Stand: 09.01.2012 18:34 Uhr

Freispruch für Lehrer nach Sex mit Minderjähriger

Das Oberlandesgericht Koblenz hat einen Hauptschullehrer in einem Revisionsverfahren vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen freigesprochen, weil dem Lehrer, der den mehrfachen Geschlechtsverkehr mit einer 14-jährigen Schülerin einräumte und dafür vom Amtsgericht Neuwied zu 2 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden war, keine Straftat nachzuweisen sei (Geschäftsnummer: 1 Ss 213/11 – 2070 Js 43408/11 StA Koblenz). Mit entscheidend war aus der Sicht des Gerichtes das fehlende "Obhutsverhältnis", da der Lehrer die Klasse der Schülerin nicht regulär betreute, sondern nur im Vertretungsunterricht. Mit diesen Einsätzen seien keine "weitergehenden Erziehungs- und Betreuungsziele" verbunden gewesen. Die Annahme eines "Obhutsverhältnisses" setze voraus, dass die Schülerin dem Lehrer ausdrücklich zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist.

Gericht: Kein "Obhutsverhältnis"

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse dem Angeklagten für ein solches "Obhutsverhältnis" das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung der Schülerin und damit deren geistlich-sittliche Entwicklung im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne einer Über- und Unterordnung zu überwachen und zu leiten (BGH, Entscheidung vom 10.06.2008). Ein Lehrer müsse danach für die Überwachung der Lebensführung der Schülerin und ihre körperliche, psychische und moralische Entwicklung verantwortlich sein, was entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten über einen gewissen Zeitraum voraussetze.

Johannes Heibel von der "Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen" kritisiert die Entscheidung: "In der Schlussfolgerung heißt das, dass Lehrer mit Schülerinnen und Schülern, die das 14. Lebensjahr erreicht haben, Sex haben dürfen, sofern sie nicht Klassenlehrer oder Fachlehrer des betreffenden Schülers bzw. der Schülerin sind." Heibel, hauptberuflich Leiter des städtischen Jugendzentrums in Remagen, sieht darin eine nachlassende Verantwortung der pädagogischen Mitarbeiter nicht nur in Schulen, sondern auch in anderen Einrichtungen der Jugendhilfe, die vom Gesetzgeber sogar noch gefördert werde.

Das Oberlandesgericht widerspricht dieser Interpretation: "In der Entscheidung steht ausdrücklich, dass der Täterkreis nicht auf Klassen- und Fachlehrer beschränkt sein muss. Es wurde auch keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass Vertretungslehrer von vorn herein ausscheiden. Allerdings reichen die hier festgestellten Umstände (nur zweimal Vertretung in Laufe eines Schuljahres und Tanzunterricht außerhalb des Unterrichtsangebots) eben gerade nicht für das nach dem Gesetz und der Rechtsprechung des BGH geforderte Dauerobhutsverhältnis."

In der Urteilsbegründung des Gerichtes heißt es weiterhin: "Vertrauenslehrer war der Angeklagte während des Tatzeitraums auch nicht. Aus den Akten ergibt sich zudem, dass an der Regionalen Schule in (…) im Schuljahr 2006/2007 ca. 500 Schülerinnen und Schüler von einem aus 34 Personen bestehenden Lehrkörper unterrichtet wurden, sodass es schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, dass jede(r) Jugendliche, die/der diese Schule besuchte, dem Angeklagten zur Erziehung anvertraut war." Auch der Umstand, dass es unter anderem während der Unterrichtszeit im Klassenzimmer und Putzmittelraum zu sexuellen Handlungen gekommen sei, würde "… kein (temporäres oder dauerhaftes) Obhutsverhältnis begründen, das die Anwendung des § 174 Abs. 1 StGB eröffnet."

Panorama hatte über den Fall mehrfach berichtet: Der 36-jährige Lehrer aus dem Kreis Neuwied soll im Winter und Frühjahr 2007 eine damals 14-jährige Schülerin in 22 Fällen sexuell missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte das Verfahren gegen den Pädagogen zwischenzeitlich eingestellt und erst nach der Panorama-Berichterstattung wieder aufgenommen. Zwischenzeitlich war der Lehrer vom Schöffengericht am Amtsgericht Neuwied verurteilt worden: Zwei Jahre Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, sowie 200 Sozialstunden und 1000 Euro Geldbuße. Der Freispruch ist nun endgültig.

 

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