Masern-Prozess: Ein Bärendienst für die Wissenschaft
Ein skurriler Wettstreit um die Existenz von Masernviren geht zu Ende, mit einer überraschenden Wende und einem fragwürdigen Urteil. Der Impfgegner und Biologe Stefan Lanka muss dem Mediziner David Bardens keine 100.000 Euro Prämie zahlen. Lanka schrieb 2011 aus, wer den Beweis für die Existenz des Masernvirus' erbringe, erhalte 100.000 Euro Belohnung. Gesagt getan.
David Bardens, damals Medizinstudent erbrachte durch mehrere Publikationen den Beweis und forderte die Belohnung. Lanka aber zahlte nicht. Das Landgericht Ravensburg hatte Lanka allerdings dazu im vergangenen Jahr verpflichtet. Das Gericht hatte keine Zweifel an der Existenz des Masernvirus und gab dem Mediziner Recht. Lanka ging in Berufung und nun das: Zwar legte der Mediziner Beweise für die Existenz des Masernvirus' vor. Allerdings in mehreren Publikationen und nicht, wie in der Ausschreibung gefordert, in einer. Ein Formfehler also, der nun im Berufungsprozess vor dem Stuttgarter Landgericht dazu führte, dass Lanka die 100.000 Euro nicht an den Arzt Bardens zahlen muss.
Keine Bestätigung für Lankas Theorien
Ein Formfehler. Eine Bestätigung von Lankas Theorien sei das nicht, betonte das Gericht. Keinesfalls sei man der Meinung, dass das Masernvirus nicht existiere. Lanka dagegen feiert allerdings diesen Formfehler als Meilenstein im Kampf gegen die bösen Piekser, eben gegen das Impfen. Seiner Überzeugung nach litten Kinder unnötig durch Impfungen und Mütter würden ihre Kinder unnötig Risiken aussetzen. Im Netz wird der angebliche Sieg des Berufungsprozesses bereits von Impfgegnern gefeiert. So schreibt der bekannte Impfkritiker und Herausgeber der impfkritischen Zeitschrift "Impfreport" Hans Tolzin, Stefan Lanka gebühre Dank, die Wissenschaft könne nur davon profitieren und auch Kinder, um die es ja bei den Impfprogrammen gehe, mit denen man das Masernvirus ausrotten wolle.
Das ist vergleichsweise noch harmlos. Angeblich sollen in Brasilien Impfungen bei schwangereren Frauen für die so genannte Mikrozephalie verantwortlich sein, nicht etwa das Zika-Virus. Auch Lankas Publikationen klingen ähnlich haarsträubend: "Impfen und Aids: Der neue Holocaust".
Panorama hatte Stefan Lanka und seine Anhänger im März vergangenen Jahres interviewt. Auf die Frage was denn nun Masern seien, antwortete Lanka, dass die Masernerkrankung im Kindergarten einfach eine Reaktion auf eine zu frühe Trennung von der Mutter sei. Seine Anhänger gingen damals noch weiter: Mit Impfungen wolle man die Menschheit reduzieren. Krude Aussagen, die allerdings vom harten Kern der Impfgegner verteidigt werden. Für wissenschaftliche Argumente sind viele schon nicht mehr erreichbar.
"Wendepunkt in der Masernforschung"
Und vor diesem Hintergrund mag der Formfehler des Berufungsprozess juristisch korrekt sein, er liefert allerdings Impfgegnern ordentlich Wasser auf die Mühlen. Da helfen auch warnende Worte des Gerichts nichts, am wissenschaftlichen Konsens zum Thema Masern ändere auch das Stuttgarter Urteil nichts. Das kommt nämlich bei Impfkritikern nicht an. Lanka bezeichnet die Entscheidung des Oberlandesgerichts als Wendepunkt der Masernforschung und forderte ein Paradigmenwechsel der Medizin.
Das ist pures Futter für Impfgegner, die junge Eltern mit impfkritischen Publikationen verunsichern. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil fragwürdig, denn es hilft nicht, vor allem nicht der Vernunft. Eine Revision wurde nicht zugelassen, ob David Bardens dagegen Beschwerde einlegt, ist unklar. Klar ist aber wohl schon jetzt: Die versprochene Prämie von 100.000 Euro hätte der Mediziner für Impfungen in Entwicklungsländern gespendet. Es wäre gut investiert Geld gewesen. Weltweit sterben immer noch mehr als 100.000 Menschen jährlich an Masern, die meisten Todesopfer sind Kinder.