Stand: 25.09.2018 17:52 Uhr

Gehörlose galten als geistig zurückgeblieben

von Lisa Wolff
Charles-Michel de L'Épée
Gründete die erste Gehörlosenschule: der Geistliche Abbé Charles-Michel De L'Epée.

Gehörlose wurden jahrhundertelang von der Gesellschaft ausgegrenzt. Da sie sich kaum mit hörenden Menschen verständigen konnten, galten sie als geistig zurückgeblieben. Das änderte sich erst, als der französische Geistliche Abbé Charles-Michel de L’Epée in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die erste Gehörlosenschule in Paris gründete. L’Epée gilt als geistiger Vater der Gebärdensprache. Die erste deutsche Gehörlosenschule entstand 1778 in Leipzig. Doch die Aufbruchsstimmung wurde bald wieder getrübt.

Gehörlose Lehrer entlassen, Gebärdensprache verboten

Rund 100 Jahre später, im Jahre 1880, fand in Mailand ein Kongress statt, der maßgeblich für die Benachteiligung gehörloser Menschen verantwortlich ist und bis heute seine Auswirkungen zeigt: der "Zweite Internationale Taubstummen-Lehrer-Kongress", oft auch einfach nur "Mailänder Kongress" genannt. Dort fassten 150 Pädagogen - alle hörend - den Entschluss, ab sofort die Lautsprachmethode an Gehörlosenschulen einzuführen: den sogenannten Oralismus. Das bedeutete, die Schüler mussten sprechen lernen und von den Lippen ablesen. Gehörlose Lehrer wurden entlassen und der Einsatz von Gebärdensprache im Unterricht war ab diesem Zeitpunkt verboten.

Gebärdensprache wurde als "Affensprache" bezeichnet

Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Lautsprache der Gebärdensprache überlegen sei. Gebärdensprache wurde zu dieser Zeit gar als "Affensprache" abgewertet. Der Beschluss hatte massive Auswirkungen auf ganze Generationen von gehörlosen Menschen weltweit. Denn die orale Methode führte dazu, dass die Kinder im Unterricht oft weniger als die Hälfte verstanden. Ihr Bildungsniveau blieb dadurch hinter dem von hörenden Kindern zurück. Der Zugang zu höherer Bildung wurde ihnen verwehrt - und somit fehlte auch jeglicher Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Politik und Bildung.

Erst 130 Jahre später - im Jahr 2010 - wurden die Beschlüsse des "Mailänder Kongresses" beim "International Congress on the Education for the Deaf" in Vancouver außer Kraft gesetzt. Trotzdem gibt es auch heute noch zahlreiche Gehörlosenschulen in Deutschland, an denen die Schüler gezwungen werden zu sprechen. Eigentlich unvorstellbar.

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