Stand: 14.02.2017 11:14 Uhr

Abrüstung statt deutscher Rufe zu eigenen Atomwaffen

von Malte Göttsche

Gast-Kommentar zum Panorama-Beitrag "Donald Tump und US-Atombomben in Deutschland"

Donald Trump stellt durch seine unklare Haltung zur NATO die derzeitige Sicherheitsarchitektur Europas in Frage. Die Diskussion, wie Europa sich in punkto Sicherheit unabhängiger von den USA machen kann, ist sicherlich notwendig, unabhängig davon, wie stark sich die USA letztendlich abwenden werden. Waghalsig ist allerdings, dass diese Debatte vereinzelt Gedanken zu einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit hervorruft.

Am 2. Februar sendete Panorama einen Bericht zu eigenen Atomwaffen, indem es entsprechende Impulse - unter anderem vom Bundestagsabgeordneten (CDU) Roderich Kiesewetter - aufgreift, dass über ein deutsches Engagement für europäische oder gar deutsche Atomwaffen nachgedacht werden müsse. Der Beitrag erläutert die Abschreckungsdoktrin, geht allerdings kaum auf die unkalkulierbaren Risiken von Atomwaffen ein. Es wird suggeriert, dass eigene Atomwaffen die Sicherheit erhöhen.

VIDEO: US-Atombomben in Deutschland und Donald Trump (9 Min)

Die Gleichung "mehr Atomwaffen" gleich "mehr Abschreckung" gleich "mehr Sicherheit" ist jedoch falsch. Nicht nur würde ein solches Vorhaben das globale nukleare Nichtverbreitungsregime vollständig ins Wanken bringen. Atomwaffen sind tickende Zeitbomben.

Atomwaffen bringen Unsicherheit statt Sicherheit

Der Wissenschaft kommt eine entscheidende Rolle zu, fundiert über die Gefahren von Atomwaffen aufzuklären. 1955 machten führende Wissenschaftler wie Bertrand Russell und Albert Einstein in einem Manifest darauf aufmerksam, "dass ein Krieg mit Wasserstoffbomben der menschlichen Rasse ein Ende setzen könnte." Auch in Deutschland waren es die Wissenschaftler, unter ihnen Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, die in der "Göttinger Erklärung" 1957 schrieben, dass der beste Schutz Deutschlands ein ausdrücklicher und freiwilliger Verzicht auf den Besitz von Atomwaffen sei“, und dass sie sich nicht an der Entwicklung von Atomwaffen beteiligen würden. Diese Erklärung trug wesentlich zu dem öffentlichen Druck bei, aufgrund dessen die Bundesrepublik auf Atomwaffen verzichtete.

Die Aussagen von damals bleiben heute unvermindert gültig. Derzeit existieren etwa 16.000 Sprengköpfe. Eine internationale Konferenzserie beschäftigte sich kürzlich mit den humanitären Konsequenzen dieser Waffen auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse. 158 Staaten nahmen an der Abschlusskonferenz in Wien 2014 teil. Sie kam zu dem Schluss, dass eine Kernwaffendetonation zu "profundem und langfristigem Schaden für die Umwelt, das Klima, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen, die sozioökonomische Entwicklung, sowie die gesellschaftliche Ordnung" führen könne. Während die USA und Russland moderat abrüsten, sind sie weit entfernt, sich auf tiefe Einschnitte der Arsenale zu einigen. Stattdessen modernisieren beide Staaten ihre nuklearen Arsenale, inklusive der in Deutschland und in anderen NATO-Staaten stationierten B61-Fliegerbomben. Diese Dynamik wird zukünftige Abrüstungs- und Rüstungskontrollbemühungen erschweren. Auch unsere Nachbarn Großbritannien und Frankreich verfügen über nukleare Arsenale, und machen wenige Abrüstungsfortschritte.

Es ist pures Glück, dass es bisher keinen ungewollten Atomwaffeneinsatz gab

Neben einem intendierten Einsatz von Atomwaffen besteht eine akute Gefahr einer Sprengkopfexplosion beispielsweise aufgrund von Unfällen, einem Erstschlag aufgrund von Fehlinformationen, oder durch Cyberangriffe. Tatsächlich war es nicht nur während des Kalten Krieges des Öfteren Glück, dass keine Kernwaffen eingesetzt wurden. Die Abschreckungsdoktrinen sind kein Garant für Sicherheit oder Frieden. Aktuellere Beispiele: 1995 bereiteten die russischen Nuklearstreitkräfte unter Boris Jelzin angeblich einen Angriff vor, da sie eine norwegische Rakete, die in Wirklichkeit wissenschaftlichen Zwecken diente, für einen amerikanischen nuklearen Erstschlag hielten. 2007 wurde ein US-amerikanischer Bomber versehentlich mit Atomwaffen beladen und flog quer durch die USA. Diese Atomwaffen standen 36 Stunden lang nicht unter der üblichen Kontrolle.  2010 war die Kommunikation von 50 nuklear-bestückten Interkontinentalraketen für 45 Minuten unterbunden. Hacker hätten in diesem Zeitraum Raketen abfeuern können, ohne dass die zuständigen Offiziere dies im Voraus hätten detektieren oder unterbinden können. Es ist eine Frage der Zeit, bis es zu einem nuklearen Unfall oder ungewolltem Einsatz kommen wird. Diese Aspekte kommen im Panorama-Beitrag nicht zur Sprache.

Was ist jetzt zu tun?

Bundestagsabgeordnete sollten, anstatt gefährliche Vorschläge zu europäischen Atomwaffen zu machen, sich für einen weiteren Ausbau der internationalen Abrüstungsbemühungen einsetzen, wenn sie tatsächlich die europäische Sicherheit stärken möchten. Dies ist nicht nur aufgrund der Gefahr, dass Trump die Welt in eine atomare Katastrophe stürzen könnte, eine Notwendigkeit. Neben dem Einsatz zur Reduktion der US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland sollten Abgeordnete mit ihren französischen und britischen Amtskollegen verstärkt über die Gefahr derer nuklearen Arsenale sprechen.  Eine besonders aktuelle Möglichkeit zum Einsatz für Abrüstung bietet sich zudem schon im nächsten Monat: Im März werden Verhandlungen zu einem Verbotsvertrag für Kernwaffen beginnen, da viele Staaten die Abrüstungsschritte der Kernwaffenstaaten im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrag als nicht ausreichend einschätzen. Bislang hat die deutsche Regierung, die sich allgemein durch ein konstruktives Engagement für Rüstungskontrolle auszeichnet, nicht offiziell entschieden, ob sie an diesen Verhandlungen teilnehmen wird. Im Interesse der europäischen Sicherheit sollten Abgeordnete sich dafür einsetzen, dass Deutschland sich hieran beteiligen möge.

Malte Göttsche forscht als promovierter Physiker und Friedensforscher an der Universität Princeton zu Fragen nuklearer Nichtverbreitung und Abrüstung.

Ein ähnlicher Artikel erschien zuerst in der Huffington Post.

 

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