SS-Marsch in Lettland: Antifaschisten abgeschoben
Wenn in Riga die SS-Veteranen marschieren, vergisst das EU-Land offenbar das Prinzip der offenen Grenzen, sobald sich Antifaschisten ankündigen. Deutsche Mitglieder der VVN/BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, wollten am 16.03.2016 gegen den alljährlichen "Marsch der Legionäre" zu Ehren von Letten in der Waffen-SS in Riga - Panorama berichtete - demonstrieren, wurden jedoch vorher von den lettischen Behörden abgeschoben. Das lettische Innenministerium ließ Panorama dazu mitteilen: "Den betroffenen Personen wurde die Einreise in Lettland aufgrund eines Beschlusses der verantwortlichen lettischen Sicherheitsbehörden und der Entscheidung des Innenministers der Rep.Lettland verwehrt, berufend auf den 61.Paragraph (1.Absatz) des Immigrationsgesetzes der Republik Lettland."
Wir sprachen mit dem Vorsitzenden der Berliner VVN/BdA, Markus Tervooren, über die Abschiebung.
Panorama: Sie sind letzte Woche Dienstag mit einer Delegation aus Berlin nach Riga geflogen um dort gegen den alljährlichen Aufmarsch von Veteranen der lettischen Waffen-SS zu demonstrieren. Können sie mir etwas mehr Details zu der rechten Demonstration geben?
Tervooren: In Lettland wird am "Tag der Legionäre" zu Ehren der lettischen Wassen-SS-Veteranen demonstriert. Auf dem Marsch wird sich aber auch auf die so genannten faschistischen "Donnerkreuzler", die lettischen "Heimwehren" und die berüchtigte "Sicherheitstruppe" unter der Führung des Polizeichefs von Riga, Victors Arājs, bezogen. Diese Organisationen sind für die eigenständige Ermordung von 50.000 lettischen Juden verantwortlich. Der 16. März ist der Jahrestag einer gewonnen Schlacht gegen die Rote Armee und quasi Nationalfeiertag. Seit 1990 findet das Waffen-SS-Gedenken in Riga statt. Zwischenzeitlich war der 16. März auch offizieller Feiertag, und mittlerweile dürfte die Demonstration zu den größten politischen Ereignissen in Lettland gehören. Da sich unter unseren Mitgliedern auch Nachkommen von Juden und Jüdinnen, die aus Deutschland in das Ghetto Riga deportiert wurden, befinden, protestieren wir natürlich auch dagegen.
Was passierte, als Sie mit dem Flugzeug in Riga gelandet sind?
Tervooren: Ich und vier weitere Personen von der VVN-BdA wurden nach Verlassen des Flugzeugs von der lettischen Grenzpolizei festgesetzt und aufgefordert, Riga sofort wieder zu verlassen. Es läge dazu eine Anweisung des lettischen Innenministeriums vor, laut der wir ein Aufenthaltsverbot vom 15.-17. März in Lettland hätten. Der Bescheid wurde uns nicht vorgelegt, wir konnten lediglich einen Blick auf ein lettischsprachiges Dokument erhaschen. Uns wurde bedeutet, wenn wir nicht "freiwillig" ausreisen würden, würden wir in ein Auffanglanger für Illegale Einreisende in Daugavpils gebracht und erst am 17. März wieder entlassen. Außerdem wurde uns mitgeteilt, dass unsere geplante Teilnahme an den Protesten gegen den Aufmarsch der Waffen-SS-Veteranen gegen diverse Einwanderungsgesetze verstoßen würde. Inzwischen hatte sich auch eine Frau in Zivil eingefunden, die ein Polizist als Angehörige des Innenministeriums bezeichnete. Nach unserer erneuten Weigerung auszureisen wurden wir nach mehreren Stunden in einem Gefangenentransporter an die lettisch/litauische Grenze gefahren.
Und was passierte dann?
Tervooren: Dort wurde uns der Ausweisungsbeschluss noch einmal auf deutsch und per Mobiltelefon mitgeteilt. Die Grenzpolizei hielt einen Fernbus nach Vilnius auf offener Strecke an, händigte uns Fahrkarten nach Berlin aus, zwang uns, den Bus zu betreten, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass wir bei einer Rückkehr sofort wieder festgenommen würde, und schob uns ab.
Haben sie mitbekommen, ob auch andere Deutsche Schwierigkeiten hatten, zur Demonstration zu kommen?
Tervooren: Schon am Morgen des 15. März wurde Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA e.V., am Hamburger Flughafen der Zutritt ins Flugzeug nach Riga verwehrt. Dies geschah durch einem Repräsentanten von Baltic Air, in Hamburg vertreten durch Lufthansa. Es läge ein Bescheid des lettischen Innenministeriums vor, sie sei für die nächsten Tage eine unerwünschte Ausländerin. Einige deutsche Protestierer erreichten jedoch Riga und konnten sich mit den Organisatoren von Lettland ohne Nazismus bzw. dem Lettischen Antifaschistischen Komitee treffen und zu der Gegendemonstration gehen.
Hat sich die deutsche Botschaft vor Ort für sie eingesetzt und gab es weitere Unterstützer?
Tervooren: Die deutsche Botschaft hat aufgrund eines Anruf von uns Kontakt zu den lettischen Behörden aufgenommen, uns aber lediglich mitgeteilt, dass es eine Einreisesperre gegen uns gebe. Auch die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Martina Renner und Ulla Jelpke haben sich an die Botschaft und die lettischen Behörden gewendet. In Berlin wurden wir durch eine Kundgebung vor der lettischen Botschaft unterstützt, an der auch Angehörige der jüdischen Gemeinde und der Loge Raul Wallenberg teilnahmen.
Haben sie jemals lettische Behörden oder die lettische Botschaft angefragt, ob ein Einreiseverbot vorliegt?
Tervooren: Nein, haben wir leider nicht. Trotz der Querelen im Jahr 2014 haben wir nicht damit gerechnet, dass die lettischen Behörden so überzogen reagieren würden. Wir werden jetzt in Lettland Einspruch gegen diese Bescheide einlegen und über das BKA Auskunft vom Schengener Informationssystem uns betreffend beantragen.
Das Interview führte Reiko Pinkert