenderorgane gekritzelt hätten. Mit “Manipulation” meint die Überwachungskommission, dass die Blutwerte der Patienten künstlich, etwa durch mutwillige Drosselung der Sauerstoffzufuhr, verschlechtert worden sein könnten. Wenn die Diskussion in diesen heiklen Bereich vordringt, werden die UKE-Direktoren schmallippig. Als die Hamburger Abgeordneten insistierten, wagte Professor Reichenspurner einen Vergleich. Die Überwachungskommission habe die vom UKE angegebenen Sättigungswerte von 69 bis 75 Prozent im Blut der Patienten für nicht glaubwürdig gehalten, weil so niedrige Werte “mit dem Leben nicht vereinbar” seien, hielt ihm ein Abgeordneter vor. Das sei einfach falsch, konterte Reichenspurner. Das wisse man von Bergsteigern. Bei denen würden auch solch niedrige Sauerstoffwerte im Blut gemessen. Und die könnten gut damit leben.

"Vollkommen absurd”

Wir haben anderen Medizinern von Reichenspurners Vergleich zwischen schwerkranken Lungenpatienten, die unter Atemnot leiden, und kerngesunden Bergsteigern, die in luftige Höhen klettern und deshalb niedrige Sauerstoffwerte haben, erzählt. Diese Gegenüberstellung sei “vollkommen absurd”, so die Einschätzung. Wir haben noch mal bei Reichenspurner nachgefragt, ob er wirklich meine, dass dieser Vergleich geeignet sei, die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Die Antwort des UKE war dürr. Den Ausführungen im Gesundheitsausschuss sei “nichts hinzuzufügen”, sagte eine Sprecherin. Immerhin: eine konkrete Frage hat das UKE beantwortet. Im Jahr 2016 seien dort bislang vier Lungen transplantiert worden. Reichenspurner hatte beim Start des Hamburger Lungenprogramms 2003 das Ziel von 25 Transplantationen pro Jahr vorgegeben.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama 3 | 15.11.2016 | 21:15 Uhr

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