Stand: 01.04.2014 20:00 Uhr

Der NDR und das zweite ARD-Programm

Blättert man in den Programmfahnen bzw. in den Programmankündigungen, wie sie beispielweise die "Hör zu!" veröffentlichte, fällt auf, dass sich die Angebote an den Werktagen zwischen 20.15 und ca. 22.00 Uhr freilich vielfach ähnelten. Anstatt zu einer bestimmten Sendezeit auf beiden Programmen unterschiedliche Genres zu zeigen, trifft man auf Sendungen, die auf das gleiche Publikumsinteresse zielten.

Die Presse zeigte sich enttäuscht. Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" etwa vermisste im August 1961 das "eigene, unverwechselbare Gesicht" und konstatierte, dass das "zweite Programm seinem älteren Bruder fast aufs Haar" gleiche. Veränderungen wurden jedoch im Wochenend-Programm sichtbar. Zunehmend gab es hier Sendungen, die neu waren und mit deren Hilfe das technisch Machbare ausgelotet wurde.

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AUDIO: Zum ersten Mal "Sportschau" (14 Min)

"Sportschau"-Moderator Ernst Huberty im Studio 1976 © WDR
Eine Institution: "Sportschau"-Moderator Ernst Huberty im WDR-Studio (1976).
Neue Formen, neue Eindrücke

Die "Sportschau" ist eines der bekanntesten Beispiele. Die Debütsendung wurde am 4. Juni 1961 um 21.30 Uhr ausgestrahlt. Der Journalist Ernst Huberty erprobte im Zweiten das neue Format eines moderierten Sportmagazins.

Außerdem machten die Reportagen aus dem Ausland von sich reden. Auf dem Reportage-Termin waren samstagabends zunächst die "Reporter der Windrose" unterwegs, die etwa davon berichteten, "Wie die Welt regiert wird". Ihnen folgten die Reporter um Klaus Harpprecht mit einer Reihe über "Mächte des Glaubens". Im Oktober 1961 schließlich startete eine Unterhaltungsoffensive, in der "europäische und überseeische Fernsehanstalten" vorgestellt wurden. So war man etwa "Zu Gast beim italienischen Fernsehen" und "Zu Gast beim japanischen Fernsehen". Das Publikum bekam Einblicke in neue Quizshows und Schlagermusiksendungen.

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Die Reporter der Windrose

Die "Ruhr-Nachrichten" berichten am 13.07.1963 über das neue Produktions-Unternehmen "Windrose" Download (729 KB)

Profilierung aus dem Norden

Bei all dem übernahm der NDR eine zentrale Rolle. Er trieb die Entwicklung mitunter voran, wenn die ARD-Ebene zögerlich war. In Hamburg herrschte um 1960 eine regelrechte mediale Aufbruchstimmung. Technisch war der Sender mit den eigenen Fernsehstudios in Lokstedt sowie mit dem gemeinsam mit Studio Hamburg betriebenen Produktionsgelände in Tonndorf bestens ausgestattet. Mehr noch: Neue kreative Köpfe sorgten für frischen Wind - auch und gerade in Hinblick auf das zweite Programm.

Speziell einige der NDR Sendeplätze zeigen, dass das zweite Programm zu einem regelrechten Experimentierfeld wurde. Sendungen, die hier erprobt wurden und Potenzial versprachen, wurden weiter entwickelt, etwa auf dem Feld der Auslandsberichterstattung und des Fernsehdokumentarismus.

Information, Bildung, Unterhaltung

Dietrich Koch © NDR Foto: NDR/Annemarie Aldag
Dietrich Koch - Chef vom Dienst in der Redaktion "Politik und Aktuelles", auch Moderator (1963) bei "Panorama".

So berichtete Dietrich Koch für den NDR regelmäßig aus der Hauptstadt Großbritanniens. Der von der Wochenzeitung "Die Welt" zum NDR gewechselte Journalist gab sich "very British" in seinem "Londoner Tagebuch", das zwischen Juni 1961 und Juni 1962 Eindrücke vom europäischen Nachbarn vermittelte. Die Sendung bildete den Startschuss für die ganz spezielle Kompetenz des NDR, über alles Britische zu berichten.

Mindestens ebenso erfolgreich war der Versuch, zwischen Film- und Fernseharbeit eine Brücke zu schlagen. Egon Monk als Chef der neuen NDR Fernsehspiel-Abteilung startete die Reihe "Der Film-Club". Sie war nicht nur ein Angebot für cineastische Insider, sondern entwickelte sich auch zu einem wichtigen Forum, das Filmgeschichte und aktuelle Filmkunst präsentierte. Das Format erregte lebhaftes Interesse und hatte über Jahrzehnte hinweg Bestand.

Ein Magazin sorgt für Aufsehen

Rüdiger Proske und Gerd von Paczensky © NDR
Fernsehjournalist Rüdiger Proske (li., Mitbegründer und von 1961 bis 1963 Leiter des Magazins "Panorama") und Journalist Gerd von Paczensky (1961/62 auch Moderator und Leiter bei "Panorama").

Das bemerkenswerteste Beispiel für die mediale Aufbruchstimmung schließlich bildet das Politmagazin "Panorama". Insgesamt 55 Folgen wurden zwischen 1961 und 1962 im zweiten Programm ausgestrahlt. Danach wechselte das von Rüdiger Proske und Gert von Paczensky geprägte meinungsfreudige Format ins Erste. Mit der Berichterstattung zur "Spiegel-Affäre" 1962 bestand es gleich seine erste große Bewährungsprobe als politisch pointiertes und investigatives Magazin. "Panorama" wurde zum Aushängeschild eines kritischen Journalismus, das zur Politisierung der Gesellschaft beitrug.

Vereinbarung eingehalten

Die Tage für das Experimentierfeld des zweiten ARD-Programms waren von Anfang an gezählt. Im Verlauf des Jahres 1962 zeichnete sich ab, dass der Aufbau des ZDF gut voranging. Am 1. April 1963 war es schließlich soweit: Das ZDF ging auf Sendung. Vereinbarungsgemäß gab die ARD zeitgleich die bis dahin genutzten Frequenzen frei und stellte ihr Übergangsprogramm ein.

Alter Fernseher aus den 60er Jahren auf einem Hocker vor Mustertapete. © fotolia.com Foto: p!xel 66
AUDIO: 1.4.1963 - Das Zweite kommt (12 Min)

Die Bundesbürger hatten sich da schon an die Wahlmöglichkeiten zwischen zwei Fernsehprogrammen gewöhnt. In den Folgejahren verlangten sie nach weiteren Angeboten. Was sich mit dem fernsehgeschichtlichen Intermezzo des zweiten ARD-Programms nicht zuletzt als interessanter kreativer Freiraum erwiesen hatte, sollte deshalb bald auch eine Fortsetzung finden - Mitte der 60er-Jahre wurden die Dritten Programme eingeführt.

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