Stand: 19.02.2015 12:21 Uhr

"Ich bin bereit für die Ukraine zu sterben, für Donezk"

Der 18-jährige Dimitri wurde in Donezk geboren. 2012 kam er mit seiner Mutter nach München, ging dort zuletzt auf's Gymnasium. In den letzten Monaten sammelte er Spenden für die ukrainische Armee. Panorama sprach mit ihm kurz vor seiner Abreise. Inzwischen ist Dimitri in einem Ausbildungslager eines ukrainischen Freiwilligenbataillons in der Oblast Winniza im Westen der Ukraine angekommen. Dort wird er zunächst eine vierwöchige militärische Grundausbildung absolvieren, bevor er in ein weiteres Ausbildungslager wechselt.

 

Panorama: Dimitri, warum wollen Sie in die Ukraine gehen?

Dimitri: Ich bin in Donezk geboren und habe dort bis zu meinem 15. Lebensjahr gelebt. Das Schrecklichste für mich war, als ich gesehen habe, dass meine frühere Schule zerbombt worden ist. Ein Lehrer wurde dabei getötet. Ich konnte einfach nicht glauben, dass dieser Platz meiner Kindheit zum Schlachtfeld wird. Ich sehe die Terroristen, die dort reinkommen, in meine eigene Schule. Und die dann behaupten, dass dafür die die ukrainische Armee verantwortlich sei. Da habe ich mich so hilflos und ratlos gefühlt. Ich kann dagegen von hier, von München aus nichts machen. Das war wahrscheinlich der Moment, wo ich das größte Gefühl hatte, dass ich in die Ukraine muss.

Panorama: Was genau haben Sie vor?

Dimitri will sich einem Freiwilligenbataillon anschließen. © Screenshot
Als seine frühere Schule zerbombt wurde, entschloss Dimitri sich einem ukrainischen Freiwilligenbataillon anzuschließen.

Dimitri: Ich werde mich einem Freiwilligenbataillon der ukrainischen nationalen Verteidigung anschließen und in ein militärisches Vorbereitungslager gehen.

Panorama: Sie wollen für die Ukraine kämpfen?

Dimitri: Ja. Ich will nach Donezk.

Panorama: Wie lange geht diese Ausbildung?

Dimitri: Mehrere Wochen, weil das praktisch kein offizielles Militär ist, so eine Form der Volksmiliz, aber genau kann ich das nicht sagen.

Panorama: Also haben Sie noch nie geschossen?

Dimitri: Geschossen habe ich schon, aber das war nicht professionell militärisch. Eher als Hobby.

Panorama: Sie stehen kurz vor einem Schulabschluss. Warum brechen Sie jetzt ab?

Dimitri: Ich bin im Januar 18 geworden und ich habe mir gedacht: Das Erste, was ich mit meiner Volljährigkeit machen kann, ist, mich in dieser Einheit zu engagieren und mein Land zu verteidigen und meine Heimatstadt zu befreien.

Panorama: Sie könnten ja auch erstmal das Abitur machen.

Dimitri: Naja, die Situation in der Ukraine ist so instabil, dass man mit Sicherheit auch nicht sagen kann, was nach zwei Jahren dort sein wird. Also ich kann nicht einfach warten und zusehen.

Panorama: Was hat Ihr Schulleiter gesagt?

Dimitri: Mein Direktor hat zwei Stunden lang versucht mich umzustimmen. Ich habe ihm geantwortet, er könne das natürlich rational ganz gut begründen, aber emotional kann er sich das nicht vorstellen, wie ist es, wenn deine Heimatstadt okkupiert ist und jeden Tag zerbombt wird. Er hat gesagt, das sei eine Krise der Eliten in der Ukraine, dass weder Poroschenko noch früher Tymoschenko und Janukowytsch etwas Gutes für die Ukraine gemacht haben. Und dass ich nur Kanonenfutter dort werde, weil ich nichts kann, aber ich glaube schon, dass ich mich gut vorbereiten werde in diesem Vorbereitungslager.

Panorama: Sie könnten auch von hier aus helfen.

Dimitri: Wenn alle Menschen so denken, dann bleibt dort niemand übrig, oder nur die, die einberufen werden, aber das ist nicht so gut. Ich will mein Land verteidigen. So wie es notwendig ist. Also leider mit der Waffe. Ich fühle, dass ich auch geistig dafür bereit bin.

Panorama: In Deutschland glauben viele, dass diese Krise nicht militärisch gelöst werden kann.

Dimitri: Die Deutschen vergleichen das immer mit der Situation in Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Das ist falsch, weil der damalige Krieg ein aggressiver und imperialistischer Krieg gegen andere Länder war. Unser Krieg ist ein Verteidigungskrieg gegen ähnliche imperialistische Ambitionen von Putin und von anderen russischen Imperialisten. Also wir verteidigen uns nur, wir wollen keinen Zentimeter des russischen Territoriums erobern.

Panorama: Es gibt keine friedliche Lösung?

Dimitri © Screenshot
Dimitri will an die Front, allerdings nicht um Spenden abzugeben, sondern um selbst zu kämpfen.

Dimitri: Ich glaube, die Ukraine muss diese Front halten, solange dieses Regime von Putin in Moskau noch funktioniert. Bis zu diesem Moment ist es weder militärisch noch diplomatisch ganz zu lösen. Wir müssen einfach Geduld haben und dafür sorgen, dass diese Terroristen nicht noch tiefer ins Land eindringen.

Panorama: Es ist ein hohes Risiko, dort hin zu gehen.

Dimitri: Als im Jahr 2012 in Donezk und in vielen anderen Städten in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft stattfand, da gab es so ein T-Shirt, auf dem auf Englisch so etwas Ähnliches stand wie "Ich war in Donezk, ich habe keine Angst mehr". Das war damals ein Witz. Also ich war ja auch in Donezk und ich will gerne noch mal nach Donezk. Deswegen habe ich echt keine Angst. Ohne die Ukraine, ohne Donezk fällt es mir sehr schwer zu leben.

Panorama: Sie haben keine Angst?

Dimitri: Nein, ich habe keine Angst.

Panorama: Sie könnten sterben.

Dimitri: Ich bin bereit für die Ukraine zu sterben und für den Donbass, für Donezk.

Panorama: Was sagt Ihre Mutter dazu?

Dimitri: Naja, wie jede Mutter oder wie jede Ehefrau eines Menschen, der an die Front geht oder in den Krieg geht, ist sie natürlich dagegen. Sie nimmt es sehr emotional wahr, aber sie akzeptiert meine Entscheidung

Panorama: Haben Sie in Donezk noch Familie ?

Dimitri: Ja, meine Großmutter und mein Großvater leben dort.

Panorama: Haben Sie Kontakt zu Ihren Großeltern?

Dimitri © Screenshot
Inzwischen ist Dimitri im Ausbildungslager eines ukrainischen Freiwilligenbataillons im Westen der Ukraine angekommen.

Dimitri: Nicht mehr so viel, weil sie ja die andere Seite unterstützen. Es ist für mich sehr schwer mit ihnen zu kommunizieren, aber manchmal rufe ich sie schon an.

Panorama: Ihre Großeltern unterstützen die russischen Separatisten?

Dimitri: Ja, sie stammen ja aus Russland.

Panorama: Was ist mit Ihrem Vater ?

Dimitri: Mein Vater hat unsere Familie verlassen, als ich sechs Jahre alt war. Ich kann diesen Menschen nicht als meinen vollständigen Vater bezeichnen.

Panorama: Aber er ist Russe und steht auf der anderen Seite?

Dimitri: Ja. Ich nehme ihn als einen Vertreter meiner Feinde an. Er war immer feindlich zu mir, auch vor diesem Konflikt. Da hat sich praktisch nicht viel geändert.

Panorama: Warum haben Sie sich für ein Freiwilligen-Bataillon entschieden?

Dimitri: Die Armee macht eine gute Arbeit, sie ist aber nicht ideologisch geprägt. In diesen Bataillonen der nationalen Verteidigung wird auch die ukrainische Idee dargestellt und zwar keine aggressive Idee, wie sich manche das in Deutschland vorstellen. Es ist auch keine neonazistische Idee, nein, es ist einfach die Idee, dass auf dem ukrainischen Land ein ukrainischer Staat in Freiheit existieren soll.

Panorama: Es gibt Bataillone, die rechtsextremistisch sind.

Dimitri: Das ist schwierig. Vor allem kämpfen sie für unser Land, sie verteidigen unser Land. Dafür bin ich ihnen dankbar.

Interview: Robert Bongen & Johannes Edelhoff

 

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 19.02.2015 | 21:45 Uhr

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