Stellungnahme der Panorama Redaktion
In den Kommentarspalten der Internetauftritte von Panorama und in diversen Online-Publikationen wie "Civaka-Azad" und "Lower Class Magazin" ist unser Filmbeitrag "Krieg gegen IS: Der US-Pakt mit Marxisten" ausführlich kritisiert worden. Wir freuen uns, eine lebhafte Diskussion angeregt zu haben und möchten gern Stellung nehmen.
Erst einmal zum Generellen: Vorwürfe wie "Lügen der Presse" oder fehlende "Glaubwürdigkeit der Massenmedien" sind wir normalerweise nicht von Leuten gewohnt, die sich für fortschrittlich halten.
Die Vehemenz der Kritik offenbart u.E. ein Mißverständnis: Weder sollte dies ein "Anti-PKK-Beitrag" sein noch war er es. Und wieso wir eine Nähe zu Erdogan haben könnten, ist uns noch schleierhafter. Die vorgebrachten Belege taugen jedenfalls nicht: "Sie (die PKK) gilt als Terrororganisation" ist absolut zutreffend - sie ist sowohl in der Türkei als auch Deutschland offiziell so eingestuft. Damit haben wir uns diese Einstufung keineswegs zu eigen gemacht, wir haben berichtet, was ist. Das ist nunmal unsere Aufgabe als Journalisten. Uns drängt sich der Eindruck auf, dass einige PKK-Freunde übernervös sind. Vielleicht verständlich angesichts der auch von uns berichteten Gefahr, dass die USA die PKK von einem Tag auf den anderen fallen lassen könnten.
Zu den einzelnen Kritikpunkten:
Zunächst bedanken wir uns für den Hinweis, dass ein zunächst auf unserer Webseite veröffentlichtes Foto kurdische "Peschmerga"-Kämpfer zeigte und daher nicht zu unserer Berichterstattung passte (in der Panorama-Sendung war das Foto nicht). Der Hinweis war richtig. Wir haben das Foto ausgetauscht.
Was die übrige Kritik angeht, sehen wir die Dinge anders : Die Kritiker werfen uns vor, die Kürzel "SDF" und "YPG" als Decknamen für die PKK bezeichnet und damit den falschen Eindruck erweckt zu haben, es handele sich im Kern um dieselbe Organisation. Außerdem sei es falsch, "SDF", "YPG" und "PKK" als "marxistisch" zu bezeichnen.
Warum ist "YPG" aus unserer Sicht ein anderer Name für die PKK in Nordsyrien? Im Kern ist die Antwort, dass "YPG" (und im übrigen auch die Partei "PYD") sich auf Abdullah Öcalan als politischen Führer berufen - also auf den berühmtesten PKK-Politiker. Sinem Mohammed sagte bei ihrem Auftritt im Juli in Hamburg, Ziel in "Rojava" sei, die politischen Ideen von Abdullah Öcalan dort zu verwirklichen. Sie bekam Beifall von ihren Begleitern. Auf dem zentralen Platz in Rakka wurde nach der kompletten Vertreibung des IS ein großes Poster mit dem Bildnis von Abdullah Öcalan entfaltet. Die Liste der Beispiele ließe sich leicht verlängern. Wer ist Abdullah Öcalan? Er ist der anerkannte Führer der PKK. Er verkörpert die PKK, ist Symbol und Synonym für die PKK.
Was bedeutet es nun, dass sich Mitglieder von YPG, YPJ, PYD, PJAK, KONGRA-GEL, Tev-Dem etc. etc. regelmäßig auf Abdullah Öcalan berufen? Es gibt zwei mögliche Antworten: 1) Abdullah Öcalan ist gleichzeitig Chef, Führer, Vorsitzender, Präsident o.ä. all dieser Organisationen. 2) Diese Organisationen sind die PKK. Wir denken, dass die Antwort 2) richtig ist. Gewiss kann man es statt "diese Organisationen sind die PKK" auch anders formulieren: es sind Decknamen für die PKK. Es sind Teil- oder Unterorganisationen der PKK o.ä. In anderen Medien findet man Formulierungen wie "PYD - die syrische Schwesterpartei der PKK". Wir selbst haben auch die Bezeichnung "syrischer PKK-Ableger" benutzt. Wir glauben nicht, dass Abdullah Öcalan gleichzeitig Chef verschiedener Parteien und Milizen ist. Martin Schulz ist (noch) Vorsitzender der SPD, und nicht gleichzeitig der CDU und der Grünen . Der Papst ist Oberhaupt der Katholischen Kirche nicht gleichzeitig der Protestanten und Orthodoxen. Umgekehrt ist es richtig zu sagen, dass Jusos und Seeheimer Kreis "SPD" sind. Franziskaner und Jesuiten sind "katholische Kirche".
In dieser Situation halten wir es für zulässig, die Formulierung "alle wissen: es ist die PKK" zu verwenden. Diese Formulierung ist dann gestattet, wenn Belege für einen Sachverhalt so überwältigend und ubiquitär sind, dass man den Sachverhalt als Gegenstand einer breiten öffentlichen Übereinstimmung, eines Konsenses, des sogenannten "Weltwissens", betrachten kann. "Konsens" und "Weltwissen" bedeuten nicht, dass die Zustimmung 100 Prozent der Subjekte betragen muss. Es geht um die Zustimmung der überwältigenden Mehrheit.
Das "Rebranding" der YPG
Der Auftritt von General Raymond Thomas, Befehlshaber des "Special Operations Command", also einer der ranghöchsten Militärs der Vereinigten Staaten, ist aus unserer Sicht ein starker Beleg dafür, wie der Name "Syrian Democratic Forces" zustande kam. Thomas erzählt von einer Besprechung im Jahr 2015, die VOR der Erfindung des neuen Namens "SDF" stattfand. Es ging um die militärische Zusammenarbeit zwischen kurdischen Milizionären und der US-Armee in Nordsyrien. Thomas äußerte nach eigener Darstellung Bedenken wegen des Kürzels "YPG", weil dadurch die Nähe zur PKK zu offensichtlich sei. Man brauche daher einen anderen Namen. Aus diesem Kontext ergibt sich, dass Thomas mit befugten Entscheidungsträgern der PKK verhandelt hat. Die Besprechung fand laut Thomas übrigens in einem Raum statt, in dem ein Bildnis von Abdullah Öcalan hing.
Thomas macht mehr als deutlich, dass er sich bewusst war, es in dieser Besprechung mit PKK-Leuten zu tun zu haben. Und zwar mit solchen, die befugt sind, Entscheidungen zu treffen, etwa im Hinblick auf Schaffung eines neuen Namens. Dass er mit "those people", "these" etc. die PKK-Verbindung meint, sagt er auch ganz klar, etwa hier bei 55’43:
Wer sollen die von Thomas erwähnten "miltary leaders and technocrats" denn nach Meinung der Kritiker gewesen sein?
Theorie-Diskussionen müssen andere führen
Zur Kritik am Begriff "Marxismus": Zweck unserer Berichterstattung ist es nicht, eine theoretische Diskussion zu führen, welcher Begriff die politische Ausrichtung der PKK am zutreffendsten beschreibt. Wir mussten uns für einen Begriff entscheiden, der die linksrevolutionäre Ausrichtung wiedergibt. Es ist richtig, dass man auch einen anderen Begriff hätte wählen können. Raymond Thomas spricht in der zitierten Podiumsdiskussion von "socialist" - "Pseudo-marxistische Sekte" wäre auch nicht falsch gewesen. Als recherchierende und bewertende Beobachter sind wir nicht verpflichtet, jede Wendung und jede neue Terminologie, die sich die Führung einer politischen Organisation überlegt, mitzumachen und wiederzugeben. Es ist unsere Aufgabe, den Kern und das Wesen einer Sache zu erfassen.
"Marxistisch" ist nach unserer Auffassung ein allgemeinverständlicher Begriff, der den linksrevolutionären Charakter der PKK treffend widerspiegelt, weil der Marxismus nun einmal die Wurzel alles Linksrevolutionären ist. Alles, was Sinem Mohammed und unsere Kritiker über den Gesellschaftsentwurf von "Rojava" äußern, geht genau in diese Richtung. Eine kurze Google-Suche nach "PKK marxistisch" zeigt überwältigend klar, wie regelmäßig diese Zuschreibung verwendet wird. Wir haben in unserer Berichterstattung darauf hingewiesen, dass dies einen Gegensatz zu den Grundüberzeugungen amerikanischer Politik darstellt.
Keine "Verurteilung" von Bündnissen
Im übrigen haben wir das Bündnis zwischen PKK und Vereinigten Staaten nicht "verurteilt", wie die Kritiker uns vorwerfen. Wir maßen uns nicht an, diesem Bündnis in Nordsyrien die Berechtigung oder gar die militärischen Erfolge abzusprechen. Im Gegenteil, wir haben die militärischen Erfolge gegen den "IS" deutlich benannt. Selbstverständlich kann die PKK stolz auf ihre Erfolge gegen den "IS" sein. Wir haben auf das Paradoxe an dem Bündnis mit den USA hingewiesen. Das ist ein klarer Unterschied. Im übrigen erkennen unsere Kritiker in ihren Ausführungen selbst an, dass sie sich dieser Paradoxie bewusst sind und diese durchaus Probleme aufwirft und somit erklärungsbedürftig ist. Ebenso erkennt General Raymond Thomas in seinen Ausführungen an, dass er sich der Paradoxie bewusst ist.
Anders als die Kritiker behaupten, haben wir nicht von "Stammesgebieten" gesprochen. Wir haben gesagt, dass die PKK in der Türkei "im Untergrund kämpft" und haben daher ein Gebiet schraffiert eingezeichnet, in dem es Untergrundstrukturen der PKK gibt. Natürlich hätte man auch noch Ankara, Istanbul und Brüssel einzeichnen können.
Um noch einem Missverständnis vorzubeugen: Wir setzen die PKK nicht mit "den Kurden" gleich, auch wenn wir wissen, dass die PKK selbst gern "für alle Kurden" sprechen möchte. Gerade im Südosten der Türkei scheinen relevante Teile der kurdischen Bevölkerung nicht mit allen strategischen Entscheidungen der PKK der vergangenen Jahre einverstanden gewesen zu sein. Abschließend möchten wir festhalten, dass es also nicht den geringsten Anhaltspunkt für irgendeinen "Fehler" im Panorama-Beitrag gibt.
Hinweis: Da wir doppelte Diskussionen vermeiden möchte, ist diese Stellungnahme nicht kommentierbar. Ihre Anmerkungen posten Sie bitte in den Kommentaren der ursprünglichen Beitragsseite.