Stand: 08.03.2016 19:23 Uhr

"Frauen werden ungerecht behandelt. Immer noch - immer wieder"

von Anja Reschke

Sehr geehrte Senatorin Fegebank – vielen Dank für die nette Einführung, liebe Gäste, ich freue mich heute hier zu sein.

Ich habe mich in den letzten Monaten stark gemacht - für Flüchtlinge würden viele sagen, dabei ging es für mich darum im Kern gar nicht - sondern ich habe mich stark gemacht gegen Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit im Umgang, in der Beurteilung von Menschen, die pauschal diffamiert und verhetzt werden, nur weil sie woanders herkommen. Ungerechtigkeit ertrage ich nur schwer. Das ist blöd, denn das Leben ist voller Ungerechtigkeiten. Aber weil ich sehr empfindlich auf Ungerechtigkeit reagiere, war mir von jeher das Thema Frauen wichtig. Denn - wem sage ich das - Frauen werden ungerecht behandelt. Immer noch - immer wieder - überall.

Anja Reschke bei ihrer Rede zum Frauentag im Hamburger Rathaus. © Katharina Fegebank Foto: Katharina Fegebank
Anja Reschke bei ihrer Rede zum Frauentag im Hamburger Rathaus.

Der Internationale Frauentag bringt das jedes Jahr einmal aufs Tapet, da kann man dann nachlesen, wo es diese Ungerechtigkeiten auch bei uns immer noch gibt. In der Bezahlung, in der Karriere, in der Gesetzgebung, im gesellschaftlichen Umgang. Beispiele, wann und wie Frauen benachteiligt werden, nur weil sie Frauen sind, gibt es unzählige. Gestern fuhr ich vom NDR abends nach Hause. An der Ampel stand ein Paar, Mann und Frau - offensichtlich - Migranten, Flüchtlinge, das vermag ich nicht genau zu sagen - es war ja schon dunkel. Sie standen da und kamen offensichtlich vom Einkaufen, vielleicht auch von der Kleiderkammer - direkt bei uns um die Ecke. Jedenfalls trug die Frau zwei Tüten. Nicht irgendwelche Tüten, sondern so eine Art Ikea Tüte beladen bis oben hin - jeder, der da schonmal eingekauft hat, weiß, dass man die locker mit 20 Kilo und mehr befüllen kann. Das waren diese Tüten auch - so krumm und zusammengesunken wie die Frau dastand. Jede Schulter eine schwere Riesentüte. Der Mann stand daneben - das einzige was er in der Hand hielt , war eine Zigarette. Ganz locker stand er da, während die Frau neben ihm wirklich schwer zu schleppen hatte. Das hat mich derart empört, dass ich drauf und dran war, aus dem Autofenster zu brüllen. Ich hab es nicht getan, weil ich dachte: ‘Na, vielleicht verstehen die dich nicht’, und irgendwie kam es mir anmaßend vor, da nett und warm in meinem Auto zu sitzen und andere zu maßregeln, aber dieses Bild hat mich nicht losgelassen. Es ist sozusagen Sinnbild für mich in dieser Flüchtlings- oder Migrationsbewegung. Frauen tragen oft die schwere Last.

Frauen fliehen - vor Männern

Frauen und Flucht - das ist auch ein Thema der Ungerechtigkeit. Denn Frauen fliehen - vor was? Letztendlich - und das klingt jetzt vielleicht wie eine Kampfhenne - aber letztendlich fliehen sie vor Männern. Vor Männern, die Terroristen sind und sie versklaven, foltern, vergewaltigen: Nach Angaben der kurdischen Regierung sind den IS-Terroristen bei ihren Raubzügen in Syrien und Irak 7.000 Frauen und Kinder in die Hände gefallen. Nur knapp 500 konnten fliehen oder wurden freigekauft. Die Mädchen werden wie eine Ware gekauft, müssen sich vor der Vergewaltigung waschen, damit sie rein genug sind, um durch die Schändung quasi zur Muslima zu werden. Die Frauen fliehen vor religiösen Führern, die ihnen eine Gott- bzw. Allah-gegebene Schwäche und Unreinheit einreden, vor patriarchalen Regimen, in denen Männer die Gesetze machen, nach denen sie nicht arbeiten, nicht studieren, nicht wählen dürfen und die zu allem Unheil auch noch Kriege anzetteln. Sie fliehen vor ihren Ehemännern, die sie schlagen und missbrauchen, oder vor ihren Vätern, die sie zwangsverheiraten.

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Erstmals seit Beginn der großen Fluchtbewegung gen Europa sind mehr Frauen und Kinder auf dem Weg. Die, die im Februar die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien überschritten haben waren zu 60 Prozent Frauen und Kinder - im Hochsommer 2015 noch waren es zu drei Vierteln Männer. Auch hierin steckt letztendlich eine Ungerechtigkeit. Denn viele Familien haben zunächst ihre Männer auf die schwierige Flucht geschickt. Weil die körperlich stärker, oft besser ausgebildet und damit besser gerüstet für die Reise ins Ungewisse sind. Oder weil das Geld nur für eine Reise gereicht hat. Die Frauen sind zurückgeblieben. Entweder direkt in den Kriegs- und Krisengebieten oder in den Lagern in der Türkei, in Jordanien, usw. Das Leben außerhalb der Camps ist teuer, arbeiten darf man meist nicht, nur illegal. Tja, und was geschieht mit Frauen, die illegal arbeiten müssen? Sie sind häufig genug Opfer der Launen und Lust ihres Arbeitgebers. Anzeigen können sie ihn nicht, weil sie ihm ja ausgeliefert sind. Die nächste Erfahrung des Ausgeliefertseins. Die Männer wurden auch vorgeschickt, in der Hoffnung, dass sie ihre Familien dann auf sicherem Weg nachholen können. Denn die Flucht über das Mittelmeer, das haben die meisten schon mitbekommen, ist gefährlich. Diese Hoffnung hat die Bundesregierung den Familien mit dem Asylpaket II genommen. Es hat sich herumgesprochen, dass die Zielländer Schweden und Deutschland ihre Asylbedingungen verschärfen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.03.2016 | 21:15 Uhr

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